Warten auf den Atomdeal: Rouhanis Halbzeitbilanz
Seit zwei Jahren wagt Irans Präsident Hassan Rouhani einen neuen Anfang im Inneren ebenso wie nach Außen – mit mäßigem Erfolg. Aus dem langen Schatten seines Vorgängers kann der Präsident nicht heraustreten. Denn das desaströse Erbe Ahmadinedschads lässt sich nicht leicht beseitigen. Die Struktur der iranischen Wirtschaft hat sich nachhaltig verändert .
Symbolträchtiger könnte die Fracht nicht sein, die am vergangenen Mittwoch am Teheraner Flughafen eintraf. Genau eine Woche vor dem geplanten Ende der Atomverhandlung in Wien meldete am ersten Juli die iranische Zentralbank triumphierend: Vor wenigen Stunden sei eine Lieferung von mehr als 13 Tonnen Gold aus Südafrika angekommen. Zwei Jahre wartete der Iran auf sein Gold, das wegen der internationalen Sanktionen in einem Tresor in Südafrika festsaß. Die Freigabe des Goldes geschah genau an dem Tag, an dem der iranische Außenminister in der österreichischen Hauptstadt verkündete, 95 Prozent des Atomabkommens seien geschrieben, man arbeite nur noch an Details.
Die Siegesmeldung der iranischen Zentralbank soll eine bessere Zukunft verheißen. Denn Gold ist seit März 2012, seitdem der Iran aus dem internationalen Geldtransfersystem SWIFT ausgeschlossen wurde, praktisch die einzige Währung der Islamischen Republik für den Außenhandel. Seit diesem Datum bekommt der Iran von seinen Erdölkunden kein bares Geld, sondern nur noch Ware – oder das Geld wird bis auf weiteres auf einem Sperrkonto geparkt.
100 Milliarden Dollar eingefroren
Nach dem Eintreffen des Goldes aus Südafrika bedankte sich Valiollah Seif, der Gouverneur der iranischen Zentralbank, ausdrücklich bei allen Delegationen, die in Wien über das iranische Atomprogramm verhandeln, denn sie hätten diese Goldlieferung ermöglicht. Und er fügte hinzu, Ziel sei die völlige Aufhebung der Sanktionen und der Zugang Irans zu den eingefrorenen Reserven. Geschähe das, bedeute das einen wahren Gold-und Geldsegen: Denn die eingefrorenen Devisen- und Goldreserven des Iran beliefen sich auf rund 100 Milliarden Dollar, meldete die Nachrichtenagentur Reuters bereits im Januar vergangenen Jahres.
Messbare Erfolge
Nach zwei Jahren im Amt kommt Präsident Rouhani nun offenbar langsam seinem Ziel näher: Der Konflikt um das Atomprogramm nähert sich seinem Ende, und dank der Lockerung einiger Sanktionen sowie einer disziplinierten Geldpolitik ist es ihm gelungen, die iranische Wirtschaft zu stabilisieren. Die hohe Inflation konnte reduziert, der Niedergang der Wirtschaft gestoppt werden. Zu Beginn von Rouhanis Amtszeit lag die Preissteigerung bei 45 Prozent. Nun beträgt sie offiziell etwa 15 Prozent. Und das Wirtschaftswachstum pendelt nach Jahren des Minus jetzt bei 3 Prozent.
Düstere Prognosen des Präsidentenberaters
Doch wie steinig und beschwerlich der Weg bis zur einer Normalität noch ist und mit welchem desaströsen Erbe die Regierung zu kämpfen hat, beschrieb Masud Nili, der Wirtschaftsberater des Präsidenten, vor zehn Tagen in einem Interview mit der Teheraner Tageszeitung Shargh. Der sechzigjährige Ökonomieprofessor, der bereits sieben hochgelobte Bücher über die iranische Wirtschaft publiziert hat, wollte bei diesem Gespräch die Dimensionen jener Ruine beschreiben, die Expräsident Ahmadinedschad hinterlassen hat, um dann eine Bilanz der zweijährigen Amtszeit Rouhanis zu präsentieren. Doch er nannte Rouhanis Vorgänger nicht ein einziges Mal beim Namen. Manche Beobachter sagten, er dürfe das nicht. Denn mehr als einmal hat der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei die Regierenden öffentlich ermahnt, „zu viel Kritik“ an ihren Vorgängern zu unterlassen.
