Fristverlängerung und viele offene Fragen

Am Ende der Atomverhandlungen in Wien stehen keine umfassenden Vereinbarungen, sondern eine Fristverlängerung um sieben Monate. Der US-Außenminister versichert: „Der Weg, den wir jetzt gehen, führt zum Ergebnis“. Wie sieht dieser Weg aus?

Ein Jahr und zehn Tage lange Verhandlungen haben nicht zu einer Einigung zwischen dem Iran und der Gruppe 5+1 (die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und Deutschland) geführt. Nun soll zunächst vier Monate lang über den politischen Rahmen einer künftigen Übereinkunft gesprochen, in weiteren drei Monaten sollen dann die diskutierten Einzelheiten einer “Umfassenden Vereinbarung” vertragsreif geschrieben werden. Schon im Dezember 2014 sollen die politischen Gespräche beginnen und bis März 2015 in Rahmenbedingungen, bis Juli 2015 schließlich in Vereinbarungen münden. In diesen Verhandlungsmonaten, also bis zum 1. Juli 2015, soll der Iran von seinen gesperrten 100 Milliarden Dollar Erdölgeldern monatlich 700 Millionen zurückerhalten. Die im November 2013 vereinbarten Regelungen zur Einschränkung der Urananreicherung in iranischen Atomanlagen bleiben im Kern bestehen. Nicht beantwortet ist dabei allerdings die Frage, nach welchen vertraglichen Regeln und Grundlagen dies gelten soll.
Unklare Vereinbarungen – geheime Passagen?
Bei den sechstägigen Wiener Verhandlungen war als bemerkenswert registriert worden, dass die Außenminister des Iran und der USA erstmalig unter vier Augen miteinander gesprochen haben – und das sogar gleich zwei Mal. Die Anwesenheit einer weiteren Person war bis dahin anscheinend vorgeschrieben. Es bleibt für die Weltöffentlichkeit dennoch unklar, ob der Rahmen einer neuen Vereinbarung wenigstens ansatzweise aufs Papier gebracht oder lediglich eine nicht bindende Ergänzung zur Genfer Übereinkunft von November 2013 als „Non-Paper“ protokolliert wurde.
Völkerrechtlich wäre es ein Novum, dass auf der Basis eines solchen „Non-Papers“ nur durch Androhung und Realisierung von Embargos international verbindliche Regelungen geschaffen werden. Das bedeutet Unklarheiten auf allen Ebenen: Wird weiterhin nach den Bedingungen der Genfer Übereinkunft verfahren, wie der US-Außenminister bei seiner Pressekonferenz erklärte? Was passiert dann mit den dort vorgesehenen letzten Schritten, die noch vor der einjährigen Gültigkeit der Übereinkunft auf allen Ebenen hätten erfüllt sein müssen? Wurde die gesamte Übereinkunft als „nicht realisiert“ eingestuft und deshalb neu verhandelt? Dort war ja zweimal festgehalten: „Es gibt keine Einigung, bis über alles Einigung erzielt wurde.“ Oder wurde die Genfer Vereinbarung neu geschrieben? Warum wird der Text dann nicht veröffentlicht? Vermutet wird, dass die neue Vereinbarung geheime Passagen enthält. Der Iran soll anscheinend als Gegenleistung für die Summe von 4,9 Milliarden Dollar, die er bis Juli 2015 in Raten erhält, einen Teil seiner gebunkerten 8.300 Kilogramm fünfprozentigen Urans verpulvern.

Was der US-Außenminister sagt

Schwerwasserreaktor in Arak - Jahre lang ein Streitpunkt zwischen dem Iran und dem Westen
Schwerwasserreaktor in Arak ist nach Angaben des US-Außenministers stillgelegt

Über das Ergebnis der Wiener Verhandlungen vom 18. bis zum 24. November sagte US-Außenminister John Kerry noch vor seinem Rückflug in die USA am Montag:

 – „Über Einzelheiten der Vereinbarungen mit dem Iran reden wir nicht, auch nicht über unsere Differenzen.“

