ENTSPERRTE SCHLÖSSER

Mahvash Sabet ist eine der sieben führenden VertreterInnen der Bahai-Gemeinde, die im Iran im Gefängnis sitzen. Sie wurde vergangene Woche nach etwa 10 Jahren Haft freigelassen. Impressionen der Schriftstellerin und Übersetzerin Bahiyyih Nakhjavani*.


Vergangene Woche verließ eine Frau das Evin-Gefängnis in Teheran. Ihr Gesicht war nach langer Haft blass geworden, aber ihre Augen strahlten hell. Ihr Haar, schulterlang und dunkel, als sie zum ersten Male durch jenes Tor getreten war, erreichte nun ihre Hüfte und schimmerte grau unter ihrem violetten Kopftuch hervor. Auf die Fragen der auf sie wartenden Journalisten schien sie vorbereitet, doch ihr Blick ließ keinerlei Erwartungen ahnen – lediglich eine leise Dankbarkeit.
Als ich das Foto von Mahvash Sabet sah, wie sie vor dem Evin-Gefängnis stand, ergriff mich ihr Blick. Wir sind uns nie begegnet, hatten nur einmal miteinander gesprochen, während ihres kurzes Hafturlaubs nach acht Jahren ununterbrochener Inhaftierung. Und obwohl ich monatelang an der Übersetzung ihrer Gedichte arbeitete, hatte mich nichts auf ihre ungezwungene Anmut nach all den Jahren Haft vorbereitet.
Mahvash Sabet wurde wegen ihres Bahai-Glaubens, der von den Mullahs als ketzerisch angesehen wird, inhaftiert. Bei ihrer Verhaftung zusammen mit weiteren sechs Kollegen (als Yârân bekannt), war sie Aufgaben in Einrichtungen der Bahai-Glaubensgemeinschaft nachgegangen, die offiziell aufgelöst worden waren, als Khomeini an die Macht kam.
Als größte religiöse Minderheit im Iran trägt die Bahai-Gemeinschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Last der Verfolgung. Willkürliche Verhaftungen, brutale Hinrichtungen und tragisches Verschwinden sind auch unter dem gegenwärtigen Regime an der Tagesordnung. Doch der systematische Plan der Islamischen Republik, jedwede Wurzeln und Spuren dieses friedlichen Glaubens zu beseitigen, wurde weltweit verurteilt.
Vor ihrer Verhaftung war Mahvash, die Psychologie und Pädagogik studiert hatte, auch für die Angelegenheiten der Bahai-Jugend zuständig, die in der Schule schikaniert und von den Universitäten ausgeschlossen werden. Sie war eine gute Sprecherin und bekannt für ihre mutmachenden Briefe und die Gedichte, die sie mit Freunden und Familie teilte. Als sie verhaftet wurde, war sie zu Besuch bei den Bahai von Maschhad.
Nachdem sie über ein Jahr lang ohne rechtlichen Beistand eingesperrt war und schließlich in einem Schauprozess verurteilt wurde, erhielt Mahvash im Jahr 2008 eine grausam lange Strafe, die erst kürzlich auf zehn Jahre herabgesetzt wurde.
In den letzten vier Jahrzehnten wurden viele ins Evin-Gefängnis gesteckt. Viele, wie auch die Bahai, werden nie dort herauskommen. Und viele, die dort verbleiben, verbitterten. Doch Mahvash entfloh der Bitterkeit durch Poesie. Außer des Privilegs, denselben Glauben zu teilen, hatten mich tatsächlich ihre Gedichte auf sie aufmerksam gemacht.

Sieben Mitglieder des Führungsgremiums der Bahai im Iran sitzen seit 2008 in Haft
Die inhaftierten Mitglieder des Führungsgremiums der Bahai im Iran – (rechts: Mahvash Sabet)

Vor ungefähr vier Jahren erreichte uns im Ausland eine Handvoll von Mahvashs Gedichten. Wie bei vielen anderen Persischsprachigen auch lag die Dichtung in ihrem Blut, dennoch hat sie sich nie als Poetin bezeichnet. Ihre Worte brachten mich zum Weinen – nicht nur, weil sie die schrecklichen Umstände schilderte, sondern wegen ihres Mitgefühls. Ihre Gedichte wurden Anderen gewidmet. Sie kritzelte auf Papierservietten, um Zeugnis über das Leiden Anderer abzulegen.
Sie schrieb auch über die Hoffnung innerhalb der Gefängnismauern, auf der Suche nach jedem Zeichen, das sie finden konnte, ein Stückchen vom blauen Himmel, eine Distel auf dem Boden, um auch hinter diesen Mauern zuversichtlich zu bleiben. Sie suhlte sich nicht in Trauer; sie hatte keinerlei Illusionen über sich selbst. Sie versuchte lediglich ihre Stimmung und jene der Anderen so weit über solche Mauern zu heben, wie sie nur konnte.
Ich verspürte den Drang dabei zu helfen, dass ihre Gedichte die Welt erreichen.
Seit 2011 übertrug ich mithilfe anderer Mahvashs Verse ins Englische. Prison Poems (Gefängnis-Gedichte), 2013 in Großbritannien erstveröffentlicht, fand seitdem in den USA, in Kanada und Australien weite Verbreitung. Es erschienen ebenso Auflagen auf Französisch, Deutsch und Italienisch sowie das Original auf Persisch. Basierend auf ihren Gedichten ging Anfang des Jahres beim International Church Music Festival in Oslo die Performance der Komposition von Lasse Thoresen einher.

Seitdem sie am 15. November 2014 vom Schriftstellerverband PEN International zu einer von fünf „Imprisoned Writers of the Day“ erkoren wurde, erlangte Mahvash auch international Bekanntheit. Obgleich sie hinter Gittern saß, reichten ihre Gedichte über diese hinaus. Sie sind ein Eintreten für die menschliche Seele, der Beweis, das das Leben des Verstandes und der Elan des Geistes niemals eingesperrt werden können.
Vielleicht also hängt der Verweigerung Mahvashs, im Evin-Gefängnis ihre Haare schneiden zu lassen, etwas Symbolisches an. Ihre wallenden Locken, die hinter den Gefängnismauern lang und grau wurden, stehen für ihre uneingeschränkte Geistesfreiheit.
Als ich jenes Photo vom Augenblick ihrer Entlassung sah, ihr leichtes Lächeln erblickte sowie die eleganten Haare unter ihrem violetten Kopftuch, musste ich feststellen, dass diese Frau gar keine Übersetzung braucht.
Sie war ihr ganzes Leben lang frei gewesen.♦

Übertragen aus dem Englischen von Ali Fathollah Nejad

*Die Schriftstellerin Bahiyyih Nakhjavani lebt in Frankreich. Im Iran geboren, wuchs sie in Uganda auf. Nach ihrem Studium in Großbritannien und den USA lehrte sie Literatur in vielen Ländern. Sie ist Autorin von Sachbüchern und Romanen sowie Übersetzerin persischer Poesie ins Englische. Ihre letzte Veröffentlichung „Us & Them“ ist eine Satire über die iranische Diaspora.

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