Was tun mit dem Krieg? Ratlosigkeit vor der drohenden Katastrophe
Trotz eines lauwarmen Dementis aus Jerusalem wägt Israel offensichtlich das Pro und Contra eines Militärschlags gegen iranische Atomanlagen ab. Die Sorge vor einem Krieg greift unter den Iranern um sich, zuhause ebenso wie im Exil. Ob die Diplomatie siegt, ist noch offen. Auf den Iran kommen harten Zeiten zu.
Ob in der Opposition oder an der Macht, ob zuhause oder im Exil – die Iraner scheinen dieser Tage ratlos zu sein. Niemand weiß, was tatsächlich zu befürchten ist, man ahnt aber, dass die Zukunft nichts Gutes verheißt. Überall, ob in Zeitungen oder auf Webseiten, in den zahlreichen TV- und Radiosendungen oder in privaten Gesprächen – wohin man auch schaut und wem man auch lauscht, es wird spekuliert und analysiert, es werden Szenarien entworfen oder gemeinsame Aktionen geplant.
Doch wogegen oder wofür? Wird es einen Krieg geben oder „nur“ verstärkte Sanktionen, deren Auswirkungen aber genauso verheerend sein könnten wie ein Krieg? Lässt sich die drohende Katastrophe überhaupt abwenden und wenn ja, wer könnte das, wenn die Mächtigen in Teheran weiterhin stur bleiben? Wen sollte man zur Hilfe rufen? Gibt es überhaupt relevante Verbündete? Und für wen sollte man bei diesem „großen Spiel“ Partei ergreifen – oder sollte man einfach schweigen und zuschauen, weil die Kontrahenten dieses Konflikts – mögen sie Netanjahu, Khamenei oder Obama heißen – nichts anderes im Sinn haben als ihre eigene Macht, ihre eigenen Interessen.
Demonstrative Gelassenheit, wohldosierte Reaktionen
Seit der Veröffentlichung des jüngsten Berichts der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) zum iranischen Atom-Programm vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein wichtiger oder weniger wichtiger Politiker dieser Welt sich zu einem möglichen Militärschlag gegen den Iran äußert. Frankreichs Außenminister Alain Juppé forderte Anfang der Woche eine einheitliche EU-Position und scharfe Sanktionen gegen den Iran, damit ein „irreparables Eingreifen“, also ein Militärschlag, noch verhindert werden könne.
Der ehemalige kubanische Staatschef Fidel Castro dagegen hält den Krieg gegen den Iran für eine längst beschlossene Sache. Hugo Chavez, der Präsident Venezuelas, findet scharfe Worte, um seine Allianz mit dem Iran zu demonstrieren: Er bezichtigt die USA und Israel, bewusst und fahrlässig einen atomaren Weltkrieg in Kauf zu nehmen oder gar in Gang zu setzen.
Beim asiatisch–pazifischem Gipfel am vergangenen Wochenende forderte US-Präsident Barack Obama den russischen Präsident Dmitri Medwedew und Chinas Oberhaupt Hu Jintao dazu auf, sich mit ihm gegen den Iran zu verbünden. Obama sagte: „Nicht nur die Welt, sondern auch das iranische Regime versteht, wie entschlossen wir sind“. Und in Richtung der beiden Länder meinte Obama: „Ich glaube, wir werden eng in dieser Frage zusammenarbeiten“. Hu stimmte ihm zu, dass sich der Iran an internationale Regeln und Normen zu halten habe.
In normalen Zeiten wäre jede dieser Äußerungen eine geeignete Vorlage für lange Kommentare seitens der gewöhnlich sehr gut funktionierenden Propagandamaschine der Islamischen Republik. Doch weit gefehlt. Die Äußerungen der ausländischen Politiker wurden zwar in manchen Zeitungen und Nachrichtensendungen erwähnt. Doch immer dienten sie dabei als Beweis für die Unwahrscheinlichkeit eines Krieges.
Noch merkwürdiger ist es, wie Teheran dieser Tage mit den Meldungen aus Israel umgeht. Seit dem IAEO-Bericht haben sich fast alle israelischen Politiker mal offen, mal sybillinisch über einen möglichen Militärangriff auf den Iran geäußert. Ministerpräsident Netanjahu, Außenminister Liebermann, Verteidigungsminister Barak und zuletzt Staatspräsident Peres haben mehrmals zu verstehen gegeben, dass kommende Sanktionen gegen den Iran so lähmend sein müssten, dass sie einen Militärangriff überflüssig machten.
