Mehr Freiheit durch Fußball

Dass iranische Fußballer im deutschen Profifußball spielen, ist eine Jahrzehnte lange Tradition. Für Fußballbegeisterte im Iran liefert das nicht nur sportliche Faszination, sondern auch Inspirationen für eine moderne und liberale Lebensführung.

Der deutsche Fußball genießt seit vielen Jahrzehnten hohes Ansehen bei IranerInnen. Egal, ob die Weltmeister von 1954 um die deutsche Trainerlegende Sepp Herberger, die glorreiche Generation der 1974er Weltmeister um Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier, die 1990er Weltmeistertruppe mit Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann und Andreas Brehme oder die amtierende Weltmeistermannschaft von Jogi Löw: Deutscher Fußball übt traditionell eine magische Ausstrahlung auf Fußballfans im Iran aus.

Warum ausgerechnet dem bis vor einigen Jahren noch als „maschinell“, physisch stabil und diszipliniert geltenden deutschen Fußball bei den eher auf elegante Balltechnik fokussierten IranerInnen solche hohe Beliebtheit zuteil wurde, darüber werden unter Fußballfachleuten mit interkulturellem Verständnis spannende Diskussionen geführt.

Die ersten Iraner im deutschen Fußball

Es ist kaum ein Zufall, dass es iranische Top-Fußballer von je her immer wieder gerade nach Deutschland und in die Bundesliga zieht. Der deutsche Fußball steht für Erfolg, Verlässlichkeit und eisernen Ehrgeiz – wesentliche Aspekte, nach denen sich iranische Fußballer sehnen und die sie auf der Vereins- und Verbandsebene im eigenen Land kaum vorfinden.

Die Liste der iranischen Fußballer in Deutschland reicht bis ins Jahr 1957 zurück. Damals war es Irans Nationalspieler Bijuk Jadidkar, dessen Dienste sich der Verein Viktoria Berlin (angeblich mit einem Monatssalär von 1.500 Deutschen Mark) sicherte und damit den ersten iranischen Fußball-Legionär in der Geschichte des bezahlten deutschen Fußballs präsentierte.

Mohammadreza Adelkhani, der erste iranische Legionär im deutschen Fußball
Mohammadreza Adelkhani, der erste iranische Legionär im deutschen Fußball

Als erster iranischer Torschütze ging jedoch neun Jahre später ein gewisser Mohammadreza Adelkhani in die Annalen der Bundesliga ein. Dieser traf in der Saison 1966/67 insgesamt vier Mal für Rot-Weiß Oberhausen in der 2. Bundesliga ins gegnerische Tor. Das war die Initialzündung für die mediale Aufmerksamkeit für den deutschen Fußball im Iran.

Seitdem fungiert der deutsche Fußball bei Fußballinteressierten im Iran als Maßstab und Qualitätsmarke. In Anlehnung an die deutschen Vorbilder prägen Nachahmungen verschiedenster Art – sei es in der Spielweise, beim Outfit, der Gestik oder der Spitznamengebung – die Basis des Lifestyles vieler Fußballfans im Iran.

Dieser Trend ließ sich auch nach der islamischen Revolution im Iran nicht aufhalten. Obwohl die inländische Berichterstattung in den Medien in den Jahren 1986 bis 1987 im Hinblick auf die beiden Legionäre Hamid Ali-Dousti (FSV Salmrohr) und Reza Ahadi (Rot-Weiß Essen) den restriktiven Vorgaben Tribut zollen musste: Das Spiel im Ausland, der Auftritt in Trikots ausländischer Mannschaften wurde von der Staatsführung als Untreue und fehlende Solidarität zum eigenen Land eingestuft. Daher wurden Ali-Dousti und Ahadi seinerzeit für ihr Engagement in Deutschland mit dem Rauswurf aus der iranischen Nationalmannschaft bestraft. Iranische Fußballfans ließen sich über Umwege dennoch über Auftritte der beiden Spieler informieren.

Neue Maßstäbe: die Iraner beim FC Bayern München

Rund zehn Jahre später startete die große Welle der Transfers iranischer Spitzenfußballer in die Bundesliga. Ali Daei, Vahid Hashemian und Ali Karimi schafften sogar den Sprung ins Trikot des Weltclubs Bayern München. Die Popularität des FC Bayern im Iran ist immens: Der Verein verfügt über eine Vielzahl organisierter Fanclubs im Iran.

