Nukleare Kooperation – ein krimireifer Deal

In der Tat sind für einen außenstehenden Beobachter die Kosten des Mega-Geschäfts der KWU (später Siemens) mit dem Iran auffällig unverhältnismäßig. Es stellte sich die Frage, warum die Kosten für zwei identische AKW in Deutschland (Biblis 1 und 2, etwa 2 Milliarden DM) und im Iran (Iran1 und 2, cirka 8 Milliarden DM) vierfach höher sein sollten. Man könnte höhere Kosten mit der Verstärkung der äußeren Reaktor-Hülle zum Zwecke der Erdbebenfestigkeit, mit Umweltmaßnahmen zur Umleitung des erwärmten Reaktor-Kühlwassers zum Schutze der Fischerei oder mit der Errichtung eines konventionellen Kraftwerkes für die Bauphase begründen, auch wenn Etemad die erdbebenbedingten Mehrkosten hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit des Projektes als „unerheblich“ bezeichnet.
Offensichtlich hat die KWU für zwei Buschehr-Reaktoren 5,6 Millarden DM, für die Kühlwasserbereitstellung 600 Millionen DM und für die Behausung der Mitarbeiter und sonstige Infrastrukturmaßnahmen 1,6 Milliarden DM veranschlagt. Selbst wenn man von den reinen Kosten der AKW von jeweils 2,8Milliarden DM ausgeht, dann ergibt sich immer  noch eine erhebliche Differenz von  3,6 Milliarden DM für die beiden AKW als Mehrkosten im Vergleich zu Biblis.
Es wird berichtet, dass das Design der Buschehr-AKW ursprünglich auf Biblis basierte. Es wurde aber später vertragsgemäß  das AKW in Grafenrheinfeld in Bayern  als das Referenz gewählt. Der Baubeginn dieser AKW war 1974. Die anfangs veranschlagten Baukosten dafür waren jeweils 1,2Milliarden DM, die am Ende mit jeweils 2,5 Milliarden DM erheblich überschritten wurden. Man könnte versucht sein, diese Kosten als Referenzkosten heranzuziehen und zu behaupten, dass Buschehr-AKW doch nicht zu teuer gewesen waren. Dieser Vergleich ist jedoch nicht zutreffend, da bei den Buschehr-AKW bereits die Anfangskosten 2,8Milliarden DM waren, und ist davon auszugehen, dass die Kosten am Ende wie üblich höher ausgefallen wären.
Unterschiedlichen Angaben zufolge waren auf der Baustelle in Bushehr 2.000 bis 3.500 Deutsche und bis zu 6.000 Iraner, Pakistani und Arbeiter anderer Herkunft tätig. Es fragt sich, ob die erheblich niedrigeren Lohnkosten für die einheimischen Arbeiter die höheren Kosten für den Transport sowie eventuelle Zusatzzahlungen an die deutschen Mitarbeiter und sonstige Maßnahmen nicht kompensiert hätten, so dass ein dermaßen höherer Preis für die Bushehr-AKW als nicht gerechtfertigt erscheint. Hinzu kommt, dass in Deutschland der Bau eines AKW mit zahlreichen staatlichen Auflagen verbunden ist, die die Kosten nach oben treiben, während im Iran die Errichtung auf der „grünen Wiese“ erfolgte und es außer für Seismik und Kühlwasser keine Auflagen gab.

Ja, es wurde geschmiert!

Als 2008 schwarze Kassen beim Siemens-Konzern auftauchten, aus denen Bestechungsgelder für das Zustandekommen von Geschäften bezahlt wurden, berichtete das Nachrichtenmagazin Spiegel am 12. April 2008: „Andere neu aufgetauchte Unterlagen beschäftigen sich mit einer möglichen Verwicklung von Pierers in die Zahlung von Provisionen beim wohl größten Schmiergeldgeschäft in der Siemens-Geschichte. Beim Bau zweier Kernkraftwerke im iranischen Buschehr für insgesamt acht Milliarden Mark sollte Siemens in den siebziger Jahren 400 Millionen Mark an einen Geschäftspartner mit Verbindungen zum damaligen Schah zahlen. In den Folgejahren flossen davon über 266 Millionen Mark, bis es 1987 zur Einstellung der Zahlungen kam. Pierer war zunächst als Hausjurist, später als Kaufmann der Siemens-Tochter KWU direkt für das Projekt mitverantwortlich. In einem Brief an Pierer wirft ihm der heute in Genf lebende Geschäftsmann vor, selbst beim Buschehr-Projekt Korruption ‚orchestriert‘ und von Kick-backs an andere Siemens-Mitarbeiter gewusst zu haben. Dem Perser zufolge sei Pierer bei der Übergabe eines Provisionsabschlags im Jahr 1982 in Genf an ihn selbst persönlich zugegen gewesen“, so der Spiegel.

