Zwischen Anpassung und Authentizität

Was zwischen IranerInnen aus dem Iran und jenen im Ausland immer wieder diskutiert und verhandelt wird, ist, wie bestimmte Klischees in Bezug auf den Iran bedient werden. Dafür gibt es sogar ein Wort: Es heißt „Tschador-Art“. Man beobachtet sowohl im Iran als auch außerhalb sehr kritisch und genau, wie und mit welcher Absicht sich jemand der Symbole der Unterdrückung bedient. Und natürlich ist die Kritik an einer gewissen „Selbst-Exotisierung“, die dazu dient, einen bestimmten Markt zu bedienen, berechtigt. Andererseits finde ich es nicht ok, wenn man, nur um dieser Kritik zu entgehen, bestimmte Themen überhaupt nicht erst bearbeitet. Der Schleierzwang ist eines dieser Themen. Wieso sollte man den Fakt des Schleierzwangs außer Acht lassen, nur weil der Blick aus dem Ausland so schablonenhaft ist? Ich denke, da ist eine gewisse Tiefe in der Art der Bearbeitung dieser Themen gefragt.

Der Künstler und Dozent Iman Afsarian vertritt die These, dass es seit der persischen Miniatururmalerei keine iranische Kunst mehr gebe. Die zeitgenössische Kunst seines Landes wertet er als bloße „Kopie der West-Kunst“. Sich selbst nimmt er dabei ausdrücklich nicht aus. Wie Sehen Sie das?

Afsarians These beinhaltet eine gewisse Wahrheit. Man trifft in der iranischen Kunst der Neuzeit auf oberflächliche Auseinandersetzungen mit der Kunst aus dem Westen, die wie Kopien daherkommen. Ohne die Motive unterschiedlicher Kunstrichtungen richtig wahrzunehmen, wurden nur deren Oberfläche reproduziert. Zudem haben sich ab der Kolonialzeit zu Beginn des 20sten Jahrhunderts bestimmte Traditionen nicht mehr aus sich selbst heraus weiterentwickelt, es gab einen Bruch. Obwohl der Iran nie richtig unter einer Kolonialherrschaft gestanden hat, kann man diesen Bruch in der persischen Miniaturmalerei erkennen. Aber nicht nur da. Im Laufe der Zeit und unter dem Einfluss des Westens sind im Iran Richtungen in der Kunst entstanden, die die Entwicklungen der iranischen Gesellschaft zum Ausdruck bringen wollten. Und natürlich sind dabei Anleihen an die Kunst des Westens gemacht worden. Aber iranische KünstlerInnen bearbeiten iranische Realitäten und Themen und somit ist es iranische Kunst. Wenn man hier nur ein Dilemma sieht, beraubt man KünstlerInnen ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Man muss genau hinschauen, wo eine authentische Auseinandersetzung stattfindet und wo einfach nur kopiert wird. In der iranischen Kunst hat trotz der Brüche sehr wohl eine authentische Auseinandersetzung stattgefunden. Diese abzuwerten sehe ich als problematisch an.

„Saras Paradies“, Mandana Moghaddam, Azad Art Gallery, Teheran, 2009 Solche Becken, die den Fortbestand des Bluts der Märtyrer des Irak-Iran-Kriegs darstellen sollen, wurden nach der Revolution tatsächlich in vielen iranischen Städten gebaut. Das Becken auf dem Behescht-Sahra-Friedhof (im wörtlichen Sinne: Saras Paradies) ist besonders auffällig. Die rote Farbe des Beckens zusammen mit Grün und Weiß bezieht sich auf die Farben der iranischen Fahne. Die Fahne selbst war der Gegenstand verschiedener Kontroversen und ist in die Werke von vielen iranischen Künstlern eingegangen. Sie hat eine lange Geschichte, wurde aber nach der Revolution geändert, um die „einzigartige“ Identität der islamischen Republik zu präsentieren.
„Saras Paradies“, Mandana Moghaddam, Azad Art Gallery, Teheran, 2009

Welche Bedeutung haben neue Medien, Installationen und Performances für junge iranische KünstlerInnen?

Seit den 90er Jahren gibt es eine starke Tendenz, sich in verschiedenen Bereichen der bildenden Kunst auszuprobieren. Es finden im Dialog mit KünstlerInnen im Ausland auch kritische Auseinandersetzungen statt, so dass im Iran ganz hervorragende und spannende Arbeiten entstanden sind. Die sind manchmal sehr verspielt und manchmal sehr gewagt. Die junge Generation ist auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen, sie nimmt sich alles, was ihr dabei helfen kann. Das ist nicht allein auf die Kunst beschränkt. Trotz staatlicher Bevormundung wird über neue Lebensweisen genauso nachgedacht wie über neue künstlerische Ausdrucksweisen. Das ist auch ein Ausdruck einer starken Vitalität.

Inwiefern setzen sich die KünstlerInnen mit dem internationalen Kunstmarkt auseinander?

Es gibt ein großes Interesse, fast schon einen Hunger danach, auf dem internationalen Markt Anschluss zu finden. Im Internet informieren sich viele KünstlerInnen, was wann wo geschieht und welche Möglichkeiten sie haben, sich für Stipendien zu bewerben oder Ausstellungen zu machen. Das Internet hat für sie den Raum geöffnet, wo sie das selbst herausfinden können. Das ist sicherlich noch ausbaufähig. Und dieser Hunger birgt die Gefahr, dass wieder Klischees bedient werden – um eben diesen Anschluss zu finden.

  Interview: YASMIN KHALIFA

* Parastou Forouhar, geboren 1962 in Teheran, studierte bis 1990 Kunst an der Universität Teheran und kam 1991 nach Deutschland. Neben zahlreichen Ausstellungen schrieb sie ein Buch mit dem Titel „Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden“.

Weiterführende Links:

 Die iranische Moderne  , Iman Afsarian , Shirin Gallery , Pejman FoundationPerspektiven iranischer KunstKunst und Propaganda

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