Digitale Schleuse in den Iran
Kurz vor den Wahlenerleichtern die USA die Einfuhr bestimmter Hard- und Software in den Iran. Eine gute Idee, die vor allem derOpposition Aufschwung bringen könnte – vorausgesetzt, man würde auch den Handel mit dem Iran erleichtern. Denn an den Sanktionen gegen Finanztransaktionen mit dem Iran könnten die neuen Erleichterungen scheitern.
Es ist eine kleine Sensation, die da in Form einer vermeintlich banalen bürokratischen Anweisung daherkommt. Unter der Bezeichnung General License D führte die US-Regierung am 30. Mai eine Ausnahmeregelung zu den bestehenden Iran-Sanktionen ein. Die fünfseitige Verordnung hat es in sich: Denn sie regelt den Zugriff auf die Zutaten, mit denen Revolutionen organisiert werden. Computer- und Laptops, Modems, iPhones, iPads und jede Menge Software: Amerikanische Bürger und Unternehmen dürfen ab sofort sämtliche Technologien und Dienstleistungen für die persönliche Kommunikation in den Iran exportieren. Ohne damit Sanktionen zu verletzen.
Rückblende: Als im Sommer 2009 verwackelte Handyvideos auf YouTube die Welt an den dramatischen Ereignissen in den Städten und Provinzen des Iran teilhaben ließen, wussten nur die wenigsten, dass die meisten der Mobiltelefone, die diesen Einblick ermöglichten, eigentlich unter US-Sanktionen standen. Hätte die sanktionserfahrene iranische Zivilgesellschaft nicht Mittel und Wege gefunden, die Beschränkungen zu umgehen, hätte es die SMS-Ketten zur Organisation von Demonstrationen wohl kaum geben können. Der blühende Schwarzmarkt tat sein Übriges. Und hätte die technikaffine iranische Jugend nicht gelernt, mittels Umgehungssoftware wie VPN die Internetsperren der Islamischen Republik auszuhöhlen, hätte das Video der verblutenden Neda nicht den Weg in die eigentlich für Iraner gesperrten sozialen Netzwerke gefunden. Und obwohl US-Präsident Barack Obama dasselbe Video als „herzzerreißend“ bezeichnete, hätten die kostenpflichtigen VPNs – die meisten davon von US-Entwicklern angeboten – den Sanktionen zufolge von Iranern gar nicht benutzt werden dürfen.
Kommunikation verboten
Kaum etwas führt die Absurdität und die Kollateralschäden der Sanktionspolitik so eindrucksvoll vor Augen wie dieses Beispiel. Denn Kommunikation als Grundvoraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement wurde den Iranern damit vom Westen per Gesetzestext verboten. Man könnte fast meinen, die USA hätten sich mit der Islamischen Republik verbündet, um den Iranern Kommunikation und den Zugang zu Informationen zu erschweren. Einerseits stehen Themen wie die Beschränkung der Internetfreiheit und der digitalen Menschenrechte in repressiven Staaten ganz oben auf der außenpolitischen Agenda der USA. Andererseits reichen die US-Sanktionen gegen Hard- und Software bis in die neunziger Jahre zurück.
Teheran und Washington haben ihre schmerzhaften Lektionen gelernt – vor allem seit den Wahlen 2009. Noch einmal, so die Kalkulation der Mullahs, geben wir die Hoheit über die digitalen Informationsflüsse nicht aus der Hand. Und die Ingenieure und Zensoren waren fleißig. Auf ausländischen Servern gehostete Webseiten sind für ungeübte Nutzer aus dem Iran so gut wie kaum noch zu erreichen. Weit mehr als fünf Millionen Webseiten sind blockiert. Die Zahl steigt täglich. Selbst für politisch völlig unambitionierte Iraner ist das Surfen eine Geduldsprobe. Gmail-Nutzer etwa müssen viel Zeit mitbringen, wenn sie ihre Mails lesen möchten. Alle Dienste, die eine sichere verschlüsselte Verbindung zur Kommunikation benutzen – wie etwa Gmail – werden standardmäßig gedrosselt. So dauert es schon mal eine halbe Stunde, bis man sich in das E-Mailkonto eingeloggt hat. An das Hochladen von Videos auf soziale Netzwerke denkt da kaum noch jemand. Die Zensoren versuchen mit dieser Zermürbungstaktik die Nutzer von verschlüsselten Anwendungen abzubringen, da sie von den Behörden nicht eingesehen werden können. Idealerweise sollen die Nutzer auf Webseiten und Dienste ausweichen, die auf iranischen Servern gehostet werden – die funktionieren schneller, können aber auch ohne Aufwand überwacht werden: Zuckerbrot und Peitsche eben.
Neuer Schlag
Seit Anfang Mai – rechtzeitig vor den Wahlen am 14 Juni – holen die iranischen Behörden nun zum finalen Schlag aus. Konnten versierte Nutzer bis dahin noch mit den letzten verfügbaren VPN und Umgehungssoftware anonym und verschlüsselt auf ausländische Webseiten zugreifen, werden solche Verbindungen nun nach 60 Sekunden gekappt. Das seit langem diskutierte nationale Informationsnetzwerk – auch Halal Internet genannt – scheint nun implementiert zu sein. Die Telecommunications Company of Iran, der staatliche Internet-Provider der Islamischen Republik, lässt nur noch bestimmte Einrichtungen und Anwendungen ohne Hindernisse die digitale Grenze ins World Wide Web überschreiten.
Die Entscheidung der USA, die Sanktionen nun punktuell zu lockern und den iranischen Nutzern damit mehr Werkzeuge zur Umgehung der Blockaden an die Hand zu geben, kann somit als Akutmaßnahme interpretiert werden. Kurz vor den Wahlen soll damit ein Zeichen gesetzt werden. Auf dem Höhepunkt der Proteste nach den Wahlen 2009 mussten sich die USA vorwerfen lassen, durch die Sanktionen die von den Iranern so dringend benötigten digitalen Werkzeuge und Kanäle zu verknappen. Diesmal, so die Message, haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. So kurz vor den Wahlen jedoch kann höchstens der mittlerweile legale Download von effizienterer Umgehungssoftware den Iranern Erleichterung bringen. Soll die Sanktionserleichterung mittel- und langfristig die gewünschte Wirkung entfalten, muss vorher an der Lösung ganz praktischer Probleme gearbeitet werden: Aufgrund der Finanzsanktionen meiden die meisten Banken Transaktionen mit dem Iran wie der Teufel das Weihwasser. Obwohl nun bestimmte Warengruppen von den Sanktionen ausgenommen sind, lassen sich nur die wenigsten Banken auf Irangeschäfte ein. Wenn die Banken aber die eingeräumten Freiräume nicht nutzen, kann auch nichts geliefert werden.
Die bloße Änderung ihres Textes allein wird die nachhaltig abschreckende Wirkung der Sanktionen nicht beseitigen. Die Regierungen stehen vielmehr in der Pflicht, proaktive Schadensbegrenzungen zu betreiben, indem sie offensiv auf private Akteure wie Banken und Technologieunternehmen zugehen, diese über ihre Handlungsoptionen aufklären und etwaige Unsicherheiten der Privatwirtschaft beseitigen. Die Lehre könnte lauten: Rollte die Sanktionslokomotive erst einmal, so lässt sie sich nur schwer zu einem Zwischenhalt überreden.