Irans janusköpfige Außenpolitik

Irans Regionalpolitik sollte allerdings im Kontext des Ringens um Macht und Einfluss innerhalb eines regionalen Systems wahrgenommen werden, das durch systemische Unsicherheit, Staatenzerfall und Penetration durch Großmächte geprägt ist und in dem andere regionale und nicht-regionale Mächte eine nicht minder problematische Politik verfolgen, die ebenso wenig für eine Befriedung der vielen Konflikte taugt.
Beflügelt vom Atomdeal verfolgt die iranische Regionalpolitik durchaus hegemoniale Machtansprüche, gepaart jedoch mit einem aus der jüngsten Geschichte gespeisten tiefsitzenden Gefühl der Unsicherheit. Immerhin verfügt der Iran außer dem krisengebeutelten Assad-Regime über keinen staatlichen Verbündeten und ist vom regionalen Sicherheitssystem ausgeschlossen. Außerdem hat seine Schwäche in konventioneller Streitkraft den Fokus auf asymmetrische Kriegsführung und ein expandierendes Raketenprogramm gerichtet. Um seine Interessen durchzusetzen, operiert Teheran vorzugsweise mit von ihm aufgebauten oder unterstützten schiitischen Freischärlern, denen genauso wie ihren sunnitischen Kontrahenten zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Staatsordnungen unterwandern

Die dezidiert sektiererische Politik der iranischen Hegemonialmacht im Irak hat maßgeblich dazu beigetragen, die Sunniten nach dem Sturz des Baath-Regimes vom politischen System zu entfremden, womit der Boden dafür bereitet wurde, im IS die einzig effektive Kraft zu sehen, um die Interessen der sunnitischen Mehrheit im Angesicht iranisch-schiitischer Übermacht zu schützen. Es sind jene Dynamiken, die nach dem Regime Change im Irak der Konfessionalisierung regionaler Konflikte Vorschub leisteten und mittlerweile eine besorgniserregende Eigenständigkeit entwickelt haben. Zudem unterwandert die iranische Politik mit der Errichtung paralleler staatsähnlicher Strukturen im Irak und in Syrien das Ziel, deren Staatsordnungen wieder aufzubauen. Aufgrund dieser sektiererischen oder konfessionalisierten Politik im Irak und in Syrien hat der Iran seine zu Zeiten von Präsident Mahmud Ahmadinedschad akkumulierte Soft Power vollkommen eingebüßt. Deshalb ist die arabische Welt zunehmend anti-iranisch eingestellt – eine Entwicklung, deren sicherheitspolitische Folgen in Teheran allerdings unterschätzt werden.

Dieses Foto kursiert seit Sonntag, den 24. November, in der persischsprachigen Internetgemeinde. Es zeigt den iranischen Außenminister M. Javad Sarif (li.) und seinen US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry beim Händeschütteln nach der "historischen Einigung" zwischen dem Iran und dem Westen zur Lösung des Atomkonflikts -. Foto: Fararu.com
Irans Außenminister Zarif hatte mit Zustimmung des religiösen Führers Khamenei den Atomkonflikt lösen können

Fazit

Irans janusköpfige Außenpolitik, die von gegensätzlichen Prämissen geleitet wird, hat den Erfolg von Rouhanis Annäherungspolitik an den Westen deutlich getrübt und ihn auf tönerne Füße gestellt. Dabei muss man auf die Dreiecksbeziehung zwischen dem Westen, dem Iran und den Staaten des Golfkooperationsrats, vor allem Saudi-Arabien, blicken. Bei vielen arabischen Nachbarn des Iran, vor allem in Riad, trifft die Tendenz gerade der EU auf großes Unverständnis, die iranische Regionalpolitik durch die Brille des Präsidenten und Außenministers zu sehen, die fast gar keinen Einfluss auf diese ausüben. Daraus entsteht ein kaum zu überwindender Graben zwischen dem Iranverständnis der EU und dem der Golfstaaten – mit handfesten sicherheitspolitischen Folgen.
So haben wir es während Rouhanis Präsidentschaft mit einer Koexistenz der beiden außenpolitischen Schulen zu tun. Da aber ihre jeweiligen Vertreter gemeinsam im Obersten Nationalen Sicherheitsrat sitzen, stellt sich die Frage, ob die rechte Hand weiß, was die linke tut. Während Rouhani und Zarif von den geheimen Vorverhandlungen mit den USA in Oman nichts wussten, konterkarierten die punktuellen Waffenlieferungen der Revolutionsgarden nach Bahrain und Jemen die Glaubwürdigkeit der iranischen Außenpolitik der Mäßigung. Um die Black Box der iranischen Außen- und Sicherheitspolitik erhellen zu können, sollten innenpolitische und wirtschaftliche Interessen der Akteure der iranischen Außenpolitik größere Beachtung finden, da auch im Iran Innen- nicht von Außenpolitik zu trennen ist.♦