– „Wir sagen nichts darüber, was wir geben und was wir bekommen.“

– „Mit den gesperrten iranischen Konten verfahren wir so, wie es in der Genfer Vereinbarung vor einem Jahr beschlossen wurde.“
– „Wir werden alle Embargos aufheben, aber nur dann, wenn wir eine endgültige Übereinkunft erzielt haben. Das ist noch nicht der Fall.“
– „Der Iran hat die in Genf übernommenen Verpflichtungen bis jetzt erfüllt.“
– „Die Zentrifugen in den iranischen Atomanlagen werden ohne eine entsprechende Vereinbarung nicht in den vorherigen Stand zurückversetzt.“
– „Mit dem US-Kongress werden wir reden und ihn bitten, uns eine adäquate Chance zu geben. Es soll keine falsche Botschaft suggeriert werden.“
– „Die Welt ist seit der Genfer Vereinbarung mit dem Iran sicherer geworden. Die Gefahr einer iranischen Atombombe ist gebannt, das Land produziert kein zwanzigprozentiges Uran mehr, die Anlage in Arak ist stillgelegt und produziert kein Plutonium. Die Transparenz der iranischen Atomaktivitäten ist gegeben.“
– „Vor einem Jahr hatten wir keine Ideen, wie wir eine umfassende Regelung erreichen. Heute sind wir einer Verständigung näher denn je.“
– „Israel und die Länder der Region sind heute sicherer. Wir werden die Verhandlungen jetzt nicht verlassen, sondern setzen sie im Dezember fort.“
– „Wir haben eine ‚umfassende Übereinkunft‘ so definiert: Alle Wege, die den Iran in die Lage versetzen, eine Atombombe zu bauen, sollen gesperrt werden.“
– „Über Einzelheiten reden wir nicht, wir brauchen eine positive Atmosphäre, um die Verhandlungen fortzusetzen.“
– „Der Weg, den wir jetzt gehen, führt zum Ergebnis; der Iran muss noch große Schritte gehen.“

Israel und Saudi-Arabien sitzen mit am Verhandlungstisch 

Verhandlungsführer/in in Genf: freudige Umarmung nach der Einigung im November 2013
Verhandlungsführer/in in Genf: freudige Umarmung nach der Einigung im November 2013

Die politische Ordnung des Nahen Osten hat sich völlig verändert. Alte Allianzen gelten nicht mehr. Die USA und der Westen können weder alte regionale Verbündete in ihrem Lager halten noch können sie die Regionalpolitik dieser Verbündeten dulden. In der neuen politischen Ordnung der Region profilieren sich im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) eher der Iran und die kurdischen Regionalregierungen als Verbündete. Die Gegensätze zwischen dem Westen und der Islamischen Republik bestimmen nicht mehr die Richtschnur der Politik. Die regionale Stabilität ist nicht mehr durch Großmächte gewährleistet; gebraucht werden funktionsfähige und ambitionierte Regionalmächte mit militärischem und politischem Einfluss. Hinter dem atomaren Problem mit dem Iran stehen Israel und die arabischen Staaten. Während der Verhandlungen in Wien konsultierte Kerry Israels Ministerpräsidenten Netanyahu, die Arabischen Emirate, den Kooperationsrat der arabischen Staaten am Persischen Golf und die Türkei. Saudi-Arabiens Außenminister wurde sogar in Wien zu Gesprächen empfangen. An der Nordgrenze Israels liegt aber der Libanon. Hier verfügt die vom Iran unterstützte Hizbollah über große waffentechnische Militärpotentiale. Die Türkei kann und will im Kampf gegen den IS nichts unternehmen. Saudi-Arabien und Katar werden verdächtigt, den Islamischen Staat ins Leben gerufen zu haben. In Ägypten und Libyen fängt der IS an, Fuß zu fassen. Auf der anderen ist die sogenannte “schiitische Achse” vom Iran über Irak, Libanon, Syrien und Jemen eine immer stärker werdende Macht, die von IS-Kämpfern als Feinde und Ungläubige bekämpft werden.
In dieser Situation entsteht eine natürliche und interessengebundene Koalition zwischen den USA und der Islamischen Republik Iran, eine Koalition, die das politische Gesicht des Nahen Ostens verändern und die 35-jährige Feindschaft zwischen den USA und dem Iran womöglich beenden wird. Die Regionalkonflikte, die mit dem Arabischen Frühling begonnen und im syrischen Bürgerkrieg neue Dimensionen erreicht haben, haben mit dem Erscheinen des IS der politischen Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und dem Iran neue Möglichkeiten eröffnet. Dieser Kampf wird nun als religiöser Kampf, Sunniten gegen Schiiten, geführt. Der IS ist als eine grausige Missgeburt dieses Konkurrenzkampfes zur Welt gekommen. Die sunnitischen Staaten sind nicht in der Lage, dem Westen behilflich zu sein. Hier sind in erster Linie der Iran und seine regionalen Verbündeten gefragt. Die internationale Einigung mit dem Iran über sein Atomprogramm wird die alten politischen Bündnisse nicht völlig umwerfen, dem Iran aber neue Chancen eröffnen, die alte Position als Regionalmacht trotz Widerspruchs und Gegenwehr Israels und arabischer Staaten wiederzuerlangen.
  MEHRAN BARATI *
Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC Persian und VOA (Voice of America) Persian und gilt als Experte für internationale Beziehungen.
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