Dauerdrohung mit Gefängnis als Abschreckungsmaßnahme

Bei den Protesten nach den Wahlen 2009 wurden allein bei den ersten Demonstrationen nach offizieller Angabe über 4000 Menschen verhaftet; inoffizielle Quellen nannten viel höhere Zahlen. Die Mehrheit der Verhafteten wurde zwar entlassen, hängt aber seitdem in einer Art Schwebezustand der Ungewissheit.
Denn zwischen Gerichtsverhandlungen, ständigem Zitiert-Werden vor den Geheimdienst, wiederkehrenden Gefängnisaufenthalten und den damit verbundenen Alltagsproblemen, sind die Betroffenen offenbar einer Zermürbungsstrategie des Machtapparates ausgesetzt.
Gerade vor wichtigen Jahrestagen der vergangenen Proteste oder der Reform- bzw. Protestbewegung häufen sich Briefsendungen oder gar Droh-SMSen an die vom Sicherheitsapparat inzwischen registrierten Bürger. Teilweise ziehen sich die Gerichtsverhandlungen und Urteilsrevisionen in die Länge. Teilweise sind die Schikanen auch als ein Warnhinweis für die Betroffenen und Menschen in ihrer Umgebung anzusehen.
Menschenrechtlerinnen wie Shadi Sadr machen darauf aufmerksam, dass gerade vor dem kommenden Jahrestag der Wahlen eine neue „Welle von Inhaftierungen“ eingesetzt hat“. Bürger, die nach den Juni-Wahlen 2009 „verhaftet, verurteilt aber freigelassen“ wurden, erhielten demnach gehäuft Briefe vom Ewin-Gefängnis mit der Aufforderung, sich „innerhalb von drei Tagen dort zu melden“.
Nachfolgend beschreibt die Bloggerin Setareh ihre Erfahrungen nach den Wahlen, die diese Vorgehensweise bestätigen:

Setareh Alikhani

Heute, am 2. Khordad (23.05.2011), habe ich vom Gericht einen Brief erhalten, in dem steht, dass ich innerhalb der nächsten drei Tage im Ewin-Gefängnis vorstellig werden soll. Und das in meinem Zustand.
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Ich wurde am 5. Februar 2010 durch mehrere Geheimdienstagenten in meiner Wohnung verhaftet und direkt ins Ewin gebracht. Und das obwohl ich überhaupt nicht politisch aktiv und die meisten meiner Blog-Beiträge Alltagsplaudereien waren
Nach 16 Tagen wurde ich auf Kaution freigelassen und dachte, dass sie wohl von meiner Unschuld überzeugt worden sind. Meine Unterlagen, die sie konfisziert hatten, erhielt ich allerdings nicht zurück; es hieß, ich bekäme einen Bescheid, sie später abzuholen.
Die Zeit verging, bis ich im Juni 2010 eine Vorladung erhielt, mit der Information, dass meine Gerichtsverhandlung Ende Juli stattfinden solle. Mir ging es damals schon so schlecht, dass der (bekannte) Richter Salawati darüber verwundert war, dass ich allein zum Termin gekommen war. Er rief sogar meine Mutter an, und warf ihr vor, mich in diesem Zustand allein zum Gericht gehen gelassen zu haben!
Er wirkte nicht streng, sagte, ich solle keine Angst haben, sondern nur die Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Ich war nicht besonders verängstigt, aber es ging mir physisch und psychisch sehr schlecht…wie jetzt.
Ich wurde zu drei Jahren Haft und 300.000 Tausend Tuman Geldstrafe verurteilt.Jedenfalls wurde die Sitzung auf einen zweiten Verhandlungstag, irgendwann in August, verlängert. Ich wurde da zu drei Jahren Haft und 300.000 Tausend Tuman Geldstrafe verurteilt.
Die Widerspruchsfrist betrug 20 Tage. Am 19. Tag beantragte ich eine Revision des Urteils und wartete auf den neuen Urteilsspruch.
Ich war voller Hoffnung, dass meine Unschuld bewiesen und ich freigesprochen würde. Nach Monaten der Unsicherheit und Ungewissheit kam am 7. März 2011, an der Schwelle zum Weltfrauentag, von der 54. Zweigstelle des Revisionsgerichts die Vorladung. Zwei Tage später wurde meine Beschwerde bei der Verhandlung abgelehnt und das damalige Urteil des Gerichts bestätigt.
Es hieß, meine Akte sei bereits seit dem 28. Februar im Vollzugsstatus, und ich hätte hier nichts zu suchen. Innerhalb eines Monats sollte die Vorladung kommen, und ich wusste überhaupt nicht, ob ich das Neujahrsfest zu Hause oder im Gefängnis verbringen würde.
Ich hoffe, dass sie meinen Blog nicht sperren werden, und alle meine Texte, Gedichte und all die Kommentare, die voller Zuneigung und Kritik darunter stehen, verloren gehen.
Mein Urteilsspruch enthielt übrigens in Kürze folgende Vorwürfe:
1. Versammlung und Komplott mit Absicht zum Verbrechen gegen die Nationale Sicherheit, Teilnahme an Straßenunruhen…
2. Propaganda gegen die Islamische Republik Iran durch Kommunikation mit antirevolutionären Satellitennetzen, Versendung von Emails und Veröffentlichung von respektlosen Beiträgen gegenüber dem islamischen System in der virtuellen Welt und im Weblog; Anregung anderer zur Teilnahme an ungesetzlichen Versammlungen und Unruhen, Widerstand gegen die Islamische Republik…
3. Besitz und Nutzung von Geräten zum Satellitenempfang.
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Heute am 2. Khordad (23.05.2011) habe ich vom Gericht einen Brief erhalten, in dem steht, dass ich innerhalb der nächsten drei Tage im Ewin-Gefängnis vorstellig werden soll. Und das in meinem Zustand.
Seit einer Woche bin ich sehr krank und mein Herz schmerzt. Und trotz Krankheit und 1000 Problemen werde ich hingehen, denn die Islamische Republik glaubt, mit Gefängnis, Folter und Hinrichtung das Volk mundtot machen zu können. Aber keine Diktatur währt ewig. Und auch diese wird vergehen und nur einen schwarzen Namen hinterlassen.
Muss ich nun wegen dieser Worte ins Gefängnis? Es ist nicht schlimm, ich gehe hin mit erhobenem Haupt, denn ich bin im Recht.Muss ich nun wegen dieser Worte ins Gefängnis? Es ist nicht schlimm, ich gehe hin mit erhobenem Haupt, denn ich bin im Recht und habe in meinem Leben nicht gelogen. Ich habe das Lügen nicht vom System übernommen, einem System, das zu Beginn von Gleichheit und Gerechtigkeit sprach und nichts als Ungerechtigkeit und Unterdrückung brachte, besonders gegenüber Frauen und Jugendlichen.
Welchen Wert hat das Leben in dieser Erniedrigung? Der Tod für die Freiheit ist tausendmal besser als ein Leben in der Despotie. Sollen sie doch kommen und den Rest auch mitnehmen! Sollen sie meinen Blog sperren! Sollen sie mit einer schutzlosen Frau tun, was sie wollen. Ich habe keine Angst mehr, denn ich habe nichts außer der Wahrheit gesagt.
Es ist übrigens eine zweite Vorladung gekommen. Diesmal für meinen Vater, und darin steht, dass, wenn „diese Frau“, das heißt ich, nicht innerhalb von 20 Tagen im Ewin erscheine, seine Sicherheitsleistungen einbehalten würden. Ich weiß nicht, ob ich darüber lachen soll oder nicht?
Die iranische Renaissance wird ihren Weg hin zur Freiheit und Gleichheit weiter gehen. In der Hoffnung auf jene Tage. Hoch lebe die Erkenntnis, die Freiheit, die Gleichheit, die Sicherheit, die Blüte, der Frieden, der Respekt und die Demokratie.
Setareh, Tehran.