Der Fahrplan der Gewalt

Soweit die wahre Weltsicht des harten Kerns des Machtapparates. So sehen die Revolutionsgarden das Land, eine Woche nach Beginn der landesweiten Proteste. Und was gedenken die Garden nun zu tun? Welche Rezepte hat ihr Chefdenker? Scheinbar keine. Zweck des Leitartikels ist es nicht, für all diese einzeln aufgezählten Probleme irgendeine Lösung anzubieten. Der Autor will woanders hin. Seine realistische Lagebeschreibung soll den Adressaten eine andere, eine strategische Botschaft vermitteln, eine Art Handlungsanweisung nicht nur für einzelne Gardisten, sondern auch für junge Leser mit viel Tatendrang. Wie soll man mit der Krise umgehen, was soll man tun bzw. lassen?
Die gesamte Macht in einem Boot
Die wichtigste Botschaft enthält bereits der erste Satz des Artikels: Reformer stünden diesmal nicht hinter den Unruhen. Diesmal sitzen in der Tat beide Fraktionen der Islamischen Republik in ein und demselben Boot, Rouhanis Regierung ebenso wie die Hardliner mit Revolutionsführer Khamenei an der Spitze. Es ist ein Aufstand gegen die gesamte Macht. Und was folgt daraus? Ein Eingreifen der Garden ist, so wie 1999 und 2009, nicht notwendig, jedenfalls zunächst nicht. Diesmal werden andere Sicherheitskräfte, die Rouhanis Innenministerium unterstehen, die Ruhe wieder herstellen.
Und für all jene, die Javan nicht lesen und wissen wollen, was die Revolutionsgarden in diesen unruhigen Zeiten tun wollen, gaben diese dann eine Pressekonferenz.
Wenige Stunden nach dem Erscheinen des Javan-Artikels trat General Mohammad Ali Jafari, der Oberkommandant der Revolutionsgarden, vor die Mikrophone und Kameras, erklärte die Unruhen für beendet und bedankte sich ausdrücklich bei der Polizei, die „der ausländischen Verschwörung“ ein Ende gesetzt habe. Von einem Ende der Proteste an diesem und sogar dem darauffolgenden Tag konnte zwar keine Rede sein. Doch darum ging es auch nicht. Der Oberste Befehlshaber der Garden wollte sagen: Wir sind nicht dabei – noch nicht. Die Polizei und andere Sicherheitskräfte würden es schon machen. In seiner Erklärung fügte Jafari allerdings sicherheitshalber hinzu, sollten die örtlichen Behörden die Garden oder die Basijis, die Paramilitärischen, brauchen, so „sind wir jeder Zeit einsatzbereit“.

Der iranische Staat reagiert auf die Proteste mit Polizeigewalt
Polizeieinheiten sorgten ohne die Hilfe der Revolutionsgarden für die Beendigung der Proteste 

 
Die Reformer als Garanten der Macht
Woher kommt diese demonstrative Zurückhaltung der Revolutionsgarden, die sich immer noch zurecht rühmen, die großen Massenproteste von 1999 und 2009 niedergeschlagen zu haben? Damals mussten sie die Unruhen gewaltsam und brutal unterdrücken, weil sie sich nicht sicher waren, dass die Polizei das Notwendige tun würde. Die Reformer und der Mittelstand waren auf der Straße. Doch diesmal sind es die armen Leute aus der Provinz. Außerdem verurteilten die wichtigsten Wortführer des Reformflügels mit Expräsident Mohammad Khatami an der Spitze die Unruhen schon an deren ersten Tag scharf und hatten deren sofortige Niederschlagung verlangt. Einstweilen brauchen also die Revolutionsgarden nicht einzugreifen, ihre Alarmbereitschaft reicht zunächst aus. Das eigentliche Geschäft besorgen andere Kräfte.
Zurückgekehrte Helden
Die Revolutionsgarden sind in diesen Tagen voll damit beschäftigt, dem Publikum das Bild einer siegreichen Armee zu vermitteln, die gerade auf den Kriegsschauplätzen Syriens und des Irak die Feinde der Menschheit, nämlich die IS-Terroristen, heroisch besiegt haben. Dieses Bild soll nicht durch Einsatz auf iranischen Straßen und gegen die eigene Bevölkerung getrübt werden.
Sie sind sich sicher, dass ihre Zeit kommen wird, als eigentliche Ordnungskraft ebenso wie als wichtigste Wirtschaftsmacht des Landes. Ein Großteil der iranischen Wirtschaft werden direkt und indirekt von den Revolutionsgarden kontrolliert. Sie sind der größte Arbeitgeber des Landes. Und sie werden es auch bleiben, nach den Unruhen erst recht: Sie werden in den kommenden Monaten sogar noch wichtiger und mächtiger werden. Präsident Rouhani hoffte, mit dem Atomabkommen kämen endlich Investoren aus dem Ausland in den Iran und das Monopol der Revolutionsgarden bekäme so eine gesunde Konkurrenz. Doch Trump machte diese Hoffnung zunichte. Nun zeigt Rouhani den vollkommenen Schulterschluss mit den Garden.
Ihnen reicht Russland und China
Die US-Sanktionen blieben trotz fünfjähriger Amtszeit Rouhanis bestehen, es kamen sogar noch einige hinzu, und nach den Unruhen erwartet man noch mehr Sanktionen. Auch Europa zeigt sich jetzt zunehmend verunsichert. Die EU-Kommission hat den iranischen Außenminister Zarif für die kommende Woche nach Brüssel zitiert. Auf normale Bankenverbindungen mit dem Ausland muss der Iran noch lange warten. Die Revolutionsgarden brauchen aber weder Amerika noch Europa, ihnen reichen Russland und China als zuverlässige Handelspartner. Mit ihnen können sie fast alles erreichen, was sie wollen, Internetkontrolle und -zensur inklusive – was schon seit einer Woche iranische Realität ist.

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