Verzagtheit und Kampfeswillen: No Land´s Song

In dem Dokumentarfilm „No Land´s Song“ begleitet der Berliner Filmemacher Ayat Najafi seine Schwester, die Musikerin und Komponistin Sara Najafi, bei der Organisation eines Konzerts mit Solo-Sängerinnen. Kein einfaches Unterfangen, denn seit der Revolution von 1979 ist es Frauen im Iran untersagt, öffentlich vor gemischtem Publikum als Gesangssolistinnen aufzutreten. Iran Journal sprach mit dem Regisseur.

Iran Journal: Seit der Revolution von 1979 dürfen iranische Frauen nicht öffentlich singen. Warum bist Du jetzt auf die Idee gekommen, diesen Film zu machen?
Ayat Najafi: Ich wollte schon immer einen Film über die berühmte Sängerin Qamar al-molouke Vaziri* machen. Als meine Schwester ein neues Album mit Frauenstimmen produzieren wollte, war klar, dass wir den Film zusammen machen müssen – weil wir erkannt hatten, dass sich in den Schwierigkeiten, die sie dabei haben würde, die Konflikte widerspiegeln würden, die Qamar al-molouke Vaziri 1924 hatte, um auftreten zu können. 2009 habe ich dann angefangen, an „No Land´s Song“ zu arbeiten.
Der Staat kontrolliert im Iran das gesamte Kulturgeschehen. Du hast trotzdem eine Genehmigung für die Produktion eines kritischen Filmes bekommen. Wie kam das?
Wer sagt, dass ich eine Drehgenehmigung hatte? (Lacht) Die iranische Regierung denkt immer, dass sie alles unter Kontrolle hat. Ich bin mehr oder weniger im iranischen Filmgeschäft groß geworden. Also habe ich schon von Jugend an mitbekommen, dass man immer Möglichkeiten suchen muss, um Drehverbote und Zensur zu umgehen. Auch in diesem Fall habe ich Wege gefunden. Da ich regelmäßig in den Iran reise und meine Filme immer einen Iranbezug haben, will ich meine Strategien aber nicht offenlegen.
Womit erklärst Du Dir den Erfolg** des Filmes?

Szenenfoto: Die Sängerin Parvin Namazi singt in Begleitung von Sara Najafi und einem Instrumentenverkäufer
Szenenfoto: Die Sängerin Parvin Namazi singt in Begleitung von Sara Najafi und einem Instrumentenverkäufer

Erfolg ist immer etwas Relatives. Ich glaube, die Menschen mögen den Film, weil er einfach und ehrlich ist. Es ist die Geschichte meiner Schwester, die ein Konzert mit weiblichen Solostimmen organisieren will. Man sieht, wie absurd schwierig die Umsetzung dieser simplen Absicht ist. Man erlebt die Musikerinnen als authentische Personen, sieht ihre Zweifel und ihre Verzagtheit in manchen Momenten, aber auch ihren Kampfeswillen. Das macht die Künstlerinnen sympathisch, das ist wohl der wichtigste Punkt.
Hat der Erfolg des Films etwas für Sängerinnen im Iran verändert?
Bisher nicht, weil er ja noch gar nicht im Iran gezeigt worden ist. Aber man muss die Erwartungen an einen Film auch etwas kleiner halten. Ich hoffe zeigen zu können, wie sehr die Frauen im Iran kämpfen müssen. Es wäre schön, wenn ins Bewusstsein dringen würde, dass man mehr zusammenhalten muss. Viele Männer wollen Frauen nicht unterstützen, weil sie Konkurrenz befürchten. Aber es ist nötig, dass sich in der Kunstszene des Iran etwas ändert, und das wollte ich mit meinem Film zeigen. Der Kinostart in Deutschland und Frankreich ist für den Herbst dieses Jahres angesetzt. Ich hoffe, dass sich „No Land´s Song“ dann über Schwarzmarktkanäle und den DVD-Handel auch seinen Weg in den Iran bahnen wird, so dass man dort darüber reden kann. Mir war es auch wichtig, eine Erfolgsgeschichte zu zeigen, um Frauen zu motivieren.
Welche Auswirkung hat der Erfolg des Filmes auf die Protagonistinnen?
Ayat Najafi: Ich hoffe zeigen zu können, wie sehr die Frauen im Iran kämpfen müssen!
Ayat Najafi: Ich hoffe zeigen zu können, wie sehr die Frauen im Iran kämpfen müssen!