Spätestens mit dem Auftritt dieser drei im Inland gefeierten Idole im Kader des deutschen Rekordmeisters standen das Selbstverständnis und die Identitätsfindung sportinteressierter Iraner im Inland im Zeichen der Erfolge ihrer im Deutschland tätigen Idole. Denn im Zeitalter des Internets verfolgt der iranische Fußball-Liebhaber immer müheloser jedes Detail des öffentlichen Lebens der iranischen Spieler in Deutschland und trotzt so der staatlichen Zensur der inländischen Medien. Auch die traditionelle Teilnahme der iranischen Bayern-Stars am jährlichen Oktoberfest mit der beliebten Maß Weißbier wurde von den Iranern virtuell miterlebt – obwohl sich die iranischen Spieler zwecks Vermeidung von Problemen mit dem iranischen Staat – zumindest bildlich – vom Bier fernhielten.

Moderner Lebensstil dank Impulsen der Fußball-Legionäre

Das Erscheinungsbild iranischer Fußballer im deutschen Fußball, ihre Auftritte außerhalb des Fußballfelds beeinflusst den Lebensstil der jüngeren, westlich orientierten Iraner. Haarschnitt, Kleidungsstil, liberales und gesellschaftskritisches Gedankengut wie bei Ali Karimi und Masoud Shojaei, Musik-Vorlieben oder gar ihre Tattoos werden nachgeahmt.

Ashkan Dejagah darf bei Länderspielen seine Arm-Tätowierungen zeigen
Ashkan Dejagah darf bei Länderspielen seine Arm-Tätowierungen zeigen

Die Fußballstars Karimi und Shojaei eckten in der Vergangenheit immer wieder mit ihren kritischen Positionen zur Korruption, Armutsbekämpfung und freier Meinungsäußerung im Iran an, was ihre Ladung vor die so genannte Ethik-Kommission des iranischen Fußballverbandes zur Folge hatte. So solidarisierten sich die beiden populären Kicker demonstrativ mit der unterdrückten oppositionellen „Grünen Bewegung“ im Iran, als sie beim WM-Qualifikationsspiel der iranischen Nationalmannschaft im Juni 2009 gegen das Team aus Südkorea mit grünen Binden am Arm aufliefen und damit für viel Aufsehen sorgten.

Die Dynamik dieser Entwicklung ist den iranischen Sittenwächtern ein Dorn im Auge. Seitdem der ehemalige Bundesliga- und Nationalspieler Ashkan Dejagah seine Arm-Tätowierungen bei Länderspielen der iranischen Nationalmannschaft nicht mehr – wie von der Ethik-Kommission des iranischen Fußballverbands verordnet – mit einem Langarm-Tshirt verdeckt, darf man gespannt sein, wie sich der strenge staatliche Umgang bei der Tolerierung von Tattoos entwickelt. Im Iran werden Tattoos von der Staatsführung als unsittlich und verdorben betrachtet, jedoch ohne gesetzlich vorgesehene Ahndung mit Strafen.

Interessant ist auch, dass sich die Ehefrauen iranischer Bundesligaspieler – entgegen den gesetzlichen Vorschriften im Iran – immer wieder unverschleiert und ohne Kopftuch in der deutschen Öffentlichkeit zeigen: Bilder, die über soziale Netzwerke auch den Weg zur inländischen Community finden und die Meinungsbildung und moderne Lebensführung im Land mitprägen.

Aktuell stehen mit dem Cheftrainer des SV Werder Bremen Alexander Nouri und dem Zweitligaspieler Amir Shpourzadeh (Würzburger Kickers) zwei Profis mit iranischen Wurzeln im Rampenlicht der Bundesliga. Öffentliche Aufmerksamkeit und großen Zuspruch in der iranischen Szene erfuhr kürzlich das Bekenntnis Nouris zu seiner Vorliebe für die persische Küche bei seinem Einstandsinterview in der Bild-Zeitung.

Iraner in der Bundesliga haben so eine über den Fußball hinausgehende gesellschaftliche Rolle, die für die persönliche Identitätsbildung und den Lebenswandel im Iran bedeutende Impulse setzt.

  FARID ASHRAFIAN*

* Farid Ashrafian begleitet als Sportjournalist die iranische Sportszene seit mehr als zwei Jahrzehnten. Er berichtete als Korrespondent für die persische Redaktion der Deutschen Welle vor Ort bei mehreren olympischen Spielen sowie Fußball-Weltmeisterschaften. Die Vernetzung bei iranischen Sportlern im In- und Ausland in Verbindung mit seinen weitreichenden Fachkenntnissen über die Besonderheiten der iranischen Sportwelt prägen seine journalistische Handschrift bei den Interviews und der kritischen Berichterstattung.

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