„Die Privatwirtschaft braucht mehr staatliche Unterstützung“

24 Prozent der Bruttoeinnahmen des Iran werden durch industrielle Güter erwirtschaftet. 20 bis 25 Prozent davon werden von kleinen und mittleren Industriebetrieben produziert. Deren Lage hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. TFI hat darüber mit dem Wirtschaftsexperten Fereydoon Khavand gesprochen.

TFI: Herr Dr. Khavand, wie sehen Sie die momentane Lage der Kleinindustrie im Iran?
Fereydoon Khavand: Im Iran sind die Rahmenbedingungen für Gewerbe und Handel derzeit nicht gut. Daher ist die Bereitschaft gering, in Gewerbe und Industrie zu investieren oder gar neue Betriebe zu eröffnen. Laut dem aktuellen Jahresbericht der Weltbank ist der Iran in der Liste der Wirtschaftsstandorte momentan nur auf Platz 144 von 182 Ländern. In einem Vergleich mit achtzehn anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas kommt der Iran nur auf Rang 15. Im Land selbst hat das Forschungszentrum des iranischen Parlaments diese Tatsachen in seinem letzten Jahresbericht bestätigt.
Das betrifft die Investition in neue Geschäfte und Betriebe. Wie sieht es mit dem Wachstum existierender Industrie aus?
Es gibt da keinen Unterschied. In beiden Fällen – sowohl bei neuen Investitionen als auch im fortdauernden Geschäftsbetrieb – sind dieselben Faktoren maßgebend. Es fehlen einfach die Rahmenbedingungen für produzierendes Gewerbe, für den Vertrieb und Export von Waren und für das Dienstleistungsgewerbe. Der Iran befindet sich momentan in der längsten Rezessionsphase seit dem Iran-Irak Krieg in den 80er Jahren. Laut einer Erhebung der iranischen Handelskammer arbeiten die produzierenden Betriebe mit nur 30 bis 40 Prozent ihrer Kapazitäten. Das ist ein starker Beleg für das schlechte Klima des „Doing Business“.
Worin bestehen die schlechten Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Iran konkret?
Es sind Faktoren, die außerhalb des Einflusses der Besitzer und Manager der Betriebe liegen. Es gibt infrastrukturelle Probleme, zum Beispiel mit der Elektrizität – es fällt häufig der Strom aus -, weitreichende Korruption in den Büros und Ämtern, eine schleppende Justiz und nicht zuletzt die internationalen Sanktionen. Das sind alles Faktoren, die das produzierende Gewerbe stark treffen. Fragt man die Besitzer der Betriebe und Verantwortliche aus diesem Wirtschaftszweig, was ihre Arbeit am meisten behindert, so sind das zum einen oft ausstehende Lohnzahlungen für Leiharbeiter in vielen staatlichen Betrieben. Zum anderen ist es für Betriebe sehr schwer, an Kredite zu kommen. Manche Besitzer sprechen von einer Art innerstaatlicher Sanktionen.
Warum ist es so schwer, Kredite zu bekommen?

Fereydoon Khavand: "Viele kleine Betriebe wie Schuhproduzenten oder Textilfirmen leiden enorm unter den Billigimporten insbesondere aus China und geraten durch sie in ökonomische Schieflage."
Fereydoon Khavand: "Viele kleine Betriebe wie Schuhproduzenten oder Textilfirmen leiden enorm unter den Billigimporten insbesondere aus China und geraten durch sie in ökonomische Schieflage."

Nach dem Bekanntwerden der vielen Fälle großer Unterschlagungen im Iran in den letzten Monaten, bei denen es um bis zu 3 Milliarden Euro ging, haben die Banken große Angst vor Wiederholungen solcher Fälle. Daher sind sie bei der Kreditvergabe sehr vorsichtig geworden. Die Atmosphäre des Vertrauens ist vollkommen zerstört. Fehlende Kredite sind für viele Betriebe das größte Problem überhaupt.
Welche Rolle spielt die Kleinindustrie für die iranische Wirtschaft?
Nach der Islamischen Revolution wurden alle großen und produzierenden Betriebe wie Banken, Versicherungen, Schiffswerften und Flugzeugbauer durch das Gesetz 44 der iranischen Verfassung zum Eigentum des Volkes und des Staates erklärt. Vor fünf Jahren hat Khamenei (iranisches Staatsoberhaupt – Anm. d. Red.) dieses Gesetz neu interpretiert und erlaubt, solche Betriebe zu privatisieren. Das ist bis jetzt aber nicht passiert. Daher sind nur Betriebe der kleinen und mittleren Industrie im privaten Sektor. 24 Prozent der Bruttoeinnahmen Irans werden durch industrielle Güter erlöst. Und 20 bis 25 Prozent dieser Güter werden durch diese kleinen und mittleren Industriebetriebe produziert.
Wie müssen die Rahmenbedingungen für die iranische Wirtschaft verbessert werden?
Das Wichtigste, was man meiner Meinung nach tun kann, wäre, eine Atmosphäre des Vertrauens für wirtschaftliche Aktivitäten und Investitionen herzustellen. Außerdem ist mehr staatliche Unterstützung für den Handel im privaten Sektor nötig. Denn auch das ist für die Betriebe ein großes Problem: Es gibt sehr viele Importe in den Iran, insbesondere auf illegalem Wege. Viele kleine Betriebe wie Schuhproduzenten oder Textilfirmen leiden enorm unter diesen Billigimporten insbesondere aus China und geraten durch sie in ökonomische Schieflage. Es gilt also, diese Importe zu verhindern, zu regeln und so die kleinen Betriebe zu schützen. Das sind die Dinge, die man kurzfristig tun kann, damit sich deutlich etwas ändert.
Interview: Shirin Famili
 
Zur Person:
Fereydoun Khavand ist Ökonom, politischer Analyst und Doktor der Rechtswissenschaften. Er wurde 1948 in Shiraz geboren und studierte an der Universität Teheran. Master und Promotion folgten an der René Descartes Universität in Paris. Er doziert an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Rene Descartes und ist Professor am Centre d’études diplomatiques et stratégiques (CEDS – Paris). Fereydoun Khavand ist spezialisiert auf internationale Wirtschaftsbeziehungen und hatte unter anderem Lehraufträge an der École des hautes études commerciales (HEC) und der Ecole Supérieure de Gestion (ESG).