Atemnot in iranischen Großstädten

Luftverschmutzung macht in den Großstädten der Islamischen Republik Menschen und Natur zu schaffen. Allein in der südwestiranischen Millionenstadt Ahwaz haben nach dem ersten Herbstregen etwa 3.000 Menschen mit Atembeschwerden die Krankenhäuser der Stadt aufsuchen müssen – Tendenz steigend.
Regen bringt Segen? Nicht immer! Jahr für Jahr Jahr leiden die BewohnerInnen iranischer Großstädte nach den ersten Herbstregen stärker an Atembeschwerden. Ursache ist die Verdampfung, die durch den sogenannten sauren Regen entsteht. Betroffen sind vor allem Menschen mit Atem- und Herzbeschwerden, AllergikerInnen, SeniorInnen und Kinder.
Anfang November sagte das staatliche Wetteramt den Rückgang der Windstärke in weiten Teilen des Landes voraus. Dadurch würden die gefährlichen Luftpartikel in den kommenden Tagen in den Industriegebieten zunehmen, so das Amt – und Industrie gibt es in fast allen Großstädten der Islamischen Republik. Also wird es mit den nächsten Regenfällen für die betroffenen Personengruppen wieder gefährlich werden.
Erste Warnungen vor Gesundheitsgefahren kamen Anfang Oktober von der Gesundheitsbehörde, etwa zwei Wochen bevor die BewohnerInnen der Stadt Ahwaz die Folgen des sauren Regens am eigenen Leib spürten: Allein nach dem ersten Regen nach dem langen und heißen Sommer Mitte Oktober suchten etwa 3.000 Menschen mit Atembeschwerden die Krankenhäuser der Stadt auf. „Glücklicherweise regnete es in der Nacht, sonst wäre die Anzahl der Leidtragenden um ein Vielfaches höher gewesen“, sagte Shahriar Mirkheshti, der Leiter des staatlichen Zentrums für medizinische Notfälle der Provinz Khuzestan, der Nachrichtenagentur ISNA. Er forderte die BürgerInnen auf, in den kommenden Wochen jeden „unnötigen Ausgang“ zu vermeiden und lieber zuhause zu bleiben.
Extrem hohe Luftverschmutzung

Neben Erdöl- und Chemieindustrie sorgen veraltete Autos und Motorräder sowie ein Kohlekraftwerk in der nahen Umgebung für Schadstoffemission in Ahwaz
Neben Erdöl- und Chemieindustrie sorgen veraltete Autos und Motorräder sowie ein Kohlekraftwerk in der nahen Umgebung für Schadstoffemission in Ahwaz

Bereits im vergangenen Jahr war es ähnlich: Mehr als 2.000 Menschen mussten am ersten Regentag nach dem Sommer mit Atembeschwerden ins Krankenhaus. Innerhalb von drei Wochen stieg ihre Zahl auf 23.000. Die meisten PatientInnen wurden ambulant behandelt, doch einige mussten im Krankenhaus bleiben.
Die Millionenstadt Ahwaz liegt am Ufer des Flusses Karun und ist die Hauptstadt der Provinz Khuzestan im Südwesten des Iran. Sie belegte 2011 in der Rangliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei den Städten mit der größten Luftverschmutzung den ersten Platz. Mit 3.500 µg pro Kubikmeter im Jahresdurchschnitt liegt die Luftverschmutzung von Ahwaz weit über dem Höchstwert der WHO, der 50 µg pro Kubikmeter nicht überschreiten darf. Neben der Erdöl- und der
Chemieindustrie sorgen unzählige veraltete Autos und Motorräder sowie ein Kohlekraftwerk in der nahen Umgebung für Schadstoffemission in der Stadt. Auch viele neue Autos sind nicht mit Abgasfiltern ausgestattet.
Teheran zieht nach
Am 24. Oktober schlug die Teheraner Überwachungsbehörde für Luftqualität Alarm. Für gewöhnlich ist die Behörde mit der Herausgabe von Zahlen über Luftverschmutzung zurückhaltend. Sie bestätigte nun aber auf ihrer Webseite die Überschreitung der für Menschen verträglichen Grenzwerte.
Heshmatolah Bastami, Sprecher der Teheraner Behörde, erklärte, die Luftverschmutzung in der Hauptstadt des Iran sei extrem gesundheitsschädlich. Besonders gefährlich sei die Luftqualität in der letzten Oktoberwoche gewesen. Ältere Menschen, Kinder sowie Herz- und Lungenkranke wurden angehalten, in den kommenden Tagen zuhause zu bleiben. Für IranerInnen ist das keine Überraschung mehr. Mit Tüchern oder Schals vor dem Mund versuchen sie sich zu schützen. Viele Menschen tragen Atemmasken – wie Verkehrspolizisten auch.
Wer ist schuld?
Einer der Hauptgründe für die massive Luftverschmutzung sei die ignorante Haltung der bisherigen Regierungen der Umwelt gegenüber, klagen ExpertInnen. Ein Lungenspezialist in Teheran sagt im Gespräch mit TfI, der Anstieg der Zahl der Lungenkranken sei die Folge hoher Luftverschmutzung durch die Chemieindustrie, der die wichtigsten Abgasfilter fehlten. „Die meisten Industrieeinheiten, die die Luft verpesten, wurden in der Zeit der Regierung von Ahmadinedschad der Revolutionsgarde überlassen, und diese lässt sich nichts von der Umweltbehörde vorschreiben“, so der Lungenspezialist.
Viele tragen in Ahwaz Masken
Viele tragen in Ahwaz Masken

Masume Ebtekar, Leiterin der iranischen Umweltbehörde, erklärt in fast jedem Interview, die Gleichgültigkeit der Regierung von Ahmadinedschad der Umwelt gegenüber sei „einer der größten Schäden, die er den IranerInnen angetan“ habe. Mitte Oktober warnte sie in einem Zeitungsinterview: „Das Fehlverhalten der Menschen und besonders der Verantwortlichen beim Umweltschutz gefährdet die Zukunft des Landes und der kommenden Generation ernsthaft.“
Sanktionen
Manche Experten, vor allem diejenigen, die der Regierung von Ahmadinedschad nahestanden, machen die internationalen Wirtschaftssanktionen für den Missstand verantwortlich. Denn durch die Sanktionen sei die gesamte Industrie veraltet und dadurch umweltbelastender als neue Anlagen.
Mit dem Embargo von USA und EU gegen den Ölsektor war der Iran ab 2012 mehr als je zuvor auf eigene petrochemische Produkte angewiesen. Seitdem wurden dem Benzin bis zu 10 Prozent Benzol beigemischt, um die Zündtemperatur zu erhöhen – in Deutschland und der EU ist maximal ein Prozent erlaubt. Benzol verschmutzt die Luft enorm und ist krebserregend. Laut Masume Ebtekar ist auf Veranlassung der aktuellen Regierung von Hassan Rouhani der Anteil des Benzols im Benzin reduziert worden.
Nun schauen die iranische Regierung und die Bevölkerung gebannt auf die Ergebnisse der Atomverhandlungen, die am 24. November ein vorläufiges Ende finden sollen. Mit einer Einigung mit dem Westen im Atomstreit sind auch Hoffnungen auf die Erneuerung der iranischen Industrie und den Import von umweltverträglicherem Benzin verbunden. Das würde endlich zur Entlastung der iranischen Luft beitragen.
  SEPEHR LORESTANI
Übersetzt und überarbeitet von Said Shabahang