Protestwelle von ArbeiterInnen im Iran

Die Misere der iranischen Wirtschaft führt zu wachsenden Protesten von Beschäftigten im Iran. Sie fordern einen höheren Lebensstandard und gehen dabei über betriebliche Belange hinaus. Die Regierung hofft unterdessen auf eine Einigung im Atomstreit mit dem Westen, um nach dem Ende der Wirtschaftssanktionen ausstehende Löhne und Gehälter bezahlen und so die Welle der Proteste eindämmen zu können.
Seit über zwei Wochen streiken und demonstrieren ArbeiterInnen im Iran – nicht nur in der Hauptstadt Teheran, sondern auch in den Städten Bafgh, Borudjan, Marivan, Ghazvin, Isfahan, Karadj, Khorramabad, Neka, Rudbar, Sangrud, Shahre-Kord, Zandjan und Zabol. Teils haben die Protestierenden seit Monaten keinen Lohn mehr bekommen, teils sehen sie sich durch die Schließung ihrer Betriebe von Arbeitslosigkeit bedroht.
Den längsten Protest erlebt die Stadt Rudbar in der nordiranischen Provinz Gilan. Seit über dreizehn Tagen befinden sich dort 150 Beschäftigte der Kachelfabrik Gilana im Streik. Sie fordern die ausstehenden Löhne der vergangenen sechzehn Monate und die Zahlung von Sozialbeiträgen an die staatliche Krankenkasse. Wie die Nachrichtenagentur ILNA berichtet, hat der Arbeitgeber einem Sprecher der Streikenden zufolge seit vier Jahren keine Sozialabgaben für seine MitarbeiterInnen mehr entrichtet, obwohl er die vorgesehenen sieben Prozent der Löhne dafür abgezogen hat. Bisher haben sich weder der Arbeitgeber noch staatliche Organe zu dem Protest geäußert.
Bereits Mitte September hatten 310 Minenarbeiter wegen ausbleibender Lohnzahlungen und gegen die Schließung der Eisenerzmine Sangrud ebenfalls in der Provinz Gilan die Arbeit niedergelegt. Der Protest endete nach einer Woche, als die Betriebsleitung versprach, den Forderungen nachzukommen. Doch weiterhin ist nicht klar, ob die Mine wirklich in Betrieb bleibt. Dafür ist eine gemeinsame Entscheidung von Wirtschafts- und Industrieminister nötig. Die Arbeiter drohen mit weiteren Protesten, sollten ihre Forderungen nicht bald erfüllt werden.
Beispielloser Streik

Streik ist im Iran gesetzlich verboten und wurde deshalb bisher stets durch die Sicherheitskräfte niedergeschlagen!
Streik ist im Iran gesetzlich verboten und wurde deshalb bisher stets durch die Sicherheitskräfte niedergeschlagen!

