Der Waffengang der Schlafwandler

Niemandem wird ein Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien nutzen, nicht einmal den Mächtigen Mohammad Ben Salman in Riad und Ayatollah Ali Khamenei in Teheran. Im Gegenteil: Diese beide Männer werden dabei möglicherweise sogar ihre Macht verlieren. Doch es gibt mächtige Kreise inner- und außerhalb dieser Länder, die einen Krieg wollen. In Teheran ist die Tageszeitung Keyhan Sprachrohr der Kriegstreiber.
Von Ali Sadrzadeh
„Le Monde“ war sein Vorbild: Qualität und Einfluss seiner Zeitung sollten immer dem Pariser Beispiel folgen. Deshalb nannte er seine Tageszeitung Keyhan: die Welt, das Universum, der Globus.
 Die Vierziger Jahre als Dekade der Freiheit
Der Zeitungsgründer war ein gebildeter Mensch, verstand sich als Vollblutjournalist und kannte sich in der Welt sehr gut aus. Der zweite Weltkrieg war in Europa in vollem Gange, als in Teheran am 1. Februar 1942 die Zeitung Keyhan das Licht der Welt erblickte. Weltkriegschaos hatte längst den Iran erreicht. Und es schuf viele Freiräume für allerlei Abenteurer – auch für Journalisten und politische Gruppierungen. Es klingt daher für viele Europäer merkwürdig, wenn Iraner die Vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Dekade der Freiheit nennen.
Wahrscheinlich war es eine Freiheit im Chaos. Es dauerte jedenfalls bis 1953. Dann setze auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs ein vom CIA inszenierter Putsch dieser Dekade von Chaos/Freiheit ein Ende. Die USA sagten später, der Putsch habe einen „drohenden Kommunismus“ im Iran abgewendet. Der erste freigewählte Ministerpräsident des Iran wurde jedenfalls gestürzt, was sich im Volksgedächtnis für immer und unauslöschlich einprägte.
Das größte Verlagshaus im Mittleren Osten
Doch die Keyhan überlebte den Putsch. Und sie wurde sogar immer beliebter. Denn zwischen den Zeilen konnte man lesen, wie sich die Blattmacher bemühten, immer mehr Distanz zu den Mächtigen zu gewinnen. Manchmal kamen sogar landesweit bekannte Oppositionelle in der Zeitung zu Wort.
Im Revolutionsjahr 1978/79 verwandelte sich die Keyhan praktisch in ein Sprachrohr der Revolution, die allen Journalisten des Landes mehr Freiheit versprach. Der Zeitungsgründer erkannte sehr früh die Zeichen der Zeit und verließ das Land schon Anfang 1978. Keyhan war zu dieser Zeit mehr als eine Zeitung. Der Name stand für das größte Verlagshaus des Nahen Ostens mit etlichen Publikationen und mehreren Buchverlage für allerlei Geschmack und Interessen.

Die Zeitung "Keyhan" vom 21. Januar 1979 - drei Wochen vor dem Sieg der Revolution - huldigt den noch im Exil lebenden Revolutionsführer Ayatollah Khomeini
Die Zeitung „Keyhan“ vom 21. Januar 1979 – drei Wochen vor dem Sieg der Revolution – huldigt den noch im Exil lebenden Revolutionsführer Ayatollah Khomeini

 
 Spiegel der Revolutionsgeschichte
Schon in den ersten Stunden des Umsturzes bemächtigten sich die Revolutionäre der Redaktion der Tageszeitung Keyhan in einem mehrstöckigen Hochhaus im Zentrum der Hauptstadt. Denn auf Keyhan konnte man keineswegs verzichten. Sie war die berühmteste Tageszeitung des Landes und zugleich ein wichtiges und mächtiges Verlagshaus – ein ideales und sehr geeignetes Propagandainstrument für die neuen Machthaber. Und nun, fast vierzig Jahre danach, kann man am Beispiel dieser Zeitung die Geschichte der islamischen Revolution studieren. Nicht nur die Artikel, sondern auch die Schicksale ihrer Journalisten spiegeln die verschiedenen Phasen dieser dramatischen und blutigen Revolution wider. Sie zeugen davon, wie sich die Hoffnungen sehr bald in Enttäuschungen verwandelten, wie Reporter und Redakteure entlassen, verhaftet und hingerichtet wurden, und wie ihr jetziger Chefredakteur zu einer unantastbaren Institution aufstieg.
Der Mann mit der Betonsprache
Hossein Shariatmadari heißt er und besitzt eine klare und harte Sprache, die das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel einmal mit Beton verglich. Die Kommentare des Siebzigjährigen sind oft gespickt mit Hintergrundinformationen. Sie gelten gemeinhin als die wahre und eigentliche Meinung von Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei.
Shariatmadari sitzt bei fast jeder öffentlichen Audienz Khameneis in der ersten Reihe. Er hat für den mächtigsten Mann des Landes die Bezeichnung „Herr“ eingeführt, die inzwischen von allen prinzipientreuen Medien und Freitagspredigern benutzt wird. Das Wort „Herr“ assoziiert im Persischen Vater, Feudalherr und Besitzer der uneingeschränkten Souveränität. In Shariatmadaris Verständnis allerdings ist Khamenei der Imam, angelehnt an Ali, den ersten Imam der Schiiten.
Khameneis inoffizieller Sprecher
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