"Zorn der Wahlverlierer trifft die Siegreichen"
Der liberale Ex-Präsident Mohammad Khatami gerät zunehmend unter Druck der von Hardlinern dominierten iranischen Justiz. Viele iranische Web-User empören sich darüber. Noch schlechter steht es um die Oppositionellen Mir Hossein Moussawi und Zahra Rahnavard, die im Hausarrest mit Gesundheitsproblemen kämpfen. Auch darüber diskutieren IranerInnen im Internet kontrovers.
Nach den jüngsten Erfolgen der reformorientierten und der moderaten Kräfte bei den Parlamentswahlen im Iran scheint der Druck auf diese durch die konservativen Machthaber noch zuzunehmen. Der bei vielen IranerInnen heute noch sehr populäre Ex-Präsident und als „Vater der Reformen“ bekannte Mohammad Khatami, über den die iranische Justiz seit Februar 2015 eine Nachrichtensperre verhängt hat, wurde vergangene Woche von Sicherheitskräften daran gehindert, seine Wohnung zu verlassen. Khatami wollte die Hochzeit einer Tochter der unter Hausarrest stehenden Oppositionspolitiker Mirhossein Moussawi und Zahra Rahnavard besuchen. Auch wurde ihm verboten, an einer Zeremonie zum Jahrestag des Todes seiner Schwester in seiner Heimatstadt Yazd teilzunehmen, berichten iranische Oppositionsmedien.
In sozialen Netzwerken und Online-Diskussionsforen drücken die regimetreuen User Ihre Zufriedenheit über den Umgang mit Khatami aus, während viele andere sich darüber empören. „Die Repressionen des Staats gegen diesen wohlverdienten Staatsmann sind eine Frechheit“, schreibt etwa Jamileh auf der Facebookseite von Deutsche Welle Farsi. Scharfe Kritik übt auch Behnam auf der Nachrichtenplattform Radio Farda: „Die iranische Justiz ist wahrlich eine Schande. Einem ehemaligen Staatschef, der seinerzeit über 20 Millionen Wählerstimmen bekommen hat, wird einfach verboten, sein Haus zu verlassen. Wo in der Welt ist so etwas normal?“, fragt er. Das Regime habe „keinen Funken Anstand“, klagt Mahboob auf der Facebookpräsenz von BBC Farsi. „Einem Menschen die Gelegenheit zu nehmen, um einen nahen Verwandten zu trauern, ist absolut unmenschlich – noch dazu, wenn er so viel für sein Land getan hat“, schreibt sie weiter.
Rache der Konservativen
Über den Grund für die neuerlichen Repressionen gegen den Ex-Präsidenten herrscht unter den iranischen Web-Usern überwiegend Einigkeit: Khatami habe im Vorfeld der Parlamentswahlen mit einer Videobotschaft, in der er zur Stimmabgabe aufgerufen hat, großen Anteil am Wahlerfolg der reformorientierten und moderaten Kräfte gehabt – und werde nun von den unterlegenen Konservativen dafür bestraft.
„Legt Euch nicht mit uns an, sonst machen wir Euch das Leben zur Hölle – das ist die Message der Hardliner an Khatami und seine Verbündeten“, schreibt Ghazal auf dem Webportal Balatarin. „Nun rächen sich die Konservativen für ihre schmerzhaften Stimmverluste bei den Wahlen“, schreibt auch Pejman auf Radio Farda. Ähnlich sieht das Shakiba: „Es war zu erwarten, dass die Verlierer zu einem Gegenschlag ausholen würden. Irgendwie müssen sie sich ja rächen“, so die Web-Nutzerin auf der Internetseite Ebaarat. „Ayatollah Khamenei zittert angesichts der neuen politischen Verhältnisse im Parlament und im Expertenrat vor Angst. Die Repressionen gegen Khatami sind eine Reaktion darauf. Der alte Mann fürchtet wieder um seine Macht“, schreibt Deylamaan auf Balatarin.
Hausarrest – ja oder nein?