Für die Beschreibung des ruinösen Erbes nahm der gewiefte Wirtschaftsberater also einen Umweg: Er beschrieb ohne Schonung die hoffnungslose Lage jener IranerInnen, die sich selbst „die verbrannte Generation“ nennen. Wo stehe diese Generation heute, fragte Nili: Was habe man für die Generation der achtziger Jahre getan und was hätte man für sie tun können mit 950 Milliarden Dollar Erdöleinnahmen? Wie eine Trauerrede über verlorene Kinder lesen sich das Bild und die Statistiken, die der anerkannte Wirtschaftsprofessor präsentierte: „Vor zehn Jahren hatten wir 20,3 Millionen Beschäftigte. Diese Zahl ist heute noch exakt die gleiche.“ Eine ganze Generation suche vergeblich Arbeit – und das in einem Land, dessen Studentenzahl prozentual höher liege als die in Großbritannien oder Frankreich. Der uferlose Studienmarkt sei zu einem Ersatz für den Arbeitsmarkt geworden, so der Präsidentenberater. Als Absolvent oder Studienabbrecher seien diese jungen Menschen heute gleichermaßen enttäuscht: arbeits- und perspektivlos mit allen sozialen Folgen, so der Professor, der an dieser Stelle eine bedeutungsvolle Pause einlegte, was die Zeitung mit drei Pünktchen wiederzugeben versucht.
Aufmerksame Leser wissen, wie sie diese drei Punkten lesen sollen: die soziale Bombe. Der Präsidentenberater beschreibt sie mit Daten und Fakten: Die Zahl der Drogensüchtigen im Iran steige unaufhörlich, fünf Millionen Frauen lebten als Singles, das Land habe eine der höchsten Scheidungsraten der Welt und sei „für bestimmte Arbeiten auf ausländische Arbeiter angewiesen“. Vor drei Jahren hätte man 118 Milliarden Dollar Erdöleinnahmen gehabt, in diesem Jahr würden es nicht mehr als 25 Milliarden sein, sagte Nili: Man wisse nicht, wo alle dieses Gelder geblieben seien. Und er beendete seine Ausführung mit einer Warnung: Wenn die Krise vorbei sei, werde man einige Hintergründe offenlegen.
Korruption in astronomischer Höhe
Unverhohlen droht Nili mit neuen Enthüllungen über Korruption aus der Zeit Ahmadinedschads. Doch mit welchen Skandalen kann der Präsidentenberater noch aufwarten? Die Öffentlichkeit hat in den vergangenen Monaten so viele astronomische Zahlen gehört und gelesen, das sie mittlerweile kaum noch zu erschüttern ist. Schon während der Verhandlungen in Wien tauchten auf Webseiten unglaubliche Skandalgeschichten auf. Sie reichen vom Verschwinden einer Ölbohrinsel im Persischen Golf bis zu ungesetzlichen Baugenehmigungen und Verkäufen staatlicher Grundstücke. Es kursieren dabei Zahlen mit zwölf und mehr Nullen, die für den Normaliraner kaum vorstellbar sind.
Dreizehn frühere Weggefährten Ahmadinedschads stünden unter Verdacht, berichtet die Zeitung Shargh. Sie veröffentlicht Namen und Bilder und die erhobenen Vorwürfe. Der Vize des ehemaligen Präsidenten, Mohammad Reza Rahimi, wurde inzwischen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Hamid Baghaie, enger Vertrauter von Ahmadinedschad, wartet noch auf seine Verhandlung. „Um die Scherben der Ära Ahmadinedschad zu sammeln, braucht man viel Geduld und vor allem viel Geschicklichkeit. Der Atomdeal kann nur ein Schritt sein“, schreibt die Zeitung Etemad.
Warten auf weißen Rauch aus Wien
Auf diesen ersten Schritt wartet gebannt seit Monaten die internationale Geschäftswelt, um mit dem Iran die letzte noch nicht ausgeschöpfte Goldgrube zu erobern, wie manche Geschäftsleute meinen. Bei der Euphorie um die künftigen Geschäftschancen im Iran überbieten sich viele Analysten. Falls die Politik richtig handele, habe das Land Wachstumsmöglichkeiten in chinesischem Ausmaß und wahrscheinlich noch mehr zu erwarten, liest man in manchen ausländischen Analysen. „Doch alles steht und fällt mit diesem ‚falls’“, sagt Saeed Leylaz, ein Ökonom und Journalist, der unter Ahmadinedschad drei Jahre im Gefängnis saß. Es sei nicht allein die Korruption, die in den vergangenen Jahren Rekordmaße erreicht habe. Die Struktur der Wirtschaft habe sich völlig verändert. Deshalb werde die Aufhebung der Sanktionen nicht unbedingt zum Besseren führen, so Leylaz. Denn die Mächtigen seien noch mächtiger geworden: Sie würden auch um den neuen Kuchen kämpfen wie eh und je.
ALI SADRZADEH