Russische Lufthoheit im Iran

Russische Bomber starten ihre Angriffe in Syrien vom iranischen Stützpunkt Hamadan aus. Erstmals nutzt damit eine ausländische Macht iranisches Territorium, um in einem Drittland einzugreifen. Das ist ein historischer Vorgang und ein Tabubruch zugleich. Und es wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Teheran und Moskau. Irans Rolle im syrischen Krieg ist die eines Befehlsempfängers. Die Lufthoheit besitzen andere.
„Wo bleibt die Unabhängigkeit, was ist aus der Hauptparole unserer Revolution geworden?“, fragte vergangenen Mittwoch ein Leser im Leserforum der Nachrichtenagentur Fars. Eine berechtigte Frage, zur richtigen Zeit an die richtige Adresse gestellt.
Das Ereignis, auf das der verärgerte Leser sich bezog, war für Radio- und TV-Stationen eine Topmeldung. Sie lautete: Der Iran stellt seinen Militärstützpunkt Hamedan als Startbasis für russische Luftangriffe in Syrien zur Verfügung. Ein einmaliger, viele meinen ein historischer, auf jeden Fall ein für den Iran bedeutender Vorgang – und zwar in jeder Hinsicht, außen- wie innenpolitisch. Als die Nachrichtenagentur Fars sich – mit einem Tag Verspätung – entschied, vorsichtig und verklausuliert über die Geschichte zu berichten, war die Sensation vielen IranerInnen längst bekannt, persischsprachigen Satellitensendern aus dem Ausland sei’s gedankt. Trotzdem war die Angelegenheit selbst für die Agentur, die der Revolutionsgarde nahe steht, immer noch zu heikel. Deshalb wurde sie in eine andere Story verpackt. „Strategische Bomber Russlands“ lautete der Titel des langen Beitrags, in dem ein anonymer Autor die Besonderheiten russischer Langstreckenbomber pries. Deren Nutzung des iranischen Stützpunktes in Hamedan erwähnte er dabei nur beiläufig.
Historischer Tabubruch
Dabei ist gerade dieses Details das eigentlich Besondere an der Story. Denn das ist das erste Mal in der langen Geschichte des Irans, dass eine ausländische Macht iranisches Territorium benutzt, um in einem dritten Land einzugreifen.
Vom 16. August 2016 würden Historiker zukünftig öfter sprechen, meint deshalb Professor Schariati Nia von der Universität Teheran. An diesem Tag wurde ein fast heiliges nationales Tabu gebrochen. Zeitgleich verstößt, was die russische Armee sich erlaubt, gegen die Verfassung des Irans. Da steht in Paragraph 164 unmissverständlich: „Die Errichtung militärischer Stützpunkte einer ausländischen Macht auf iranischem Territorium ist verboten, auch wenn sie friedlichen Zwecken dienen.“
Iran als Sowjetrepublik?

Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei (re.) mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin
Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei (re.) mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin

Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass die iranische Verfassung in Putins Strategien eine Rolle spielt. Frappierend ist nämlich auch die Selbstverständlichkeit, mit der die russische Armee den wichtigsten iranischen Luftstützpunkt und den gesamten Luftraum des Irans benutzt. Als ob die Sowjetunion weiterhin existierte, behandeln die Machthaber in Moskau den Iran wie eine Sowjetrepublik.
Die Russen fühlten sich im Iran längst zu Hause, der Iran sei praktisch ihr Hinterhof, schrieb deshalb zwei Tage nach dem Vorfall ein Kommentator auf der Webseite von Radio Farda. Und als ein Teheraner Abgeordneter 24 Stunden nach dem Ereignis vorsichtig fragte, auf welcher gesetzlichen Grundlage russische Bomber im Iran stationiert seien und ob dies mit der Verfassung vereinbar wäre, wurde er von Parlamentspräsident Larijani zurechtgewiesen: Es gebe dazu einen Beschluss des nationalen Sicherheitsrats, antwortete er kurz und knapp.
Propaganda nähert sich der Wirklichkeit
Und da die Beschlüsse dieses Rates grundsätzlich geheim sind, erübrigen sich weitere Fragen. Geheim bleibt prinzipiell vieles, was mit dem Syrienkrieg zu tun hat. Wie viele Iraner kämpfen dort und wo genau? Was tun sie und was dürfen sie tun? Solche und ähnliche Fragen bleiben zwar weiterhin unbeantwortet. Sprachlich nähern sich die iranischen Medien aber der Realität. Es ist inzwischen nicht mehr von „Beratern“ die Rede, sondern öfter von Kämpfern. Ungewiss ist aber weiterhin, wie viele Iraner aus welchen Einheiten in Syrien kämpfen. Auch die genaue Zahl der bisher dort Gefallenen ist unbekannt.
Gehorchen oder sterben
Ebenso ungewiss ist, welchen Spielraum die Iraner in Syrien haben und wie ihr Verhältnis zu den russischen Militärs ist. All das bleibt den Zwischenzeilen vorbehalten – es sei denn, es passiert etwas Ungewöhnliches. Dann erfährt man wie beiläufig Grundsätzliches über den Krieg.
Wie etwa am 8. Mai, als dreizehn zum Teil hochrangige Offiziere der iranischen Revolutionsgarden in Chan Tuman in der Nähe Aleppo getötet wurden. Der Ort war von Rebellen erobert worden. Am nächsten Tag tauchte auf vielen iranischen Webseiten die Frage auf, warum es keine Unterstützung aus der Luft gegeben hatte: Wo war die russische Luftwaffe gewesen?
Das fragte etwa die Webseite Tasnim, die als Sprachrohr der Revolutionsgarden gilt. Und die gut informierte Seite Iran Diplomacy antwortete, die Kämpfe in Chan Tuman seien ohne Absprache mit den Russen geführt worden. Wahrscheinlich seien diese gegen die Operation gewesen, daher die hohe Verlustzahlen.
Die Lehre von Chan Tuman: Die Iraner mögen in Syrien politisch eigene Interessen verfolgen. Militärisch müssen sie aber als Bodentruppe der Russen fungieren, sonst hätten sie hohe Verluste zu kalkulieren. So einfach und klar sind die Verhältnisse.
Russland bestimmt den Weg
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