Darüber, ob der ehemalige Reform-Präsident nun unter Hausarrest stehe, herrscht aber Uneinigkeit. Die Facebook-Userin Katayoon bejaht das: „Auch wenn der Hausarrest nicht so streng ist wie im Fall von Moussawi, Rahnavard und Karoubi, bleibt es trotzdem ein Hausarrest. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn einem Menschen verboten wird, sein Haus zu verlassen?“, fragt die Iranerin auf BBC Farsi. Andere wie Omid sind der Überzeugung, dass Khatami keinen dauerhaften Hausarrest zu befürchten hat: „Ich bezweifele stark, dass das Regime bereit ist, einen national und international derart angesehenen Politiker auf diese Weise zu bestrafen. Die Hardliner können es sich schlicht und ergreifend nicht leisten, ein solches Risiko einzugehen. Die Gefahr politischer Unruhen ist zu groß, als dass sie sich trauen würden, einen solchen Schritt zu unternehmen. Statt dessen versuchen die Machthaber, Khatami nun das Leben so schwer wie möglich zu machen.“
Keine Sympathien für Khatami
Doch nicht alle IranerInnen entsetzt die Nachricht vom Vorgehen des Sicherheitsapparats gegen den bei vielen beliebten Geistlichen. Nicht wenige reagieren gleichgültig auf die Meldungen. „Haben wir nicht größere Sorgen, als dass ein Mullah eine Hochzeit verpasst?“, fragt ein Balatarin-User. Auch Shekari hält die Meldung für belanglos: „Was interessiert mich, dass Khatami sein Haus nicht verlassen darf, wenn so viele Menschen im Iran seit Jahren im Gefängnis sitzen?“
Andere Web-User reagieren gar mit Schadenfreude: „Abermillionen WählerInnen haben damals Khatami ihr Vertrauen geschenkt, um am Ende enttäuscht zu werden. Was ihm nun widerfährt, ist die gerechte Strafe dafür, dass er seine AnhängerInnen betrogen hat“, schreibt Babak auf der Nachrichtenseite IranPress News. Khatami habe sich wie ein „politischer Lehrling“ verhalten, wirft ihm Rangpash auf Balatarin vor. „Naiv wie er ist, hat er die Menschen dazu aufgerufen, zur Wahl zu gehen und dem Regime dadurch Legitimation verliehen, ohne dafür etwas bekommen zu haben. Schlimmer noch: Er wird sogar bestraft“, so der Iraner.
Moussawi-Töchter beklagen schlechte Gesundheit ihrer Mutter
Der Hausarrest, der dem Ex-Präsidenten möglicherweise droht, ist schon seit fünf Jahren für die OppositionspolitikerInnen und Khatami-Verbündeten Mir Hossein Moussawi, Zahra Rahnavard und Mehdi Karrubi bittere Realität. In einem offenen Brief, der jüngst auf dem Online-Nachrichtenportal Kalameh veröffentlicht wurde, beklagen die Töchter der beiden Oppositionsfiguren die Bedingungen des Hausarrests, die vor allem zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands Rahnavards geführt haben sollen. Doch auch die Gesundheit ihres Vaters sei gefährdet, schreiben die Töchter. Ihren Eltern würde die notwendige medizinische Versorgung verweigert.
Die Reaktionen auf die Meldung über den Gesundheitszustand der beiden PolitikerInnen fallen indes im Netz unterschiedlich aus. Auch hier äußern nicht wenige, dass die Situation, in der sich die beiden befänden, eine Art „gerechter Strafe“ für die Politk sei, die Moussawi und Rahnavard in der Vergangenheit mitgetragen hätten. „Das geschieht euch recht“, schreibt ein anonymer Besucher des Nachrichtenportals RadioFarda. „So viele junge Landsleute sind im Jahr 2009 für euch inhaftiert worden und sogar gestorben. Trotzdem verleiht ihr dem Regime weiterhin Legitimation, indem ihr auch dieses Mal bei den Parlaments- und Expertenratswahlen mitgewählt habt“, schimpft der User weiter. Ähnlich formuliert das Hamrah unter einem Beitrag von BBC Farsi auf Facebook: „Wenn man nach all dem, was einem selber und den eigenen AnhängerInnen angetan wurde, immer noch am politischen System festhält, indem man seine Stimme abgibt, hat man es verdient, derart schäbig behandelt zu werden“, so der Facebook-Nutzer.
Moussawi sei als ehemaliger Premierminister an den vielen Tausend Exekutionen von Regimegegnern in den ersten Jahren nach der Revolution von 1979 entscheidend beteiligt gewesen, so ein weiterer Vorwurf, der von vielen IranerInnen im Web geäußert wird. „Mir doch egal, dass es den beiden schlecht geht. Sie waren die Lieblinge des Regimes und niemals die des Volkes. Sollen sie doch verrecken“, schreibt Mastane auf der Facebookseite von Deutsche Welle Farsi.
Mitleid mit Moussawi und Rahnavard
Andere Web-User sind der Ansicht, dass die beiden Oppositionellen eine solche Behandlung nicht verdient hätten: „Ja, es stimmt, Moussawi hat in der Vergangenheit große Fehler begangen“, antwortet Saeed auf Mastane. Man müsse aber fair bleiben und anerkennen, dass der ehemalige Premierminister sich „als Mensch und als Politiker“ weiterentwickelt habe. Ähnlich sieht das Shahram auf BBC Farsi: „Jeder Mensch verdient eine zweite Chance. Wenn Moussawi und Rahnavard dem Regime treu wären, würden sie nicht seit fünf Jahren in ihrer Wohnung festgehalten werden.“
Kein Mensch verdiene, dass ihm medizinische Versorgung vorenthalten werde, so ein anderer User. „Eine derartige Behandlung eines Revolutionärs der ersten Stunde ist mit unserer Religion nicht zu vereinbaren“, schreibt Mostafa weiter.
„Moussawi und Rahnavard werden vom Regime als Erzfeinde gesehen, die ausgelöscht werden müssen. Nur wissen die Hardliner, dass sie die beiden nicht hinrichten können, ohne den unendlichen Zorn des Volkes zu spüren bekommen“, glaubt Radio-Farda-Userin Elli88. Die Verweigerung von medizinischer Versorgung zeige, dass die Machthaber Moussawi und Rahnavard sterben lassen wollten, „ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen“.
JASHAR ERFANIAN