Russland in der „Pole Position“
Das Ende der Sanktionen gegen den Iran ist für Russland schon längst Realität. Auch die Amerikaner reisen in die islamische Republik. Die Geschäftswelt steht also Schlange, um einen Platz auf einem der interessantesten Märkte der Welt zu ergattern. Aber Russland hat bessere Chancen, denn die Russen sind Ayatollah Khamenei viel genehmer als die „dekadenten Westler“. Die Begeisterung für den einstigen Feind ist surreal: „Hier lieben uns alle“, sagte Ned Lemont am vergangenen Donnerstag den Reportern von New York Times und Financial Times in Teheran. Der US-Unternehmer für digitale Dienstleistungen hielt sich mit 23 weiteren Geschäftsleuten aus den USA zwei Wochen lang im Iran auf. Sie alle gehören dem einflussreichen Netzwerk „Young Presidents“ an – und sie wurden in der Islamischen Republik offenbar auch so präsidial behandelt, dass viele von ihnen nach ihrer Rückkehr immer noch nach Superlativen suchen, um die Gastfreundschaft ihrer Gastgeber zu beschreiben.
US-“Touristen“ in der iranischen Machtzentrale
“Wir waren alle Touristen”, sagt Dick Simon, Gründer des Netzwerkes: „Doch natürlich kamen viele von uns wegen der enormen Potenziale des Landes: um hier interessante Geschäfte zu machen.“ Und wie der Zufall es will, wurden diese „Touristen“ am Ende ihrer Reise vom iranischen Vizeminister für Technologie und Kommunikation, Nassrollah Jahangard, empfangen. Der tischte seinen amerikanischen Gästen Zahlen und Daten auf, die jedem Investor das Herz höher schlagen lassen.
Der Iran sei in der Region das Land mit höchster Kommunikationsdichte und mit einer jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung; von 80 Millionen IranerInnen benutzten bald 40 Millionen Smartphones; man entwickele für sie gerade die Netzwerke G3 und G4, so der Vizeminister, der in den USA studierte. Christoph Schroeder, einer der Mitreisenden, berichtet dazu passend von seiner Begegnung mit einer jungen Frau, die eine iranische Version von Amazon und Groupon betreibt, Ned Lemont berichtet von seinem Trip nach Qom, dem Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit. Dort habe er einen Ayatollah über die Diskrepanz zwischen der Gastfreundschaft der IranerInnen und den Hassparolen an den Wänden befragt, die den USA den Tod wünschen. Die Antwort des Geistlichen war zutiefst irdisch: Die Slogans stammten aus einer längst vergangenen Zeit, das Land ändere sich gerade sehr schnell, die Parolen seien nicht wichtig.
Ein Paradies für Investoren?
Diese „Touristenreise“ der „Young Presidents“ ist das jüngste und zugleich bemerkenswerteste Beispiel der Weltkonkurrenz über einen Markt, dessen Tore sich in wenigen Wochen weit öffnen könnten. Mit dem halbwegs erfolgreichen Abschluss der Atomverhandlungen Ende Juni müssen Investoren, Händler und Zwischenhändler samt den dazugehörigen Experten und ihrem Begleitpersonal startbereit sein für ein Rennen, das sich hauptsächlich im Verborgenen abspielt. Es geht um die Entdeckung eines reichen und bisher isolierten Landes, um seine Konsumenten, die sich westliche Waren wünschen, und um dessen Wirtschaft, die in jeder Hinsicht vielversprechend, profitabel und strategisch wichtig ist. Und schließlich geht es um eine gigantische Erdöl- und Gasindustrie, die praktisch brach liegt und auf Investoren wartet. Ob bei diesem „Great Game of Business“ auch die Amerikaner dabei sein werden, ist keineswegs sicher. Denn der iranische Markt ist nicht nur lukrativ, sondern zugleich kompliziert und undurchsichtig.
Das Labyrinth der Macht
Die Gastfreundschaft der Iraner mag in der Welt einzigartig sein. Doch ein Investor muss, im Lande angekommen, zunächst ein Labyrinth von Entscheidungsträgern erkunden, um bereit zu sein, sich mit den Mächtigen zu arrangieren. Und er wird dann feststellen, dass in der Islamischen Republik de facto keine Rechtssicherheit existiert, denn Großhandel und Produktion werden von den omnipotenten Revolutionsgarden und ihren zahlreichen Firmen kontrolliert. Der Investor wird schließlich lernen müssen, mit der zügellosen Korruption umzugehen: Der Iran steht auf dem Korruptionsindex auf 144. Stelle, zwischen der Zentralafrikanischen Republik und Nigeria. Gefragt ist also eine außerordentliche Anpassungsfähigkeit.
