Khamenei gegen das eigene System – der Wendepunkt für die „Welt der Islamischen Republik“
Mit den israelischen Luftangriffen ist die Abschreckungspolitik der Islamischen Republik zusammengebrochen. Die Sicherheitsstrukturen des Regimes richten sich zunehmend gegen das eigene System – nicht mehr gegen „äußere Feinde“.
Von: Ali Rasouli
Die nächtlichen Angriffe Israels am 13. Juni auf iranische Atomanlagen und Wohngebiete in Teheran, bei denen mehrere hochrangige Militärkommandeure und Nuklearwissenschaftler getötet wurden, markieren einen historischen Wendepunkt. Sie leiten eine irreversible Phase ein, die für die Islamische Republik mit enormen Kosten verbunden ist. Es wurde ein Tor aufgestoßen, dessen Öffnung die iranische Führung über vier Jahrzehnte – insbesondere unter Ali Khamenei – mit aller Kraft verhindern wollte.
Seit ihrer Gründung und mehr noch während der Ära Khamenei seit 1989 beruhte die sicherheitspolitische Strategie der Islamischen Republik auf einem asymmetrischen Konzept: dem Prinzip der „Störaktion mit Gewinnabsicht“. Das heißt: Der Iran bewegte sich stets am Rande eines Krieges, vermied aber gezielt eine direkte Konfrontation. Diese Taktik kam in entscheidenden Momenten zum Einsatz – etwa während der US-Kriege im Irak und in Afghanistan, der Syrienkrise oder zuletzt nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023.
Die sogenannte Sicherheitsdoktrin des Regimes – oder „die Welt der Islamischen Republik“ – basierte darauf, durch gezielte Störungen der internationalen Ordnung politische Zugeständnisse zu erzwingen und sicherheitspolitische Vorteile zu erlangen. Möglicherweise war dies nicht die erste Wahl der Islamischen Republik. Doch die internationale Isolation nach der Revolution, der irakische Angriffskrieg auf den Iran und das Überleben in einem Umfeld ohne verlässliche Partner und Sicherheitsgarantien zwangen Teheran in diese Rolle. Khamenei hat diese asymmetrische Logik weit über die Zwänge des achtjährigen Krieges hinaus verinnerlicht – und zum Grundpfeiler seiner außen- wie innenpolitischen Ordnung gemacht. Widersprüche gegen diese Linie wurden systematisch unterdrückt.
Was das Regime jedoch unterschätzt hat: Das Spiel des „kontrollierten Chaos“ funktioniert nur, wenn die anderen Akteure nach berechenbaren Regeln handeln – und nicht bereit sind, diese plötzlich zu ändern. Doch nach dem 7. Oktober, im Kontext der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China, des russischen Kriegs in der Ukraine und der tiefen Krise Europas, ist die Weltordnung in eine Phase beispielloser Ungewissheit und Regelauflösung geraten. In dieser neuen Lage blieb die Islamische Republik ihrer alten Linie treu – doch das sorglose Stören reichte nicht mehr aus, um geopolitisch zu punkten.
Tatsächlich fehlte dem Regime die Fähigkeit, seine Strategie anzupassen – weil es schlicht nicht über die nötigen Mittel verfügte, um in einem veränderten Spiel mitzuspielen. Eine Vielzahl komplexer Sicherheitsdossiers, harte Wirtschaftssanktionen, eine anhaltende Wirtschaftskrise und die massive Isolation in der Region und international haben Teherans Handlungsspielräume stark eingeschränkt. Die Beziehungen zu den arabischen Nachbarn befanden sich auf einem historischen Tiefpunkt. Die einzige verbleibende Option waren symbolische, kurzlebige Gesten – die jedoch weltweit kaum jemanden überzeugten. Der Welt wurde klar: Die Islamische Republik besitzt nicht mehr die Mittel, um strategisch wirksam zu stören.
Die letzten Ereignisse – darunter
ie Tötung Hassan Nasrallahs in Beirut und Ismail Haniyes in Teheran, der Tod hochrangiger IRGC-Kommandeure im iranischen Konsulat in Syrien, zwei israelische Angriffe auf iranisches Territorium und Teherans schwache, ineffektive Reaktion – zeigen deutlich: Die sicherheitspolitische Doktrin der Islamischen Republik ist gescheitert.
Es scheint, als seien Israel und die USA zu dem Schluss gekommen, dass der Iran ihnen keine ernsthaften Kosten mehr zufügen kann. Die Abschreckungspolitik des Regimes ist kollabiert. Und das einstige Sicherheitsnetz wirkt nun wie ein Bumerang – es destabilisiert nicht mehr den Feind, sondern das eigene System.
Mit anderen Worten: Die größte Bedrohung für das politische System der Islamischen Republik sind derzeit ihr eigener Anführer – Ali Khamenei – und dessen Unfähigkeit, die sicherheitspolitische Doktrin zu überdenken und eine neue Sicherheitsarchitektur zu etablieren.
Die Islamische Republik steht damit heute an einem gefährlichen Scheideweg:
Entweder sie entscheidet sich für groß angelegte, verzweifelte Vergeltungsschläge gegen US-amerikanische und israelische Ziele in der Region – mit dem Risiko eines umfassenden, zerstörerischen Krieges. Oder sie beschränkt sich auf symbolische, ineffektive Reaktionen. In diesem zweiten Szenario verkommt der Iran faktisch zum Boxsack für wiederkehrende israelische Angriffe.
Keine dieser Optionen bietet Aussicht auf Stabilität oder Ruhe. Die „Welt der Islamischen Republik“, deren Architekt Ali Khamenei ist, hat den Point of no Return überschritten – hin zu einer Ära permanenter Spannungen und Krisen. Die Tötung von Militär- und Sicherheitskommandeuren sowie der begrenzte Angriff auf Atomanlagen sind nur der Auftakt zu einer sich entfaltenden Tragödie.
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