Verständigung nach außen, Kahlschlag nach innen: Der Iran vor den Wahlen
Das Atomabkommen mit dem Iran solle ein Modell für die Beilegung von Konflikten in der Region sein: Diesen Satz wiederholte der iranische Präsident Hassan Rouhani bei seiner Europatour wie ein Mantra. Ob das Abkommen als eine solche Blaupause tatsächlich brauchbar ist, sei dahingestellt. Interessant ist aber, dass auch die Oppositionellen im Iran fordern, die Herrschenden sollten dem Geist des Abkommens folgen und versuchen, auch im Inneren eine Verständigung zu erzielen. Doch ihr Appell ist vergeblich. Vor den schicksalhaften Doppelwahlen im Iran zeigen sich die Machthaber kompromissloser denn je.
„Vergesst das Parlament und den Präsidenten, achtet auf Expertenversammlung!“ Denn sie und nur sie werde über das Schicksal des Iran entschieden. Das sagt Reza Alidjani, ausgewiesener Kenner der Islamischen Republik. Der 53-Jährige, der seit fast vierzig Jahren, praktisch seit der Volksschule, politisch aktiv ist und mehrere Jahre vor und nach der Islamischen Revolution in iranischen Gefängnissen verbrachte, macht jedoch eine resignierende Ergänzung: Die Würfel bei der Wahl des wichtigen Gremiums schienen längst gefallen zu sein – und das schon vier Wochen vor den Wahlen. Alidjani hat recht.
Es geht um alles
Denn Ayatollah Ali Khamenei, amtierender Revolutionsführer des Iran, will allem Anschein nach nichts dem Zufall überlassen: Er bereitet die Wahl seines Nachfolgers, die dem Expertenrat obliegt, minutiös vor. Das zeigt jedenfalls die Liste jener Kandidaten, deren Teilnahme an den Wahlen des wichtigen Gremiums abgelehnt wurde.
Am 26. Februar wählen die IranerInnen neben dem Parlament auch diese aus 88 Geistlichen bestehende Kammer, deren einzige Aufgabe die Bestimmung des künftigen Revolutionsführers ist. Wie bei den Parlamentswahlen wird auch die Kandidatenliste für die Expertenratswahl vorher von einer vierköpfigen Kommission durchgesiebt, die Khamenei persönlich ernennt.
Wie engmaschig dieser Filter ist, zeigte sich am vergangenen Mittwoch, als die Kandidatenliste für die Doppelwahlen veröffentlicht wurde. Für die Parlamentswahlen wurden ganze 30 der 3.000 BewerberInnen der Reformerseite zugelassen, mehr Durchlässigkeit gab es nicht. Ob eine dieser dreißig Personen tatsächlich gewählt werden wird, steht noch auf einem anderen Blatt. Doch noch undurchdringlicher, ja unüberwindlich, war der Filter im Falle der Kandidaten der Expertenversammlung – und das sagt viel darüber aus, was diese Versammlung in ihrer kommenden achtjährigen Legislaturperiode zu leisten hat.
Rechnet der 76-jährige und offenbar kranke Khamenei damit, dass die Wahl seines Nachfolgers bald auf der Tagesordnung der Versammlung stehen wird? Offenbar ja, denn Anfang Januar hob er selbst die Bedeutung der künftigen Expertenversammlung hervor: Es gehe darum, im Falle des Falles jemanden an die Spitze zu wählen, der die jetzige antiwestliche Politik fortsetze, sagte Khamenei.
Sogar eine Ikone der Revolution ist ungeeignet
Dass die Notwendigkeit der Neuwahl des mächtigsten Mannes des Landes eintreten könnte, ist auch an den Begründungen abzulesen, mit denen manche Kandidaten abgelehnt wurden. Vergangenen Mittwoch veröffentlichte die erzkonservative Tageszeitung Keyhan, deren Chefredakteur Khamenei selbst ernennt, eine Liste der Kandidaten für die Wahl der Expertenversammlung, der Zugelassenen und der Abgelehnten. „Die Eignung ist nicht ersichtlich“, stand dort etwa vor dem Namen des Ayatollah Mussawi Bodjnurdi. Dabei ist der 74-jährige Gelehrte, der allen iranischen Geistlichen als „Quelle der Nachahmung“ gilt, eine Ikone der Islamischen Republik. Er lebte mit Republikgründer Khomeini im irakischen Exil, begleitete ihn 1979 nach Paris und kehrte gemeinsam mit ihm in jener Air-France-Sondermaschine in den Iran zurück, die später als „Revolutionsflug“ in die Geschichte einging. Es würde ein umfangreiches Buch ergeben, wollte man all jene Positionen beschreiben, die Bodjnurdi nach der Revolution bekleidete. Er wurde von Khomeini zum höchsten Verfassungsrichter des Landes ernannt, zugleich leitete er das Büro, das Khomeinis Fatwas managte, redigierte und veröffentlichte. Mehr kann ein Geistlicher im Gottesstaat nicht erreichen. Und dieser Mann soll nun als Kandidat für den Expertenrat ungeeignet sein: Seine praktische Loyalität zum Islam sei nicht ersichtlich, urteilte die vierköpfige Kommission, die die Kandidaten bewertet.