Khameneis Sympathie für Russland
Wer bei diesem eigenartigen, aber sehr profitablen Wettkampf das Rennen machen wird, steht schon vor dem Startschuss fest: Russland, der große Nachbar im Norden, der sich bestens im Machtdschungel der Islamischen Republik auskennt, der in Jahren der Isolation mit dem Iran sehr profitable Geschäfte gemacht und sich eine Monopolstellung aufgebaut hat. Nun ist Russland dabei, diese Pole Position auch nach einer möglichen Aufhebung der Sanktionen mit allen Mitteln zu verteidigen. Und dabei genießt Putin das Wohlwollen aller Mächtigen in Teheran.
Der mächtigste Mann des Landes, Ali Khamenei, gehöre zum „Kopf der Russophilen im Iran“, sagt der Journalist Modjtaba Wahedi, einer der besten Kenner der Machtverhältnisse im Land. Es gibt in der Tat zahlreiche Dokumente, Hinweise und Zeugenaussagen, die die Sympathie für und die emotionale Bindung des iranischen Revolutionsführers an Russland belegen. „Ihr seid eine tapfere und mutige Rasse, ihr werdet bald eure einstige Stärke wiedererlangen und das wird gut sein für die Welt“, sagte Khamenei dem Präsidenten der russischen Duma bei einer Audienz, berichtet etwa Nategh Nuri, der ehemalige Parlamentspräsident, in seinen Memoiren.
Die Verehrung beruht offenbar auf Gegenseitigkeit. „Ich kenne Jesus nicht, aber nach allem, was ich über ihn gelesen habe, sah ich im Gesicht Khameneis die Aura von Jesus Christus“, sagte Putin 2007 nach einem Treffen mit dem Ayatollah in Teheran. In seiner 27-jährigen Herrschaftszeit hat Khamenei kein einziges Mal das Wort Tschetschenien in den Mund genommen, er hat die Gräueltaten gegen dortige Muslime bisher verschwiegen.
Denn der erste Mann im iranischen Staat hat eine klare Vorstellung vom Platz des Iran in der Weltpolitik: Der ist unverrückbar an der Seite Russlands. Das russische und das iranische Regierungssystem mögen äußerlich sehr unterschiedlich sein, doch die Seelenverwandtschaft zwischen den Mächtigen in Teheran und denen in Moskau ist frappierend: etwa im Umgang mit der Opposition, in der Medienpolitik und der staatlichen Propaganda oder in der Übermacht des Geheimdienstes.
Konkurrenzlose Monopolstellung Russlands im Iran
Es ist ungewiss, wie viele Milliarden Russland beim iranischem Atomprojekt verdiente, das nun seiner Bedeutungslosigkeit entgegengeht. Es gibt Experten, die die Kosten des iranischen Atomabenteuers auf mehrere Hundert Milliarden Dollar schätzen. Würde man auch die Kollateralschäden dieses Abenteuers hinzurechnen, etwa die der jahrelangen Sanktionen, so ergäbe sich eine astronomische Summe.
Die Grundsatzeinigung im Atomstreit mit dem Iran war nur eine Woche alt, da hat Russland ein seit fünf Jahren geltendes Lieferverbot für das Raketenabwehrsystem S-300 aufgehoben. Zugleich kündigte Moskau den Beginn der Lieferung von Weizen, Maschinen und Baumaterialien an den Iran an. Im Gegenzug liefert der Iran täglich 500.000 Barrel Erdöl. Die Agentur Reuters schätzt das Volumen dieses Gegengeschäfts auf bis zu 20 Milliarden Dollar. Russland ist derzeit der Hauptlieferant der iranischen Armee – und das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Im Gegenteil: Die Abhängigkeit der Islamischen Republik von Russland wird wahrscheinlich zunehmen, denn der iranische Verteidigungsminister Hossein Dehghan wünscht sich ein Militärbündnis zwischen Teheran und Moskau. Nur so könnten die beiden Länder der Übermacht der USA in der Region begegnen, so Dehghan am 14. April auf einer Sicherheitskonferenz in Moskau.
ALI SADRZADEH