Kühle Debatten über möglichen Putsch

Wird es im Iran einen Militärputsch geben? Werden die Revolutionsgarden bald die Macht an sich reißen? Erstaunlich offen wird auf iranischen Webseiten, in Zeitungen und Fernsehprogrammen des Landes darüber debattiert, wann und wie die Gardisten an die Macht kommen werden und wer sie führen wird. Eine gespenstische Debatte.
Von Ali Sadrzadeh
Manche Offenheit ist beängstigend. Denn man ahnt, ja, man ist sicher, dass diese vermeintliche Durchsichtigkeit nichts anderes ist als der Vorbote einer Dunkelheit. Beklemmender noch wird es, wenn sie als Ausweg aus einer Sackgasse daherkommt. Und noch gespenstischer, wenn das Publikum bei alldem auch noch jubelt – oder still hält und schweigt.
Zur Zeit wird in den iranischen Medien so direkt und unverhohlen über eine mögliche und baldige Militärregierung diskutiert, dass dies nicht nur furchterregend ist, sondern auch viele Fragen aufwirft: Woher kommt diese Offenheit? Wie sicher fühlen sich diejenigen, die sich erlauben, so offen und laut darüber nachzudenken? Wie realistisch ist ein Putsch der Revolutionsgarden tatsächlich? Und wenn stattfindet, wann und wie kommt er zustande und wer wird ihn anführen? Was würden die Gardisten eigentlich besser machen als die derzeitige Regierung? Wie würde das Ausland reagieren? Führte eine Machtübernahme der Revolutionsgarden nicht zu einem ganz großen Krieg?
Ist ein Putsch unausweichlich?
Alle diese und noch weitere Fragen über die Folgen einer möglichen Machtübernahme der Revolutionsgarden werden seit drei Wochen in den persischsprachigen Medien im In- und Ausland so nüchtern, emotionslos und realistisch diskutiert, dass einem bange werden kann – als ob ein Staatsstreich der Gardisten ein normaler, schicksalhaft unabwendbarer Gang der Geschichte sei. Hinnehmbar gar, weil eine letzte Lösung.
Sogar ein bekannter, in den USA lebender iranischer Politologe, der sich guter Beziehungen zu iranischen und amerikanischen Machtzirkeln rühmt, beteiligt sich an dieser Debatte – und befürwortet die Machtübernahme der Gardisten als eine Notwendigkeit, mit der man Donald Trump begegnen könne.
Die Islamische Republik wird im kommenden Jahr vierzig. Einst plante man, diesen Jahrestag ganz groß zu feiern. Doch nun sinniert die Spitze des Staates statt dessen ernsthaft, laut und in aller Öffentlichkeit darüber nach, wie die Herrschenden ihre Herrschaft durch einen Coup d`Etat retten könnten.
Über die Ernsthaftigkeit dieser Diskussion wird sich ein Außenstehender wundern, wenn er erfährt, dass diese gespenstische Debatte von einem Mann eröffnet wurde, der nicht laufen und nur mit Mühe sprechen kann. Er heißt Said Hadjarrian und hat am 16. Mai der Teheraner Tageszeitung Etemad ein spektakuläres Interview gegeben. Jeder Beobachter des Iran weiß, dass man sowohl den Interviewer als auch den Interviewten sehr ernst nehmen muss. Etemad ist die wichtigste und meistgelesene Zeitung der Reformer und unterstützt den moderaten Präsidenten Hassan Rouhani.

Said Hadjarian: Der soziale und außenpolitische Druck wird so groß, dass es nicht so weitergehen kann!
Said Hadjarian: Der soziale und außenpolitische Druck wird so groß, dass es nicht so weitergehen kann!

 
Baumeister der Islamischen Republik
Nun zum Interviewten: Den 64-jährigen Said Hadjarrian kann man ohne Übertreibung als einen der wichtigsten Baumeister und klügsten Köpfe der Islamischen Republik bezeichnen. Manche Zeitgenossen meinen, ohne ihn hätte es die Islamische Republik in ihrer jetzigen Form nicht gegeben. Said diente als junger Maschinenbauingenieur in der Armee, als die islamische Revolution ausbrach. Er desertierte und gründete schon in den ersten Tagen der Revolution das spätere Geheimdienstministerium. Er war damals zwar nur Vizeminister des neuen Geheimdienstes, der eigentliche Sicherheitsminister war ein Geistlicher, doch er war nur nominell der Chef. Hadjarrian war einer der Köpfe, der Macher und der Visionäre des neuen Staates. Ihm oblag die Sicherheit der neuen Macht.
Der umtriebige und unermüdliche Hadjarrian verkörperte den Geheimdienst der Revolution, die unzählige Feinde hatte. Diese Gegner mussten schnellstens verhaftet, vernommen und wenn nötig vernichtet werden. Und im großen und multiethnischen Iran gab es in jenen Tagen Tausende Feinde der Revolution.
Hajdarrians wichtigster Beitrag zur Festigung der neuen Macht – und darin stimmen Feind und Freund überein – war die Aufdeckung und Zerschlagung eines Militärputsches, der kurz vor seiner Vollendung stand. Hochrangige Luftwaffenoffiziere, Anhänger von Shapur Bakhtiar, dem letzten Ministerpräsidenten des Schahs, hatten geplant, alle neuralgischen Punkte des neuen Staates, Khomeinis Haus in Teheran inklusive, zu bombardieren. Hadjarrian war es, der den Plan aufdeckte und brutal vereitelte.
Stratege der Reformbewegung
Nun redet er, im Rollstuhl sitzend und mit kaum noch vernehmbarer Stimme, wieder von einem Putsch, diesmal durch die Revolutionsgarden. Dass er dies von einem Rollstuhl aus tut, hat mit Hadjarrians politischer Wandlung zu tun. Nach dem Tode Khomeinis hatte er den Geheimdienst verlassen und wurde nach und nach zum wichtigsten Theoretiker der Reformbewegung. Er gründete mehrere Zeitungen, organisierte politische Zirkel und Think Tanks. Er suchte und sucht immer noch einen Gottesstaat mit menschlichem Antlitz. Seinem Ziel kam er einmal sehr nahe, als der Reformpräsident Mohammad Khatami gewählt wurde. Hadjarrian war Khatamis wichtigster Berater, die graue Eminenz der Reformbewegung. Seine Rolle als Stratege dieser Bewegung, dazu einer, der alles über den Geheimdienst wusste, war für die Hardliner nicht tragbar. Allein seine Existenz schien gefährlich, Hadjarrian musste beseitigt werden. Am 12. März 2000 wurde vor dem Teheraner Rathaus ein Anschlag auf ihn verübt, bei dem er schwer verletzt wurde. Khatami ließ renommierte Chirurgen aus Europa nach Teheran kommen, Hadjarrian überlebte das Attentat, sitzt jedoch seither im Rollstuhl und redet mit kaum verständlicher Stimme.
Doch er ist immer noch der hellsichtige Stratege.
Bei den Unruhen nach der umstrittenen Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads im Jahr 2009 wurde Hadjarrian drei Tage vor Bekanntgabe der Wahlergebnisse und dem Ausbruch der Proteste dagegen verhaftet: Man wusste, dass er wusste, wie die gefälschten Wahlergebnisse präsentiert werden würden und was danach geschehen würde. In seinem Rollstuhl wurde er monatelang in Einzelhaft gehalten, musste schließlich im Fernsehen eine Beichte ablegen und wurde nach sechs Monaten freigelassen. Doch er schreibt immer noch Artikel und Essay und erteilt den Reformern Ratschläge.
„Rouhani wird scheitern
Fortsetzung auf Seite 2