Prüfer prüfen sich selbst
Ihr gehören übrigens auch die beiden 85-jährigen Ayatollahs Mohammad Yazdi und Ahmad Djanati an, die selber Kandidaten bei der Expertenratswahl sind. Dass die zwei Greise sich selbst geprüft und für geeignet befunden haben – auch das gehört zu den Besonderheiten und Merkwürdigkeiten der Islamischen Republik. Unter den Abgelehnten befindet sich dafür neben Ayatollah Bodjnurdi auch Khomeinis Enkel Hassan. Von insgesamt 800 BewerberInnen wurden nur 166 zugelassen. In sechs Provinzen entspricht die Zahl der zugelassen Kandidaten genau die der Sitze.
Eindeutige Botschaft
Die Botschaft dieses Kahlschlags ist eindeutig: Sollte die Wahl des künftigen Revolutionsführers bald auf der Tagesordnung stehen, muss sie in genau abgestecktem Rahmen und hinter verschlossenen Türen stattfinden. Eine Minderheitenfraktion, selbst eine einzige Person, die anderer Meinung ist, braucht man dabei nicht. Nichts darf nach außen dringen. Sich aber nun auf den Markt der Spekulationen zu begeben und zu fragen, wer nach dem Ableben Khameneis an der Spitze der Islamischen Republik stehen wird, ist müßig. Denn eins scheint sicher: Khamenei wird in seinem Testament genau festgelegt haben, wie die Expertenversammlung zu entscheiden hat. Und das Testament eines Revolutionsführers steht im Iran über allem. Niemand darf sich darüber hinwegsetzen.
Was bedeutet der Kahlschlag bei dieser Doppelwahl politisch? Experten sind sich bei der Beantwortung dieser Frage einig: Im Innern des Landes soll alles beim Alten bleiben. Niemand soll glauben, die Öffnung nach Außen führe zwangsläufig auch zu innenpolitischen Veränderungen.
„Wieso können Sie mit ausländischen Mächten eine Verständigung erzielen, mit der eigenen Bevölkerung aber nicht?“, fragte kürzlich der bekannte politische Gefangene Mostafa Tadjzadeh Khamenei in einem offenen Brief. Der 59-jährige ehemalige Staatssekretär im Kabinett des Reformpräsidenten Mohammad Khatami mahnte darin den mächtigsten Mann des Landes: Das sei die letzte Chance.
Paramilitärs in jeder Gasse, jeder Moschee
Doch Khamenei und die ihm unterstehenden Revolutionsgarden scheinen sich für alle Eventualitäten zu wappnen. Zufall oder nicht: Genau an dem Tag, an dem die endgültige Kandidatenliste für die Doppelwahl veröffentlicht wurde, verabschiedete das Parlament ein Gesetz über die Neuaufstellung der Bassidj. Diese paramilitärische Organisation wird darin zur wichtigsten Stütze der inneren Sicherheit erklärt, ihr Etat erhöht. Für ihre künftige Aufgabe soll sie entsprechend ausgerüstet sein. Das Gesetz schreibt detailliert vor, wie die Paramilitärs in jedem Stadtteil, jeder Gasse, jedem Amt, jeder Moschee, sogar den Fabriken und Schulen des ganzen Landes organisiert sein sollen.
Innere Unruhe brauchen die Herrschenden jedoch gar nicht zu fürchten. Für die Mehrheit der IranerInnen sind die Ereignisse in ihren Nachbarländern abschreckend genug. An den Beispielen Syrien, Irak und Jemen sehen sie, wohin Aufstände führen können – wie berechtigt sie auch sein mögen.
Quellen:
iran-emrooz.net/index.php/news2/59675
seratnews.ir/fa/news/283456
iran-emrooz.net/index.php/news2/59663/
khabaronline.ir/detail/501667/Politics/election