Wie reformiert man eine Zensurbehörde?
Der neue Kulturminister des Iran rüttelt an der Zensurpraxis der Bücher in der Islamischen Republik. An einer Aufhebung der Zensur glaubt zwar noch niemand, doch die öffentliche Debatte darüber lüftet einige Geheimnisse.
„Wäre der Koran nicht Gotteswort, würde die Buchabteilung des Ministeriums den heiligen Text wegen Amoralität zensieren.“ Diese drastische Beschreibung für die Engstirnigkeit der iranischen Zensurbehörde stammt keineswegs von einem aufmüpfigen Autor oder einem renitenten Verleger. Das sind die Worte des neuen Kultusministers Ali Jannati, gesprochen am Vergangenen Montag bei der Amtseinführung seiner fünf Stellvertreter.
Tatkräftiger Revolutionär der ersten Stunde
Seit seiner Ernennung zum Minister für „Kultur und Islamische Führung“ signalisiert der 64 jährige regelmäßig mit spektakulären Äußerungen, dass mit ihm im iranischen Kulturbetrieb eine neue Ära beginnen werde.
Jannatis Ministerium kontrolliert genaugenommen alle kulturellen und zum Teil auch gesellschaftliche Aktivitäten des Landes: von Presse- und Buchwesen bis Film- und Theaterproduktionen, von Pilgerfahrt bis hin zum Moscheebau inklusive Denkmalschutz. Für jeden Kulturbereich ist ein Vizeminister zuständig.
Kaum im Amt sorgte der Sohn des mächtigen Ayatollah Ahmad Jannati mit einer sensationellen Äußerung für Aufregung: er wolle die Zensur der Buchmanuskripte vor der Veröffentlichung abschaffen, denn in den Schubläden seines Ministeriums lägen Manuskripte, die seit Jahren, manche seit Jahrzehnten vergeblich auf eine Genehmigung warteten. Daher sollten die Verleger selbst entscheiden, ob sie ein Buch publizieren oder nicht, so der frisch gekürte Minister vor den Mitarbeitern seines Ministeriums. Auf dem ersten Blick hört sich Jannatis Vorschlag für iranische Verhältnisse revolutionär an. Und aus dem Munde eines solchen mächtigen Mannes wird dieser Gedanke durchaus ernstgenommen. Als Revolutionär der ersten Stunde eroberte Jannati einst die königlichen TV-und Radioanstalten im ganzen Land und gehörte an der Seite des heutigen Präsidenten Hassan Rouhani Jahre lang zum Leitungsteam des staatlichen Propagandaapparates.
Zur Durchsetzung seines Ansinnens, die Verantwortung für die Buchinhalte den Verlegern zu überlassen, verhält sich Jannati erstaunlich offen und scheut sich dabei nicht, die Absurdität der jetzigen Zensurpraxis im Iran zu verdeutlichen. Sein zuständiger Vize, Abbas Salehi, gewährte sogar einen kurzen Blick in die Zensurstube der Islamischen Republik. Dort säßen junge Schüler und Studenten und suchten in den Manuskripten renommierter iranischer Schriftsteller nach verbotenen Wörtern, ohne zu verstehen, worum es eigentlich geht, so Salehi in einem Zeitungsinterview.
Die Proteste und der gescheiterte Plan
Doch fast alle unabhängigen Verleger lehnten den Vorschlag des Ministers kategorisch ab. Dies sei kein Weg zur Aufhebung der Zensur, sondern ein Programm zum wirtschaftlichen Ruin des Verlagswesens, so die Verleger in einem offenen Brief an den Minister. Jannati´s Plan erscheine ihnen voreilig und nicht praktikabel. Auch sein zuständiger Vize, Salehi, spricht inzwischen nicht mehr darüber. Stattdessen verspricht er, das Personal der „Überprüfungsabteilung“ zu erneuern. Künftig sollten nicht mehr Studenten und Schüler, sondern Professoren und Gelehrte die Manuskripte vor dem Druck bewerten. Allerdings geht man bei all diesen Überlegungen immer nur von einer Reform der Zensurbehörde aus und nicht von deren Abschaffung, denn diese kostspielige und alles und jeden beherrschende Bürokratie scheint nach wie vor unentbehrlich zu sein.Die Islamische Republik ist ohne Zensur kaum vorstellbar. Selbst die Reformer im Inland und die moderaten Islamisten im Exil wollen eine strenge „Überprüfung“ der Schriften und Publikationen. Es wird lediglich um die Frage gestritten: wer büßt für das Vergehen? Der Verleger, der „fragwürdige“ Druckerzeugnisse auf den Markt bringt oder der Schriftsteller, der diese verfasst.
Offener Brief der AutorInnen
Im Rahmen der öffentlichen Diskussion äußerten sich auch die SchriftstellerInnen: „Jeder Künstler muss für sein Werk grade stehen„ schrieben 231 meist junge SchriftstellerInnen, ÜbersetzerInnen und JournalistInnen in einem Brief an Jannati. Sie würdigen seine Tatkraft und versprechen die Gesetzestreue. „Heben Sie die Zensur auf, das ist die Lösung. Und seien Sie sicher, in einem öffentlichen Gerichtsprozess werden wir jegliche Verantwortung für unsere Schriften übernehmen“, so die Unterzeichner.
Bis jetzt werde aber zensiert wie eh und je, sagt ein Verleger, der nicht namentlich genannt werden möchte. Und es werde auch weiterhin gestritten, wann und wie der Zensor eingreifen soll. Vizeminister Abbas Salehi, der Philosophieprofessor und Oberster Zensor, schweigt vorerst dazu. Er verspricht lediglich eine „Zensur mit Offenheit und Professionalität“. Was das konkret heißen mag, wird sich in naher Zukunft herausstellen.