Feindbild auf Befehl: Wie das Regime Afghanen zur Zielscheibe macht
Nach dem Angriff Israels auf iranisches Territorium konzentriert sich das Regime in Teheran nach innen: Afghanische Migranten, die ohnehin rechtlos im Land leben, werden nun massenhaft festgenommen, abgeschoben oder als „Spione“ diffamiert. Menschenrechtler*innen sprechen von systematischer Gewalt – und einer Strategie der Einschüchterung.
Von Pooyan Mokari
Nur wenige Tage nach Beginn der israelischen Angriffe auf iranische Städte Ende Juni richteten die Behörden und staatsnahe Medien der Islamischen Republik ihren Schuldvorwurf gegen marginalisierte Gruppen und bezeichneten viele von ihnen als israelische Spione. Eine der Gruppen, die in diesem Zusammenhang heftigen Angriffen von Medien und Behörden im Iran ausgesetzt sind: afghanische Migrant:innen, die als „Mossad-Spione“ dargestellt werden.
Irans Staatssender veröffentlichte eine Woche nach Kriegsbeginn und inmitten der gegenseitigen Luftangriffe zwischen Israel und dem Iran ein kurzes Video, das er als „Geständnis von zwei afghanischen Spionen“ bezeichnete. Es zeigt die Personen, die nach iranischer Darstellung „Mossad-Spione“ gewesen sein sollen, nur verschwommen, zu hören ist aber, wie sie sagen: „Wir sind illegal über die Grenze von Nimruz (eine afghanische Grenzprovinz zu Iran und Pakistan) in den Iran eingereist“, und: „Wir haben als einfache Arbeiter gearbeitet.“ Bisher wurden ihre Identitäten nicht enthüllt und ihr Aufenthaltsort ist unbekannt.
Danach nutzten die iranischen Behörden die Atmosphäre des Ausnahmezustands und das Schlagwort „Sicherheit“, um afghanische Migranten im Iran festzunehmen und abzuschieben. Die Regierung und ihr nahestehende Medien behaupten stets, dass nur „illegale“ Migranten abgeschoben würden. Augenzeugen und afghanische Migrant:innen berichten jedoch, dass die iranische Polizei sie lediglich aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Kleidung festnehmen und ihre Pässe, Visa und legalen Dokumente vernichten würde. Anschließend würden sie in Lager an der Grenze gebracht und dann nach Afghanistan geschickt.
UN schlägt Alarm
Mai Sato, die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Menschenrechte im Iran, schrieb jedoch am Freitag, dem 17. Juli, auf X, dass „im Zeitraum vom 16. bis 19. Juli die durchschnittliche Zahl der Abschiebungen 29.600 Personen pro Tag überstiegen“ habe. Sie wies darauf hin, dass Teheran in diesem Kalenderjahr mehr als 1,5 Millionen afghanische Staatsangehörige zurückgeführt habe, und sagte, dass „sogar Migrant:innen mit gültigen Aufenthaltsdokumenten von der Abschiebung betroffen waren“.
Zahra Mousavi, eine afghanische Frauenrechtsaktivistin, die im Berliner Exil lebt, sagte im Gespräch mit Iran Journal, dass das Taliban-Regime derzeit nicht in der Lage sei, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken. „Die Abschiebung dieser großen Zahl afghanischer Migranten könnte in Afghanistan zu einer weiteren Katastrophe führen“, so Mousavi. Man habe es mit einer ernsthaften humanitären Krise zu tun.
Mousavi weist auch darauf hin, dass manche der Afghan:innen, die in Nachbarländer wie den Iran geflohen sind, Frauenrechtsaktivistinnen, Militärangehörige der früheren Republik oder auch Teil der afghanischen Zivilgesellschaft gewesen seien, die von den Taliban mit Einschüchterung, Verhaftung, Folter und Inhaftierung konfrontiert wurden. Diese hätten sogar einige zivilgesellschaftliche Aktivist:innen und Militärangehörige der 2021 gestürzten Republik getötet. Diese Personen, die völlig legal im Iran gelebt hätten, seien nun der Gefahr ausgesetzt, wieder unter die Kontrolle der Taliban zu geraten.