Dieses Foto kursiert seit Sonntag, den 24. November, in der persischsprachigen Internetgemeinde. Es zeigt den iranischen Außenminister M. Javad Sarif (li.) und seinen US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry beim Händeschütteln nach der "historischen Einigung" zwischen dem Iran und dem Westen zur Lösung des Atomkonflikts -. Foto: Fararu.com
Dieses Foto kursierte 2015 wochenlang als Zeichen der Lösung des Atomkonflikts in der persischsprachigen Internetgemeinde – Irans Außenminister M. Javad Sarif (li.) und sein US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry nach der „historischen Einigung“ im Atomstreit – Foto: Fararu.com

 Das heißt, dass die Sauberkeit und Bestechungsfreiheit des Projektes nur eine Chimäre gewesen und der Missbrauch wesentlich größer war, als Etemad wahrhaben wollte. Bei dem in Genf lebenden „Geschäftspartner mit Verbindungen zum damaligen Schah“ handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Rivalen von Etemad, der ihm die Urheberschaft des iranischen Atomprogramms streitig machen wollte.
Tatsächlich ist in der Rückschau nicht auszuschließen, dass Dr. Etemad und sein Team aus Wissenschaftlern und Ingenieuren – ausschließlich auf die technische Seite des Projektes fokussiert – im Wesentlichen unbestechliche Personen waren, nicht wissend, dass die finanziellen Entscheidungen und korrupten Machenschaften anderswo stattfanden: zwischen den Strohmännern des Schahs und der damaligen KWU- und späteren Siemens-Führung mit von Pierer an der Spitze, der dann infolge dieses Skandals seine Position als Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens aufgeben musste.

Schlussfolgerung

Die nukleare Zusammenarbeit zwischen dem Iran und Deutschland war wahrlich nicht die Sternstunde der langjährigen, durch Höhen und Tiefen gekennzeichneten Zusammenarbeit beider Länder.

  • Für den Auftraggeber Iran wäre das Projekt niemals profitabel gewesen. Die Entscheidung zur Errichtung von AKW war zwar eine iranische Entscheidung gewesen, aber die KWU als zuerst beratende und später ausführende Partei hätte sich der Verantwortung bewusst sein müssen, dass es sich dabei nicht nur um ein ökonomisch unvorteilhaftes, sondern auch um ein tektonisch gefährdetes Unterfangen für den Iran handelte.
  • Bei der Vereinbarung des Projektes setzten sich das BMFT und die KWU über die Bedenken der USA hinweg. Sie hatten keine Scheu, sich in die Domäne einer proliferationsverdächtigen Uran-Anreicherung und Wiederaufbereitung im Iran zu begeben. Einige Jahre später, nachdem der Iran bereits den wesentlichen Teil der Kosten für die Errichtung des AKW Buschehr bezahlt hatte, fügten sich die Bundesregierung und die KWU dann dem amerikanischen Druck. Sie weigerten sich, ein weit weniger proliferationsaffines AKW-Projekt zu vollenden. Erst dann besann sich die KWU ihrer beratenden Funktion und unterbreitete dem Iran den Vorschlag, statt AKW konventionelle Gas-Kraftwerke zu liefern.
  • Der schlechteste Aspekt der Zusammenarbeit bestand jedoch darin, dass sie beidseitig mit Korruption behaftet war. Eine bestechliche Haltung von Diktaturen ist jedoch nicht neu – sie gehört zum Wesen derartiger Regimes. Von Modellfirmen wie KWU/Siemens in einem demokratischen Land wie der Bundesrepublik Deutschland erwartet man Besseres. Doch wo der Profit ins Spiel kommt, geht die Moral verloren.♦

© Iran Journal

Zum Autor: Dr. Behrooz Bayat, geboren im Iran, studierte Physik an den Universitäten Teheran, Frankfurt am Main und Marburg. Nach Promotion und Forschungstätigkeit arbeitete er unter anderem als freiberuflicher Berater für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien. In seinen Publikationen setzt er sich u.a. mit der Nuklearpolitik des Iran auseinander.

Persischsprachige Quellen – Gespräche mit Dr. Etemad (Persisch): Teil 1, Teil 2, Teil 3 , Interview mit Dr. Akbar Etemad ,

Deutschsprachige Quellen – Spiegelbericht eins, Spiegelbericht zwei,

Englischsprachige Quellen – Vertragstext Iran BRD , Einstellung der US-Regierung ,

Korrespondenzen Etemad, Haunschild: Eins, Zwei ,
Iran’s Nuclear Odyssey , Nuclear reactors near Bushehr , Bushehr Nuclear Power Plant

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