Antiarabisches Online-Mobbing

Die mutmaßliche Vergewaltigung zweier iranischer Jugendlicher in Saudi-Arabien hat in der iranischen Online-Community einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Nicht selten schlägt dabei die Wut in Rassismus um. Auch ein Hot-Topic: Das Auftrittsverbot für den Star-Musiker Shajarian. 

Das ohnehin schlechte Verhältnis zwischen dem Iran und Saudi-Arabien hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Sorgte der jüngste Konflikt zwischen den beiden Staaten über den Bürgerkrieg im Jemen bei den meisten IranerInnen höchstens für Kopfschütteln, entfachte ein anderer Vorfall heftige antiarabische Ressentiments. Zwei iranische Jugendliche sollen Anfang April im Flughafen der saudi-arabischen Stadt Dschidda von Grenzbeamten sexuell missbraucht worden sein. Iranische Politiker und Familienangehörige der Jungen sprechen sogar von Vergewaltigung und fordern die Bestrafung der beiden Polizisten.
Antiarabische Stimmung im Netz
Während bei öffentlichen antisaudischen Demonstrationen der Ton trotz aller Empörung bisher überwiegend gemäßigt blieb, nehmen die IranerInnen in Online-Diskussionsforen und sozialen Netzwerken derzeit kein Blatt vor den Mund: „Vergewaltigung zweier jugendlicher Pilger durch Polizisten? Auf einem Flughafen? So etwas ist nur den Arabern zuzutrauen“, schreibt ein User mit dem Pseudonym Aryamehr auf der Nachrichtenplattform Fararu. Ein anderer Besucher dieser Seite, Nahal, schreibt: „Diese furchtbare Tat zeigt mal wieder, wes Geistes Kind die Araber sind.“ Nicht nur die beiden 14- und 15-jährigen Jungen seien Opfer, „sondern das gesamte iranische Volk“, meint ein anderer anonymer User.
Ähnlich unkontrolliert ist die Wut der iranischen Online-Community auch auf anderen Plattformen. So schreibt Farnoosh unter einem Nachrichtenbeitrag auf der BBC-Farsi Facebookseite: „Dieser Vorfall zeigt mal wieder, wie sehr die Araber uns hassen. Und was machen wir? Wir reden und reden, anstatt den Flughafen in Dschidda in Schutt und Asche zu legen.“ Ein anderer User wünscht sogar allen Arabern den Tod: „Sie haben uns damals mit dem Schwert ihre Religion aufgezwungen. Und nicht einmal jetzt hören sie auf, uns Gewalt anzutun. Mögen sie alle in der Hölle schmoren“, wütet Farshad.
Ruf nach Mekka-Boykott
Doch nicht jede Kritik nimmt die Form eines verbalen Gewaltexzesses an. Manche IranerInnen rufen dazu auf, aus dem Geschehenen friedliche Konsequenzen zu ziehen. Besonders häufig wird dabei der Vorschlag geäußert, auf Pilgerfahrten nach Saudi-Arabien generell zu verzichten. So schreibt der User Milad auf „Searchchat.ir“: „Dieser Vorfall sollte jedem noch einmal vor Augen führen, dass die Mekka-Wallfahrten nichts Gutes mit sich bringen. Das Geld, das wir für diese Reise verpulvern, um letzten Endes vielleicht vergewaltigt heimzukehren, wäre besser im eigenen Land investiert.“ Ähnlich äußert sich Roya: Man solle doch das Geld lieber dafür ausgeben, im Iran Waisenkinder zu unterstützen, so ihr Vorschlag: „Gott liebt solche Menschen viel mehr als jene, die zwar vielleicht nach Mekka pilgern, aber ansonsten nichts für seine Schöpfung leisten.“ Ein anderer User ist gar der Ansicht, dass die Pilgerfahrt nach Mekka keine religiöse Pflicht mehr sei: „Solange der Saudi-Clan dieses Land regiert, ist Mekka ein gottloser Ort. Wer dorthin pilgert, der unterstützt indirekt diese teuflische Königsfamilie“, schreibt Reza auf der Webseite Andisheh Kermanshah. Genauso sieht das auch Amir: „Mit keinem Cent“ dürfe die Saudi-Familie durch IranerInnen finanziert werden, schreibt er.