Im Mai 2014 wurde in den Erzminen von Bafgh in der zentraliranischen Provinz Yazd gegen den geplanten Börsengang des Unternehmens gestreikt. Die Regierung hatte angekündigt, 28,5 Prozent der Anteile an dem Minenbetrieb zu verkaufen. Fünftausend Bergarbeiter streikten dagegen, da sie eine Teilschließung des Betriebs und Entlassungen fürchteten. Mit Zugeständnissen gelang es dem Vorstand des Unternehmens, den Streik zu beenden. Da den Versprechungen jedoch keine Taten folgten, begann am 19. August der zweite Streik, der 39 Tage dauerte.
Dieser Streik unterschied sich allerdings von bisherigen Arbeiterprotesten: Nach der Inhaftierung mehrerer Arbeiteraktivisten versammelten sich vor der Provinzverwaltung in der Stadt Bafgh nicht nur Familienangehörige der Minenarbeiter, sondern auch zahlreiche EinwohnerInnen von Bafgh, die sich mit ihnen solidarisierten. Mit der Menge der Protestierenden wuchsen auch deren Forderungen: Sie gingen über die Belange des Betriebs hinaus und verlangten neben der Investition von Betriebsanteilen als Rücklage für die Minenarbeiter auch mehr Investitionen in die Stadtentwicklung, so etwa die Verlegung von Gasleitungen in die Stadt mit Anschlüssen für alle Haushalte.
Als die Straßenproteste zu eskalieren drohten, mischten sich der Prediger der Stadt, Javad Soleymani, der das Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei in Bafgh vertritt, der iranische Arbeitsminister Ali Rabiei und der Gouverneur der Provinz, Ali Akbar Olia, ein. Alle drei stellten sich demonstrativ auf die Seite der Bevölkerung und kritisierten den Umgang der Sicherheitskräfte und der Justiz mit den Protestierenden. Soleymani ermutigte in seinen Predigten die Bürgern sogar, ihren Protest als legitimes Menschenrecht zu verstehen.
Nach 39 Tagen und erneuten Versprechungen der Verantwortlichen endeten die Proteste vorerst. Den Übergang betriebsbezogener in politische Forderungen betrachten Experten allerdings als bedeutenden Wendepunkt in den Aktivitäten der iranischen Arbeiterbewegung seit der Gründung der islamischen Republik.
Illegale Aktion
Protest in Zandjan: "Seit 38 Monaten erhalten wir keinen Lohn!"
Protest in Zandjan: „Seit 38 Monaten erhalten wir keinen Lohn!“

Streik ist im Iran gesetzlich verboten und wurde deshalb bisher stets durch die Sicherheitskräfte niedergeschlagen. Trotzdem hat die Arbeiterbewegung im Iran eine lange Tradition. 1906 wurde in der Hauptstadt Teheran die erste Druckergewerkschaft gegründet. Später entstanden Gewerkschaften in weiteren Branchen wie Post, Elektrizität und Verkehr. 1907 fand der erste Streik in der Elektrizitätsbranche statt.
Ende der Sechzigerjahre, nach der Gründung des Stahlwerks von Isfahan, wurden die Erzminen der Provinzen Gilan und Kerman in Betrieb genommen. Bald darauf wurden Gewerkschaften gegründet, die sich für Lohnerhöhung und bessere Arbeitsbedingungen einsetzten. Doch die Zustände in den Minen blieben miserabel. Nach wie vor gibt es keine ausreichende Altersversorgung für die Beschäftigten, der Arbeitsschutz ist landesweit ungenügend. Laut inoffiziellen Berichten, die sich auf Angaben der medizinischen Fakultäten berufen, stirbt alle 16 Tage ein Minenarbeiter im Iran bei einem Arbeitsunfall.
Doch die Proteste der Beschäftigten scheinen langfristig zu fruchten. Immer mehr Verantwortliche sehen sich gezwungen, zur miserablen Lage der ArbeiterInnen Stellung zu nehmen und ihnen zumindest Versprechungen zu machen. Im vergangenen Winter legte die Regierung dem Parlament eine Novelle des Arbeitsrechts vor. Unter anderem war darin das Streikrecht vorgesehen, das vom Arbeitgeberverband jedoch abgelehnt wurde. Das iranische Parlament gab den Gesetzesentwurf kürzlich zur Revision an die Regierung zurück.
Auch Präsident Hassan Rouhani hat in seinem Wahlkampf die Verbesserung der Lage der ArbeiterInnen versprochen. Bisher haben sich die Aktivitäten seiner Regierung auf diesem Gebiet allerdings auf Versprechungen begrenzt. Die Regierung hofft, durch die Einigung mit dem Westen im Atomstreit einen wirtschaftlichen Aufschwung auslösen und damit auch die ausstehenden Löhne und Gehälter bezahlen zu können. Doch was, wenn die Atomverhandlungen scheitern? Dann, so sind sich Experten einig, wird die Regierung nicht in der Lage sein, die marode Wirtschaft der Islamischen Republik zu sanieren. Und das wird mit Sicherheit zu neuen Protesten im Land führen.
  SEPEHR LORESTANI
Übersetzt und überarbeitet von Said Shabahang