Unterwegs zur Beilegung des Atomstreits

Die neuen Atomgespräche zwischen dem Iran und dem Westen scheinen ein Wendepunkt zu sein. Beide Seiten wissen, dass die seit elf Jahren bestehenden Streitigkeiten nicht allein durch die Genfer Verhandlungsrunde zu beseitigen sind. Doch im Iran ist schon jetzt Enthusiasmus ausgebrochen.
Seit drei Tagen verhandeln sie nun in Genf: die Delegationen aus China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland, den USA und der Islamischen Republik Iran. Der Chefunterhändler des Iran ist der Außenminister Mohammad Javad Sarif, denn im Gegensatz zur Amtszeit Ahmadinedschads liegt unter dem neuen Präsidenten Hassan Rouhani die Zuständigkeit für die Atomgespräche nicht mehr beim Nationalen Sicherheitsrat des Iran, sondern beim Außenministerium. Dadurch wird das Thema zu einer Frage diplomatischer Interessen.
Westliche und iranische Diplomaten äußern sich optimistisch über die neuen Verhandlungen und die Chance auf eine Beilegung des Atomstreits. Die Weltmächte wollen eine Garantie, dass der Iran keine Atomwaffen baut, und die islamische Republik will die Anerkennung des Rechts auf ihr Nuklearprogramm.
„An praktische Ergebnisse denken“

"Dreier Treffen" in Genf: Irans Außenminister (4. v. re.), EU-Vertreterin Catherine Ashton (mitte), US-Außenminister (3. v. li.) - Foto: Irna.ir
„Dreier Treffen“ in Genf: Irans Außenminister (4. v. re.), EU-Vertreterin Catherine Ashton (mitte), US-Außenminister (3. v. li.) – Foto: Irna.ir

Der ehemalige Vertreter des Iran bei der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEA), Hossein Mussawian, hat vor den aktuellen Genfer Verhandlungen einen Gastbeitrag für die arabischsprachige Tageszeitung Asharq Al-Awsat geschrieben. Darin forderte er die iranischen Atomunterhändler auf, bei den Verhandlungen an die “praktischen Ergebnisse“ zu denken und durch eine mögliche Einigung mit dem Westen den Zugang zu den im Ausland blockierten Öleinnahmen Irans zu erleichtern: „Der kalte Krieg zwischen USA und Iran ist eines der Haupthindernisse für die friedlichen Lösungen der Konflikte im Nahen Osten“, fügte Mussawian hinzu.
Seine Empfehlung, in Genf auf eine Einigung mit dem Westen hinzuarbeiten, stieß nach iranischen Medienberichten unter den Hardlinern des Landes auf Kritik.
Neuer Ton
Die Lockerung von Sanktionen gehört zu den Prioritäten der iranischen Unterhändler sowohl bei den Atomverhandlungen wie auch beim Dreiertreffen des iranischen und des US-amerikanischen Außenministers mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Samstag in Genf. Sein Anliegen sei, die Atomverhandlungen mit der Gruppe 5+1 „möglichst ruhig voranzubringen, sodass deutlich wird, dass keine der Parteien im Begriff ist, ihre Ansichten der anderen aufzuzwingen“, sagte der iranische Außenminister in einem Interview mit dem Internetportal Iranian Diplomacy. „Dass Herr Kerry am Freitag extra nach Genf kam, spricht für die Bedeutung, die der US-Außenminister den Atomverhandlungen beimisst. Er könnte es für möglich halten, dass wir uns einer Einigung nähern“, so Sarif.
Rasch folgten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Russlands ihrem US-amerikanischen Amtskollegen, um den Verhandlungen beizuwohnen.
Das sorgte im Iran für Enthusiasmus: Viele iranische Nachrichtenportale und Zeitungen feierten „den kleinen Erfolg“, ein US-Dollar auf dem freien Markt in Teheran kostete am Donnerstagnachmittag 2.900 Tuman statt 3.015 Tuman wie noch am Vormittag.
Einigung nur erster Schritt
Das Treffen von Irans Außenminister (2. v. li.) mit seinen deutschen und britischen Amtskollegen und Catherine Ashton in Genf
Das Treffen von Irans Außenminister (2. v. li.) mit seinen deutschen und britischen Amtskollegen und Catherine Ashton in Genf

Die Weltmächte und der Iran arbeiten am Wochenende auf eine Übergangslösung und ein schriftliches Abkommen hin. Demnach könnte der Iran im ersten Schritt sein Atomprogramm vorerst für sechs Monate aussetzen und im Gegenzug Sanktionslockerungen erhalten, die es ermöglichen, an im Ausland blockierte Öleinnahmen in Höhe von rund 50 Milliarden US-Dollar zu kommen.
Während der sechs Monate sollten dann beide Seiten an einem umfassenderen Abkommen arbeiten. Aber selbst eine Einigung sieht der iranische Außenminister nicht als sofortige Lösung für die wirtschaftlichen Probleme seines Landes an: Denn der neue Präsident stehe vor den schwierigen Folgen der Wirtschaftspolitik seines Vorgängers Ahmadinedschad, so Sarif.
Nachteil für die Menschenrechte?
Die westlichen Geheimdienste verdächtigen den Iran, Experimente zur Entwicklung von Atomsprengköpfen im Militärkomplex Partschin, südöstlich von Teheran ausgeführt zu haben. „Die Experten der Atomenergiebehörde möchten seit langem die Militäranlage Partschin besichtigen. Aber da der Iran das Thema im Rahmen seiner nationalen Sicherheitsinteressen und militärischer Geheimhaltung betrachtet, ist die Lage kompliziert. Eine Einigung über den Zugang zu dieser Militäranlage ist schwierig, aber nicht unmöglich“, sagte der in Berlin lebende politische Analyst Mehran Barati gegenüber Transparency for Iran.
Die andere Seite der Problematik sei innenpolitisch, so Barati: „Es kann sein, dass die islamische Republik nach einer Einigung in Sachen Atomprogramm im Inneren mit Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen weitermacht“, warnt er. Denn es könne dann „weniger Druck in Sachen Menschenrechte“ ausgeübt werden.
Israels Misstrauen
Israel lehnt ein mögliches Abkommen der Gruppe 5+1 mit Teheran ab. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach im Zusammenhang mit den Genfer Verhandlungen von einem „historischen Fehler“. Auch wenn es im Atomstreit mit Teheran zu einem Abkommen käme, fühle Israel sich nicht verpflichtet, sich daran zu halten, so Netanjahu am Freitag. Zwar sprach er nicht direkt von einem Militärangriff, betonte aber, sein Land werde alles tun, „um sich zu verteidigen“.
Netanjahu setze darauf, „dass der Iran eine Gefahr ist“, so der Iran-Experte Barati: „Die Hardliner in Teheran haben diesbezüglich in den letzten Jahren mit ihren Aussagen über die Tilgung Israels genügend Gründe geliefert. Aber Israels Militärführung und wichtige Sicherheitsorgane wissen, dass ein Militärangriff auf den Iran unter den jetzigen Bedingungen nicht vorteilhaft ist.“
Trotz aller Widerstände im In- und Ausland will Teheran durch eine Einigung mit dem Westen Sanktionslockerungen erreichen, um die Basis für Wirtschaftsreformen zu schaffen.
  Farhad Salmanian