Mehr Arbeitslose trotz wirtschaftlichen Wachstums

Die iranische Regierung versucht mit allen Mitteln, die tickende Zeitbombe Arbeitslosigkeit zu entschärfen. Während der geistliche Führer des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, vehement die Verbesserung der Wirtschaftslage fordert, räumen Regierungsvertreter ein, dass die Misere noch Jahre andauern werde.

Die Themen Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Aufschwung dominieren seit langem die politischen Reden im Iran – nicht zuletzt, weil Präsident Hassan Rouhani schon in seiner Wahlkampagne bei der Bevölkerung den Eindruck erweckt hatte, dass einem Atomdeal mit dem Westen ein wirtschaftlicher Boom im Land folgen werde.

Anfang des Jahres wurde zum zweiten Mal in Folge eine „widerstandsfähige Wirtschaft“ zum Jahresmotto gekürt. Das seit einigen Jahren von Ayatollah Khamenei festgelegte Jahresmotto bildet die größte Sorge der Verantwortlichen der Islamischen Republik ab. Khamenei kritisierte Mitte März deutlich die Wirtschaftspolitik der Regierung Rouhani: Sie habe sich in den vergangenen Jahren nicht allen Dimensionen der „widerstandsfähigen Wirtschaft“ gewidmet – sonst hätten sich längst positive Auswirkungen im Leben der Bevölkerung zeigen müssen. Eine „widerstandsfähige Wirtschaft“ definiert Khamenei als eine, die den ausländischen Druck, etwa die internationalen Sanktionen, aushalten kann.

Eine blühende Wirtschaft soll der Gefahr sozialer Unruhen im Iran den Nährboden entziehen. Schon jetzt versammeln sich Arbeitnehmer immer wieder vor staatlichen Einrichtungen oder dem Parlamentsgebäude oder streiken wegen ausbleibender Löhne. Laut der Nachrichtenagentur ISNA leben 70 Prozent der ArbeiterInnen und RentnerInnen im Iran unter der Armutsgrenze. Mitte Februar tauchte im Internet ein vertrauliches Schreiben des Sicherheitsrats der Provinz Isfahan auf, in dem die Vorstandsvorsitzenden der vier in dieser Provinz ansässigen Industriewerke aufgefordert werden, die verspäteten Löhne der ArbeiterInnen zu bezahlen, um jegliche Beschwerden kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 19. Mai zu vermeiden.

Ein wirkungsloses Wachstum

Die iranische Regierung strebt ein jährliches Wirtschaftswachstum von mindestens acht Prozent an, um die massive Arbeitslosigkeit abzubauen. 2016 verzeichneten ExpertInnen des Internationalen Währungsfonds IWF in einer Analyse der iranischen Wirtschaft ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 4,5 Prozent für 2016/17. Die Inflationsrate, die im letzten Amtsjahr von Präsident Mahmud Ahmadinedschad noch bei etwa 40 Prozent lag, sank 2016 auf 9,5 Prozent, so die IWF-Experten. Für das laufende Jahr prognostiziert der IWF aufgrund der von der Organisation erdölexportierender Länder OPEC festgelegten Exportrate für die Mitgliedsstaaten ein Wachstum von 3,3 Prozent.

StudentInnen feiern ihren Abschluss an der Freien Universität Ahar
Nach Regierungsangaben gibt es im Iran  jährlich 800.000 neue UniversitätsabsolventInnen 

Präsident Rouhani zieht eine positive Bilanz: Er sieht in den „Errungenschaften“ seiner Regierung bei der Abnahme der Inflation, dem Wirtschaftswachstum und dem Schaffen neuer Jobs „beispiellose Entwicklungen“ der letzten 25 Jahre. Dennoch lassen sich positive Resultate im alltäglichen Leben der IranerInnen bislang nicht nachweisen – unter anderem, weil sich das Wirtschaftswachstum laut Arbeitsminister Ali Rabie auf Bereiche beschränke, die trotz massiver Investitionen verhältnismäßig wenige Arbeitskräfte beschäftigten. „In der Ölindustrie schafft man mit 12 Milliarden Toman (etwa drei Millionen Euro) Investition einen Job, im Bereich Petrochemie mit etwa 3 Milliarden Toman (750.000 Euro) und in der Stahlindustrie mit 600 Milliarden Toman (150 Millionen Euro)“, so der Minister.

Ein Problem auch für die nächste Regierung

Angaben der iranischen Zentralbank, des iranischen Zentrums für Statistik und des parlamentarischen Forschungszentrums belegen, dass der beachtliche Anstieg des iranischen Bruttoinlandsprodukts auf den rasanten Anstieg des Ölexports nach dem Atomabkommen mit dem Westen zurückzuführen ist. Innerhalb kürzester Zeit nach der Aufhebung der Sanktionen im Januar 2016 konnte das Land seine Ölexporte von einer Million auf 2,6 Millionen Barrel pro Tag erhöhen.

Investitionen – besonders aus dem Ausland – in anderen Bereichen bleiben jedoch bislang aus. Aufgrund der Verbindlichkeiten des Iran gegenüber der OPEC und der verhältnismäßig niedrigen Ölpreise halten Experten einen weiteren Sprung des Bruttoinlandsprodukts in den kommenden Jahren für unwahrscheinlich. Laut offiziellen Angaben beträgt die Arbeitslosenquote im Iran zur Zeit 12,4 Prozent und weist damit im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 1,4 Prozent auf. 10,3 Prozent der Beschäftigten übten eine Teilzeitbeschäftigung von weniger als 24 Arbeitsstunden in der Woche aus.

Im vergangenen Jahr seien etwa 700.000 neue Jobs geschaffen worden, sagte Vizearbeitsminister Issa Mansouri Anfang Februar der Nachrichtenagentur Tasnim. Im gleichen Zeitraum seien etwa 1,2 Millionen neue Arbeitssuchende auf den Markt kommen – ein Großteil davon UniversitätsabsolventInnen. Vergangenen Dienstag zitierte die Website der staatlichen iranischen Rundfunkanstalt Arbeitsminister Rabie mit den Worten, dass die Arbeitslosenzahl nicht zurückgehen werde, selbst dann nicht, wenn in den nächsten vier bis fünf Jahren eine Million neue Arbeitsplätze geschaffen würden.

Mit anderen Worten: Auch die nächste Regierung wird keine Entspannung des Arbeitsmarkts verzeichnen können.

  IMAN ASLANI

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