Schwieriger als das Atomabkommen: ein Statut für Bürgerrechte

Atomabkommen und Bürgerrechtsstatut:  Diese beiden Wörter waren sein Programm. Der iranische Präsident Hassan Rouhani versprach im Wahlkampf vor vier Jahren, er werde beides verwirklichen. Die Einigung mit den ausländischen Mächten im Atomstreit beseitige die Kriegsgefahr, eine Charta für Bürgerrechte brächten innere Versöhnung. Das Atomabkommen hat er unterzeichnet. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit löst Rouhani nun sein zweites Versprechen ein und legt ein Bürgerrechtsstatut vor. 

Die Geburtswehen dauerten ganze vier Jahre. Beim freudigen Ereignis am 19. Dezember herrschte dann feierliche Stimmung. JournalistInnen aus dem In- und Ausland hielten den Moment fest, TV-Kameras übertrugen es live.

In dem großen Festsaal, in dem das Ereignis stattfand, saß Irans Präsident Hassan Rouhani hinter einem überdimensionalen Schreibtisch. Seine Kabinettsmitglieder standen lächelnd hinter ihm, die Saalgäste klatschten euphorisch. Dieses „historische Bild“ sollte schließlich für alle Zeiten festgehalten werden und zeigen, wie der Präsident endlich sein Wahlversprechen einlöst.

Das Publikum wusste bereits, wer gerade das Licht der Welt erblickte, der Name stand seit vier Jahren fest: Geboren war ein „Bürgerrechtsstatut“. Ein mehrseitiges Dokument, das Rouhani an diesem Tag signierte – und der Präsident war sich bewusst, dass dieses Wort mit vielen Erwartungen verbunden ist, ja, dass es in den Ohren mancher BürgerInnen so hoffnungsvoll und zukunftsweisend klingt wie das Atomabkommen.

Denn diese beiden Begriffe bildeten sein ganzes Regierungsprogramm, mit dem er im Wahlkampf vor vier Jahren auf Stimmenfang gegangen war. „Ein Atomabkommen wendet die Gefahren aus dem Ausland ab, ein Bürgerrechtsstatut bringt Versöhnung im Inneren“: Das war Rouhanis Wahlkampfcredo, zwei Schlüsselbegriffe für die Lösung aller Probleme des Iran.

Keineswegs abwegig. Der Atomdeal, unterzeichnet vor zwei Jahren, beseitigte in der Tat reelle Kriegsgefahren. Inzwischen spricht niemand mehr, nicht einmal Israel, von einer Militäroption gegen den Iran. Die anderen Früchte des Atomdeals lassen zwar noch auf sich warten, doch die unmittelbare militärische Gefahr aus dem Ausland ist momentan gebannt.

Mischung der Gegensätze

Immer wieder werden widerspenstige Frauen schon auf der Straße geprügelt
Kann die Bürgerrechtscharta des Präsidenten derartige Szenen in Zukunft verhindern? (Foto: Verhaftung einer Frau in Teheran wegen der nicht-Einhaltung der islamischen Kleiderordnung)

Und jetzt, praktisch am Ende seiner Amtszeit, ist Rouhanis zweites Versprechen an der Reihe: das Bürgerrechtsstatut – eine sehr schwierige Geburt, jedenfalls schwieriger als das Atomabkommen mit den ausländischen Mächten war.

Rouhanis Bürgerrechtsstatut, für das er so lange und so vehement geworben hatte, umfasst 120 Paragraphen – und es ist ein Sammelsurium. Vieles ist abgeschrieben aus der Verfassung der Islamischen Republik Iran selber, einiges übernommen aus der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen (UN), anderes wiederum sind Beschlüsse mächtiger Institutionen des Landes wie des Rats für Kulturrevolution. Und entsprechend vieldeutig, widersprüchlich und verwirrend liest sich das Paragraphenwerk.

Warum es in der Islamischen Republik vier Jahre dauern musste, bis der Präsident ein solches Papier vorlegen konnte, fragte ein Reporter die Beraterin des Präsidenten, Elahe Aminzadeh, die als Autorin der Paragraphen gilt. Das Papier sei eigentlich bereits in den ersten hundert Tagen nach der Wahl fertig gewesen, antwortet die. Doch Einwände und Kritik wären so zahlreich und vehement gekommen, dass es bis zur Veröffentlichung dann eben noch drei Jahre gedauert habe.

Nichts als Wünsche

Der Berg kreißte fast vier Jahren und produzierte nicht einmal eine Maus – eher ein ungenießbares Gebräu, kommentierte am nächsten Tag die Webseite von Radio Farda. Ähnlich hämisch waren die Reaktionen in den sozialen Netzwerken. Im Iran selbst wurde das „Statut“ dagegen kaum kommentiert. Denn die Paragraphen sind weder Gesetze noch gelten sie als Anordnungen der Exekutive. Sie sind lediglich Empfehlungen des Präsidenten, also eine Art Bitte an die Machtorgane des Iran.

Während Rouhani in Teheran sein Bürgerrechtsstatut der Weltpresse präsentierte, hielt fast zeitgleich Asma Jahangir, UN-Sonderberichterstatterin für den Iran, eine Pressekonferenz im UN-Gebäude in New York ab.

Unermessliche Kluft

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