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Der Autor, Dr. Ali Fathollah-Nejad ist Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und an der Harvard Kennedy School ( fathollah-nejad.eu)
Quellen:
-Walter Posch (2013) Dritte Welt, globaler Islam und Pragmatismus: Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird, SWP-Studien, Nr. 2013 / S. 04 (März), Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).Farideh Farhi & Saideh Lotfian (2012) Iran’s Post-Revolution Foreign Policy Puzzle, in: Henry R. Nau & Deepa M. Ollapally (Hg.) Worldviews of Aspiring Powers: Domestic Foreign Policy Debates in China, India, Iran, Japan, and Russia, New York: Oxford University Press, S. 114–145.
-Ali Fathollah-Nejad (2013)  The Geneva Accords and the Return of the »Defensive Realists«, LobeLog (US-Außenpolitik-Blog des internationalen Nachrichtendienstes Inter Press Service), 5. Dezember.
-Payam Mohseni (2014) The Iranian Elite and the Nuclear Negotiations: My Reflections from Iran, Iran Matters, 19. August, Cambridge, MA: The Iran Project, Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard Kennedy School of Government, Harvard University.
http://gulf2000.columbia.edu/images/maps/Iraq_Religions_2014_lg.png [12.04.2017].
-Ausführungen des Iran-Kenners und ehemailigen Senior Political Affairs Analyst (2005–2011) der UN-Mission im Irak: Wilfried Buchta (2015) Terror vor Europas Toren: Der »Islamische Staat«, Iraks Zerfall und Amerikas Ohnmacht, Frankfurt: Campus. Vgl. auch Ali Fathollah-Nejad (2014) Iran’s Policy Towards Post-Saddam Iraq, Orient: German Journal for Politics, Economics and Culture of the Middle East, Berlin: Deutsches Orient-Institut, Jg. 55, Nr. IV, S. 29–37 (gekürzte Version, von Ch. Schweitzer ins Deutsche übersetzt: Irans Politik gegenüber dem Irak nach Saddam Hussein, FriedensForum: Zeitschrift der Friedensbewegung, Jg. 28, Nr. 1/2015 (Jan./Feb.), S. 32–33. Für eine unvollständige, da nahtlos an der offizellen Teheraner Version ausgrichtete Beschreibung, vgl. Mohammad-Ali Shabani, Making Sense of Iran’s Iraq Policy: Broader Parameters of Iranian Interests, Bonn: CARPO (CARPO Brief Nr. 1, 30.01.2015).
-Payam Mohseni & Hussein Kalout (2017) Iran’s Axis of Resistance Rises: How It’s Forging a New Middle East, Foreign Affairs (online), New York: Council on Foreign Relations, 24.01.2017.
-Eskandar Sadeghi-Boroujerdi, Strategic Depth, Counterinsurgency and the Logic of Sectarianization: Perspectives on the Islamic Republic of Iran’s Security Doctrine and Its Regional Implications, in: Nader Hashemi & Danny Postel (Hg.) (2017) Sectarianization: Mapping the New Politics of the Middle East, Oxford University Press & Hurst Publishers.
-Für die Einstellugen arabische Eliten gegenüber Iran, vgl. Fatima al-Smadi et al. (2016) Opinion Poll: »Arab Elites’ Attitudes toward Arab–Iranian Relations and Iran’s Role in the Region«, Doha: Al Jazeera Center for Studies, 18. Januar. Für jene seitens der arabischen Jugend, vgl.: Inside the Hearts and Minds of Arab Youth, A White Paper on the findings of the 8th Annual ASDA’A Burson-Marsteller Arab Youth Survey 2016.
-Ali Fathollah-Nejad & Sebastian Sons (2015) The Saudi–Iran Conflict Up Close, Handelsblatt Global Edition: The Voice of Europe’s Leading Economy, Nr. 357 (29. Januar), S. 32–34

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