Der Flughafen von Dschidda
Tatort: Der Flughafen von Dschidda

Doch bei weitem nicht jeder unterstützt einen Mekka-Boykott. Besonders religiöse IranerInnen erheben Widerspruch. So schreibt Zahra auf „Searchchat.ir“: „Es ist für mich als Muslima nicht möglich, auf die Wallfahrt zu verzichten. Ich kann nicht einfach wegen eines solchen Vorfalls meine religiöse Pflicht ignorieren. Ich finde, dass jeder Gläubige nach Mekka reisen sollte. Wer den Saudis einen Denkzettel verpassen will, kann vor Ort versuchen, so wenig wie möglich zu konsumieren.“ Auch Sanaa hält nichts von einem Mekka-Boykott: „Seit Hunderten von Jahren reisen die Gläubigen nach Mekka und kehren heil in ihre Heimat zurück. Man kann doch jetzt nicht wegen zwei verbrecherischen saudischen Beamten das ganze Prinzip der Pilgerfahrt in Frage stellen.“ Man solle doch auch bedenken, dass in Saudi-Arabien auch „sehr viele herzensgute Menschen“ leben, so Sanaa weiter.
IranerInnen distanzieren sich von Rassismus
Viele IranerInnen sind nicht nur entsetzt über die vermeintliche Vergewaltigung der beiden Jungen, sondern auch über die Reaktionen ihrer Landsleute darauf. So schreibt etwa Golshan auf BBC-Farsi: „Schämen sollten sich alle, die zu Gewalt gegen AraberInnen aufrufen.“ Man dürfe Hass nur gegen die Täter hegen und nicht gegen eine ganze Ethnie, schreibt sie weiter. Ähnlich sieht das Arsalan auf der Facebook-Präsenz von Radio Farda: „Niemals darf Wut zu Hass werden. Schon gar nicht zu Hass auf ein anderes Volk.“ Der Iran sei schon immer eine multiethnische Nation gewesen, zu der auch viele AraberInnen gehören, schreibt wiederum Parvin: „Wer AraberInnen beleidigt, beleidigt auch IranerInnen.“
Manche Web-User sind der Ansicht, dass die mutmaßliche Vergewaltigung für viele IranerInnen nur ein Vorwand ist, um antiarabische Ressentiments zu äußern. So auch MohammadReza auf BBC-Farsi: „Im Iran werden täglich Frauen, Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Die Täter sind meistens Iraner, und es gibt keinen Aufschrei. Sobald aber Afghanen oder, wie in diesem Fall, Araber die Täter sind, schäumt der iranische Online-Mob vor Wut.“

Konzert-Verbot für Shajarian

Mohammad Reza Shajarian, einem der berühmtesten Sänger des Iran, sei es künftig untersagt, Konzerte zu geben. Das sagte der Sprecher des iranischen Kulturministeriums Hossein Nooshabadi kürzlich gegenüber MedienvertreterInnen. Das Verbot sei aber keine Entscheidung seines von moderaten Kräften kontrollierten Ministeriums. Sie sei „von anderer Stelle“ angeordnet, sagte Nooshabadi weiter, ohne zu präzisieren, von welcher Instanz die Entscheidung gefällt wurde. Shajarian hat sich 2009 offen zur oppositionellen Grünen Bewegung bekannt und gilt als Kritiker der herrschenden politischen Ordnung des Iran.
Mohammad Reza Shajarian
Mohammad Reza Shajarian

Die Meldung von Shajarians Auftrittsverbot sorgt indes überwiegend für Kopfschütteln in der iranischen Online-Community: „Es ist schon beschämend, dass ein alter Künstler, der so viel für die iranische Kultur geleistet hat, so behandelt wird“, empört sich ein Besucher des Webportals „seeisee.ir“. User Faramarz fragt: „Geht man etwa so mit einer Ikone um?“ Fahimeh wiederum schreibt: „Die Mullahs kennen weder Scham noch Anstand. Ich denke nicht, dass Shajarian beleidigt ist. Er wusste schon, warum er dieses Regime kritisiert hat.“
Strafe wegen Kritik
Viele IranerInnen sind der Überzeugung, dass der Gottesstaat den unbequemen Musiker auf diese Weise ins Abseits stellen will. So auch Siamak auf der Facebookseite von Deutsche Welle Farsi: „Wer offen als Kritiker des Regimes auftritt, muss in diesem Land leider mit Konsequenzen rechnen. Das ist der Preis, den Shajarian für seine Kritik zahlen muss.“ Schon lange sei Shajarian den Herrschenden ein Dorn im Auge gewesen, schreibt wiederum Bita. Heydar stimmt ihr zu: „Die Geistlichkeit kann es nicht ertragen, wenn Künstler oder Sportler einen Platz im Herzen der Menschen haben. Aus ihrer Sicht dürfen die Menschen nur Gott, den Propheten, seine Familie und vielleicht den geistlichen Führer lieben.“ Vor 2009 habe die Islamische Republik keine Probleme mit Shajarian gehabt, schreibt auch Twitter-User Amin Mahouram, „die Repressalien gegen ihn gingen erst nach seinem Bekenntnis zur Grünen Bewegung los“. Twitter-User Shima Jabik hat dagegen einen anderen Verdacht: „Klassische iranische Musik erweckt den Geist. Das Regime will aber, dass die Menschen dumm bleiben. Deswegen geht man gegen Shajarian vor.“
Nur wenige IranerInnen zeigen dagegen Verständnis für das Konzert-Verbot. Zu dieser Minderheit gehört Mohsen auf dem Nachrichtenportal Khabar Online: Shajarian habe mit seinen regimekritischen Äußerungen dem Iran geschadet: „Dieser Mann hat bei jeder Gelegenheit im In- und Ausland den Iran schlechtgeredet. Er hat es verdient, bestraft zu werden. Keine Regierung der Welt würde solch einen Unruhestifter dulden“, glaubt Mohsen.
JASHAR ERFANIAN