Rouhanis Rechenstunde

Innenpolitisch hat Rouhani kaum eins seiner Wahlversprechen halten können. Die Menschenrechtslage wurde auf einigen Feldern wie der Zahl der Hinrichtungen und grundlosen Festnahmen, der Misshandlungen in Gefängnissen, dem Verbot von Zeitungen, Zeitschriften und Weblogs sowie dem Umgang mit ethnischen Minderheiten sogar schlimmer als unter seinem Vorgänger Ahmadinedschad. Hier ist insbesondere das Versagen der Rouhani-Regierung beim Schutz der etwa dreihundert- bis dreihundertfünfzigtausend Angehörigen der Baha’i-Religion zu betonen. Grabstätten der Baha’i werden zerstört, Geschäftsräume versiegelt, Angehörigen der Glaubensgemeinschaft wird das Studium an iranischen Universitäten und sogar das Selbststudium über digitale Lehrstätten verboten, Lehrende und Studierende werden verhaftet. Tätliche Übergriffe auf Baha’i, selbst Morde werden nicht geahndet. Zu allen diesen Verbrechen ist kaum etwas von den Verantwortlichen aus der Regierung zu hören.
Abgesehen hiervon war Rouhani zu keinem Zeitpunkt in der Lage, die politischen und rechtlichen Hindernisse bei der Realisierung seines Wahlprogramms ernsthaft anzugehen. Dazu hätte er die Legitimation der existierenden parallelstaatlichen Strukturen und die rechtswidrigen Interventionen der als Repressionsinstanz fungierenden Justiz infrage stellen müssen.
Machtlose Gouverneure 
In vielen Fällen konnten selbst die von seinem Innenminister ernannten Provinzgouverneure und Polizeichefs nicht dem Druck der örtlichen Fundamentalkräfte standhalten, sie gaben ihre Posten auf oder mussten abberufen werden. Vor seiner Wahl hatte Rouhani versprochen, die ohne Haftbefehl im Hausarrest festgehaltenen früheren Präsidentschaftskandidaten und Oppositionellen Mehdi Karrubi und Mir Hossein Moussavi wieder in Freiheit zu bringen. Es war auch dieses Versprechen, das ihm viele Stimmen aus dem islamischen Reformlager eingebracht hatte. Ebenfalls versprach er die Organisationsfreiheit, die Freiheit der Presse, der Filmkunst und der Musik. Die Universitäten sollten ihre Autonomie zurückbekommen. Er versprach die „Öffnung des politischen und kulturellen Raumes“, die Erweiterung der gesellschaftlichen Möglichkeiten für die Jugend, die Erweiterung der Frauenrechte.
Aber gerade in diesem Punkt demonstrierte Rouhani seine absolute Ohnmacht. Als im Herbst 2014 auf Geheiß islamischer Fundamentalisten in verschiedenen Provinzen des Landes Säureattentate auf junge Frauen verübt wurden, konnte Rouhani in keinem einzigen Fall dazu beitragen, die eigentlich Verantwortlichen oder die unmittelbaren Täter festnehmen und vor Gericht stellen zu lassen. Zu mächtig waren diejenigen, die selbst bescheidene Freiheiten der Frauen fürchten und sie aus dem öffentlichen Leben verbannen wollen. Sie sind der Meinung, dass die freie Auswahl ihrer Kleidung und selbst von deren Farben Frauen nicht zugestanden werden dürfe.

Viele junge Frauen verschaffen sich Zugang zu den Stadien, indem sie sich als Mann verkleiden
Immer noch dürfen iranische Frauen sich die Spiele der Männer in den Stadien nicht anschauen, sie umgehen aber das Verbot, indem sie sich als Mann verkleiden!

 
Selbst Unterstützer Rouhanis durften oft nicht als Redner auftreten. Dabei wurde die Ohnmacht des mit großer Hoffnung gewählten Präsidenten gleich zu Beginn seiner Regierungsarbeit offenkundig. In seiner Kabinettsliste tauchte zum allgemeinen Erstaunen Mostafa Pour Mohammadi als Justizminister auf. Dieser hatte im Sommer 1988 auf Geheiß Khomeinis zusammen mit zwei weiteren Vertrauten des Revolutionsführers innerhalb weniger Wochen die Hinrichtung von mehreren Tausend Oppositionellen befohlen. Es wird von 3.000 bis 4.482 Hingerichteten berichtet. Die Ernennung eines Massenmörders zum Justizminister ist eines der dunkelsten Kapitel der Ära Rouhani. Man hätte annehmen können, dass er wenigstens bemüht sein würde, die Hinrichtungswelle vergangener Perioden zu stoppen. Tatsächlich wurden im ersten Jahr seiner Regierung 814 Menschen hingerichtet, im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 47 Prozent. Laut dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Ahmad Shahid, wurden 2014 mindestens 965 Menschen im Iran hingerichtet, das wäre die höchste Zahl der vergangenen zwanzig Jahre. 2015 wurden die Hinrichtungszahlen des Jahres 2014 um 40 Prozent übertroffen. Im Jahr 2016 wurde täglich mindestens ein Mensch hingerichtet. Entgegen seiner früheren Beteuerungen, für eine starke Einschränkung der Hinrichtungen einzutreten, scheint Rouhani die erfolglose Praxis der Vorgängerregierung hinzunehmen, Hinrichtung als Kampfmittel zur Einschränkung schwerer Straftaten einzusetzen.
Fazit
Rouhani hatte bei seiner Kandidatur für die Präsidentschaft gute Vorsätze. Als Mann des Systems und Vertrauter von Revolutionsführer Ayatollah Khamenei hoffte er darauf, den chinesischen Entwicklungsweg gehen zu können: politische Öffnung nach Westen, ausländische industrielle Kapitalinvestitionen, größere Konkurrenz auf dem Binnenmarkt und die Weltmarktintegration des Landes. Das war den Hardlinern des Systems jedoch zu viel. Sie befürchteten die Aufweichung ihrer Herrschaftsstrukturen und einen „Regime Change“. Die gegen das Land verhängten Wirtschaftsembargos sollten aber dennoch fallen, denn ohne Erdöleinkommen und Wirtschaftsverkehr war auch ihr System nicht haltbar. Rouhani bekam den Auftrag, dieses Problem zu lösen.
Vier Jahre Regierung Rouhani haben der Bevölkerung des Iran nicht viel gebracht: Arbeitslosigkeit, Repression, Rechtlosigkeit und Menschenrechtsverletzungen beherrschen das gesellschaftliche Klima und das Leben der Menschen. Rouhani hat zwar den Nuklearkonflikt mit dem Westen entschärft und einen Krieg verhindert. Die Region hat er dabei aber völlig vergessen. Die arabischen Staaten wollen die Dominanz des Iran in der Region nicht mehr dulden. Sie organisieren sich mit der Unterstützung Israels und der USA in einer „Arabischen Nato“. Es droht die Möglichkeit einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung mit den konkurrierenden Staaten der Region unter Beteiligung Israels und der USA.
 MEHRAN BARATI
Auch diese Artikel können Sie interessieren:
Gefährliche Drohkulisse statt friedlicher Ökumene
Abwarten: das Irangeschäft und die Auslandsiraner
Schwieriger als das Atomabkommen: ein Statut für Bürgerrechte
Schwindende Hoffnung