Meine Schwester Sara hat sehr viel positives Feedback vom Publikum und von MusikerInnen erhalten, allein schon, weil sie es geschafft hat. Das hat ihr Mut gemacht und sie will weitermachen. Im Endeffekt wollen wir, dass die Frauen singen, und dass sich Sara weiter dafür einsetzt, ist total wichtig. Die Sängerin Parvin Namazi, die ebenfalls in dem Film zu sehen ist, ist einem Berliner Publikum bekannt. Darüber hinaus kennen sie noch einige musikinteressierte ExiliranerInnen oder KurdInnen. Doch außerhalb dieser Gemeinden hat ihre großartige, ganz besondere Stimme bis jetzt kein Publikum gefunden. Auf den Musikfestivals in Frankreich, wo der Film gezeigt wurde, wollten die Leute sofort mit Parvin arbeiten. Das wäre natürlich ein absoluter Traum, dass zwischen französischen und iranischen MusikerInnen noch mehr Austausch stattfindet. Ich kann mir gut vorstellen, dass Parvin in ein oder zwei Jahren in einem französischen Film singt.
Hast Du von iranischen Sängerinnen, die im Iran leben, aber nicht auftreten dürfen, Feedback erhalten?
Wie gesagt, dazu müsste der Film erst mal im Iran laufen. Aber einige Sängerinnen, die im Exil leben oder auf Reisen waren, haben den Film gesehen. Das waren immer sehr bewegende Momente. Sie waren sehr froh, dass jemand die Schwierigkeiten von Frauen in der iranischen Musikszene gezeigt hat. Aber für mich ist es im Grunde wichtiger, dass sich Männer diesen Film anschauen. Denn außer ein paar Einzelnen, die sich für Frauenrechte einsetzen, wollen die Männer nicht, dass Frauen zu ihnen auf die Bühne kommen. Für Männer ist das doch das Paradies, und die Regierung und das ganze System geben ihnen Kraft. Das ist letztlich so, als wolle man durchsetzen, dass auf Berliner Bühnen keine Frauen mehr Regie führen dürfen. Als wirklicher Künstler muss man aber einsehen, dass dann etwas sehr Starkes fehlen würde.
Im Film wird immer wieder Bezug genommen auf die Zeit vor der Revolution, als Sängerinnen noch vor gemischtem Publikum auftreten durften. Was waren das für Frauen und wie waren sie damals angesehen?
Als Qamar al-molouke Vaziri 1924 anfing, öffentlich zu singen, musste sie sich gegen den Widerstand religiöser Gruppierungen durchsetzen.
Qamar ol-Moluk Vaziri, die erste Sängerin, die vor gemischtem Publikum im Iran auftrat
Qamar ol-Moluk Vaziri, die erste Sängerin, die vor gemischtem Publikum im Iran auftrat

Doch mit ihrem Erfolg verschwanden auch die Einwände. Sima Bina, die iranische Folklore gesungen hat, war durch das Kino und das Radio überall bekannt. Ohne Zweifel hatten die Frauen in der Musik vor der Revolution eine bessere Zeit. Aber dennoch darf man nicht übersehen, dass die Sängerinnen alle unter Künstlernamen aufgetreten sind. Das zeigt, dass es ein Tabu gab und die Sängerinnen bei den streng Religiösen nicht willkommen waren. Das waren nicht irgendwelche Monster, die plötzlich mit der Revolution aufgetaucht sind. Diese Kräfte waren die ganze Zeit da und haben sich dann die Macht genommen. Diese religiösen Wertvorstellungen existieren bis heute in der iranischen Gesellschaft. Wenn wir iranische Filme sehen oder iranische Musik hören, denken wir, dass der Iran ein offenes und tolerantes Land ist. Das ist aber nicht richtig. Der Iran ist zwischen diesen Welten.

Was wünschst Du den Protagonistinnen Deines Films, die im Iran leben und arbeiten?
Den Sängerinnen wünsche ich, dass sie ihre Kunst frei ausüben und ihr Potential ausschöpfen können. Kunst ist ein Geschenk, sie ist notwendig und wichtig. Die Künstlerinnen haben das Geschenk angenommen und hart gearbeitet, um tolle Musikerinnen zu werden. Ich wünsche mir, dass sie die Chance bekommen, sich auf ihre Kunst zu konzentrieren, statt gegen diese absurden Probleme kämpfen zu müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ohne solche Beschränkungen ein riesiger Reichtum sichtbar werden wird.
Interview: YASMIN KHALIFA
* Qamar ol-Moluk Vaziri (1905 – 1959) war die erste iranische Sängerin, die vor gemischtem Publikum aufgetreten ist. In dem Film No Song´s Land besuchen die Protagonistinnen das ehemalige Grand Hotel in Teheran, in dem Qamar zum ersten Mal auftrat. Heute ist das Hotel ein heruntergekommenes Lager.
** No Land´s Song ist bisher auf mehr als 20 internationalen Festivals gelaufen und wurde sechs Mal ausgezeichnet.