Doch die iranischen Medien scheinen das alles nicht so ernst zu nehmen – zu vernachlässigende Propaganda, manches nicht mal erwähnenswert. So jedenfalls gehen die offiziellen Medien mit diesen dramatischen Meldungen um. Präsident Ahmadinejad hat bisher zu all dem geschwiegen, und der mächtigste Mann des Landes, Revolutionsführer Khamenei, hat sich zu den Drohungen nur einmal zu Wort gemeldet – und das für seine Verhältnisse sehr kurz. In einer etwa fünfminütigen Ansprache vor den Absolventen einer Militärschule sagte er: „Sollte der Feind jemals wagen, den Iran anzugreifen, würden die Söhne des Landes zu antworten wissen und diese Antwort wird unvergesslich sein.“
Doch während normalerweise nach jeder Rede Khameneis die so genannten „Schreihälse“ aus der zweiten und der dritten Reihe auf den Plan treten und in der Volkssprache erklären, was der geliebte Führer gemeint hat, schweigen sie in diesen Zeiten, wohl, damit im Volk keine Panik entsteht. Dennoch lässt sich die tatsächliche und dramatische Gefahr, die das Land bedroht, nicht vor der Bevölkerung verbergen. Dafür sorgen das Internet und auch die diversen persischsprachigen TV- und Radio-Sender. So weiß das Volk, worum es in diesen Tagen geht.
Und während die Mächtigen die Gefahr herunterspielen, meldet sich die geduldete Opposition zu Wort – soweit sie noch kann. Bei einem Treffen mit einer Gruppe azerbeidschanischer Studenten warnte etwa der ehemalige Präsident Mohammad Khatami vor der Verharmlosung der Gefahr. Das Land sei an einem Scheideweg angelangt, sagte Khatami: Nur gemeinsam könne man die Herausforderungen meistern. Doch solange Oppositionsführer unter Hausarrest und die politischen Gefangenen in den Gefängnissen unter Druck stünden, solange keine freien Wahlen, keine freie Presse und keine freie Atmosphäre existiere, werde man den äußeren Gefahren nicht widerstehen können, so Khatami. Und um über seinen Patriotismus keinen Zweifel aufkommen zu lassen, fügte er hinzu: „Ob Reformer oder nicht – bei einem ausländischen Angriff stehen wir alle in einer Reihe.“
Vielstimmiger Chor in Freiheit
Anders sieht es im Exil aus. Fern der Heimat erlaubt sich die Opposition andere Töne und eine Bandbreite an Meinungen und Nuancen, die unübersichtlich und bisweilen widersprüchlich ist. Da ist etwa eine ominöse Studentengruppe aus den USA, die den US-Präsidenten Obama in einem offenen Brief auffordert, endlich und ernsthaft einen militärischen Einsatz gegen den Iran in Erwägung zu ziehen. Oder eine finanzkräftige Oppositionsgruppe, die sich offenbar in einer ähnlichen Rolle sieht wie einst die afghanische Nordallianz: als Vorauskommando der amerikanischen Armee.
Auch obskure Gestalten melden sich in diesem Chor wie etwa jener Historiker, der zynisch die Zahl der iranischen Verkehrstoten der letzten 30 Jahre zusammenrechnet – mit mehr als 20.000 Verkehrsopfern jährlich ist der Iran internationaler Rekordhalter -, um die Opferzahl eines möglichen Krieges so zu bagatellisieren.
Doch die Mehrheit der Exil-Iraner fürchtet – persönlich und politisch – den Krieg. Der rote Faden ihrer Analysen lautet: Ein Militärschlag wird nicht nur möglicherweise das Land zerstören. Politisch wird er vor allem den Radikalsten der Radikalen nutzen. Denn für diese gilt, was einst Revolutionsführer Ayatollah Khomeini sagte: „Der Krieg ist eine Gabe Gottes.“
Und auch, wenn im Chor der Exil-Iraner durchaus Stimmen zu hören sind, die die Verantwortung für einen möglichen Krieg eher bei der IAEO, bei Israel und Amerika sehen als bei den Mächtigen in Teheran – die Mehrheit sieht doch in den iranischen Machthabern die Hauptverantwortlichen. Eins steht für sie zudem fest: Mit einem Krieg müsste man auch die Hoffnung auf eine demokratische Zivilgesellschaft im Iran endgültig begraben.