Eine Aktivistin im Iran, die anonym bleiben will, sagte Iran Journal, es herrsche derzeit eine blinde Atmosphäre der Rache, in der afghanische Staatsbürger massenhaft festgenommen und mit Bussen, die unterwegs nicht anhalten dürften, in Lager an der Grenze geschickt würden. Die Lebensbedingungen in diesen Lagern seien erschreckend. Ein Mensch sei bereits verdurstet, es gebe niemanden, an den man sich bei Übergriffen durch Beamte wenden könne.
Fortsetzung eines historischen Feindbildes
Die Frauenrechtsaktivistin Mousavi verweist auf den historischen Hintergrund der Repressionen gegen afghanische Migranten im Iran. Bereits seit Beginn von deren Einwanderung werde systematisch Hasspropaganda gegen sie betrieben. Afghanische Einwander:innen seien von Beginn an einer demografischen Segregation ausgesetzt gewesen. Ihre Kinder dürften nur ausgewählte Schulen besuchen, viele Berufe blieben ihnen verwehrt. Erlaubt seien meist nur Tätigkeiten, die weder sozialen Aufstieg ermöglichten noch durch das Arbeitsrecht geschützt seien. Was sich heute entfalte, sei das Ergebnis dieser rassistischen Politik der Islamischen Republik.
Für Zahra Mousavi sind diese Maßnahmen politisch motiviert. „Ein totalitäres und diktatorisches Regime greift gezielt die verletzlichsten Gruppen an, um eine Botschaft der Einschüchterung an jene Teile der Gesellschaft zu senden, die über das Potenzial zum Widerstand verfügen“, sagt sie. Die Botschaft sei klar: Auch iranischen Gruppen könne man, wie afghanischen Migranten, sämtliche Bürgerrechte entziehen – was ihnen dann drohe, sei die gleiche nackte Gewalt, die derzeit über die afghanische Gemeinschaft hereinbreche.
Die Schwächsten als Warnung an alle
Auch viele zivilgesellschaftliche und politische Aktivisten und Kulturschaffende warnen unter Verweis auf den unmenschlichen Umgang mit afghanischen Migranten davor, dass dies – in Anbetracht der Geschichte der Islamischen Republik – den Auftakt zu einer landesweiten Repressionswelle markieren könnte. Eine solche Praxis verfolgte das Regime bereits während des Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren, als es Tausende politische Gegner hinrichten ließ.
Auch die wachsende Zahl an Verhaftungen von Baha’i, Kurden und Belutschen sowie der zunehmende Druck auf zivilgesellschaftliche und politische Aktivisten deuten auf eine Ausweitung der Repression im Iran hin. Die Stimmung in den Städten ist weiterhin von Anspannung geprägt – der Ausnahmezustand, den der Krieg hinterlassen hat, hält an. Hinzu kommen Gerüchte über einen möglichen erneuten Kriegsausbruch, die die Unsicherheit weiter verstärken.
Doch warum richtet sich die Gewalt der Islamischen Republik in Krisenzeiten gegen afghanische Migranten? Zahra Mousavi hat eine Antwort: Das liege an den faschistischen Tendenzen der Islamischen Republik. Solche Regimes bräuchten „imaginäre Feinde“ für ihr Überleben. Im Iran seien einst die Linken, dann die Kurden, dann die Bahai-Gemeinschaft und dann Frauen und Frauenrechtsaktivistinnen von der Islamischen Republik als Feinde dargestellt worden. An der Spitze all dieser stünden jedoch die afghanischen Migranten, da sie nicht einmal die geringsten Bürgerrechte besäßen. Ihr rechtlicher Status sei auf dem Niveau eines „Überlebenskampfes um das nackte Leben“ gehalten worden.
Foto: IRNA
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