Khazali: „Im Gefängnis ist man freier als draußen“

Mehdi Khazali, Blogger und scharfer Kritiker der Regierung wurde am 11. August nach 27 Tagen aus der Haft entlassen. Der Prozess gegen ihn  soll am 27. August in Teheran beginnen. Ihm wird Beleidigung der hohen Würdenträger vorgeworfen. Der Sohn eines mächtigen Ayatollah spricht  im Interview mit TFI über seine Verhaftung, seine geplante Klage  und warum er sich im Evin-Gefängnis freier fühlt.
Mehdi Khazali, Sohn des einflussreichen Ayatollah Abolghasem Khazali wurde in den letzten 14 Monaten drei Mal verhaftet. Der Grund seiner letzten Verhaftung: Er hatte in seinem Weblog davon geschrieben, dass er wieder vom Informationsministerium vorgeladen worden war. Khazali trat im Gefängnis in Hungerstreik. Anscheinend konnte er damit seine vorläufige Freilassung erzwingen.
Herr Khazali: Sie haben gerade 27 Tage im Gefängnis verbracht. Warum und wo wurden Sie verhaftet?
Ich war vorgeladen worden, um über meine persönlichen Gegenstände zu sprechen, die man vor zwei Jahren in meinem Büro und meinem Haus beschlagnahmt hatte – und diese eventuell wiederzubekommen. Als ich vor dem Gebäude des Informationsministeriums ankam, hielt ein silbernes Auto neben mir an. Dann stiegen einige kräftige Männer aus und zerrten mich gewaltsam ins Auto. Im Auto haben sie mir Handschellen angelegt und mich auf den Boden geworfen, so dass mein Gesicht auf dem Boden lag. Dann drückte einer von ihnen meinen Hals mit seinem Fuß nieder. Sie sagten mir, dass sie mich verhafteten, weil ich auf meiner Website von der Vorladung berichtet habe. Ich hatte mich von meinen Lesern verabschiedet, und das hatte sie wütend gemacht. Mein Hals tut immer noch weh und ich habe Probleme mit meiner linken Hand.
Sie haben nach Ihrer Freilassung angekündigt, gegen die Mitarbeiter des Informationsministeriums rechtlich vorzugehen. Warum?
Sie haben mich angeblich aufgrund eines Urteils verhaftet, das nicht vollstreckt werden sollte. Es gab zwar ein Urteil, aber ich durfte gegen Zahlung einer Kaution bis zur Gerichtsverhandlung auf freiem Fuß bleiben. Die Kaution hatte ich auch bezahlt. Die Verhaftung war also gesetzeswidrig. Ich will klagen, damit diese Leute bestraft werden, und damit andere Tatverdächtige und Gefangene sich auf ein Minimum ihrer Rechte berufen können.
Wurden Sie während der Gefangenschaft schlecht behandelt?
Ich war mehr als 25 Tage in Einzelhaft. Nur in den letzten Tagen war ich in einer Gemeinschaftszelle. Ich wurde in der ganzen Zeit nicht verhört, niemand hat mir eine einzige Frage gestellt.
Wie wurden die anderen Gefangenen behandelt? Haben die Gefangenen Ihnen etwas darüber erzählt?
Ich habe Sachen gehört, von denen ich auch jetzt noch Gänsehaut bekomme. Einer der Gefangenen saß 553 Tage in Einzelhaft und hat erhebliche Schäden davon getragen.  Abdollah Momeni (Vorsitzende der größten Studentenorganisation „Tahkim Vahadat“) wurde ins Krankhaus gebracht, weil sein Trommelfell geplatzt war.
Waren Sie selbst Zeuge von Gewalt, oder hat jemand Ihnen davon berichtet?
Die Einzelhaft ist die übliche Methode, um Gefangene unter Druck zu setzen (…) Ich war im Trakt 240 in einer Zelle, die etwa 1,60 mal 2 Meter groß war. Dort gab es nur einen Blecheimer. Es stank wie die Hölle. Die Tür war ständig abgeschlossen, damit man nicht einmal die Luft des Flurs zum Atmen bekam.
Haben Sie von den unbekannten Gefangenen etwas erfahren?  Jene Gefangene, die keine Beschwerdebriefe nach außen schicken, um die sich niemand kümmert?
Ich habe einen jungen Mann getroffen, dessen Worte mir den Schlaf geraubt haben. Er heißt Seyed Moussavi. Der Richter hatte zu ihm gesagt: Das Kind eines „Monafegh“ (eine abfällige Bezeichnung für die Anhänger der Organisation „Volksmujdahedin“ A. d. R.) wird auch ein „Monafegh“. Also hatte er ihn zu drei Jahren Haft verurteilt. Ich möchte zu dem Richter gehen und ihn fragen: Wenn das so ist, wo bleibt dann mein Staatsposten, denn ich bin ja der Sohn eines Ayatollahs. Die Eltern von dem jungen Mann sind in den 1980er Jahren hingerichtet worden. Er ist im Gefängnis geboren und bei seiner Tante aufgewachsen. Er hat mir gesagt, dass er kein Interesse an Politik hat, gerade weil seine Eltern politisch waren.
Sie sind Arzt. Haben Sie irgendwelche schlimmen Folgen bei den jüngeren Gefangen feststellen können?
Ehrlich gesagt, meine Familie war unglücklich, dass ich im Gefängnis saß, aber ich war dort völlig entspannt.

Khazali: " Im Gefängnis essen die Säkularen , die Linken, die Liberalen und die Religiösen miteinander, sie reden und diskutieren, sie kritisieren die Herrschenden und kennen dabei keine Tabus."
Khazali: " Im Gefängnis essen die Säkularen , die Linken, die Liberalen und die Religiösen miteinander, sie reden und diskutieren, sie kritisieren die Herrschenden und kennen dabei keine Tabus."

Denn ich sah den jungen politischen Menschen, der kein Verbrechen begangen hat, aber zu 15 Jahren Haft verurteilt worden ist. Ich sah, wie aufmunternd und seelisch stabil er war, was für einen starken Willen er hatte, trotz der harten Verhöre und dem ganzen Druck (…) In Anbetracht dessen, kam mir meine Bitte um ein telefonisches Gespräch mit meiner Familie nichtig und beschämend vor.
Sie traten im Gefängnis für mehr als drei Wochen in den Hungerstreik. Warum haben Sie damit Ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt?

Wenn ein Gefangener das Gefühl hat, dass seine Schreie nicht gehört werden, setzt er seinen Körper als Waffe ein. Ich bin Bergsteiger und wäre physisch in der Lage, den Guinness-Rekord im Hungerstreik zu brechen. Aber ich glaube, für den Staat wäre es nicht gut, wenn dieser Rekord im Iran gebrochen worden wäre.
Wissen die Gefangen, was draußen passiert?
Die Mörder, Schmuggler und Wirtschaftsverbrecher haben Tag und Nacht Zugang zum Telefon, aber die 200 Schriftsteller, Intellektuellen und Universitätsdozenten in dem Trakt 350 des Evin-Gefängnisses nicht. Arab-Sorkhi, Rajaie, Beheshti und Mirdamadi (A. d. R. : Kader von reformistischen Parteien) waren im selben Trakt. Sie hatten gar keine Rechte, durften nicht einmal ihre Familien anrufen. Die Neuankömmlinge bringen die neuen Nachrichten mit. Aber auch die Insassen, die ins Krankhaus geliefert werden, erfahren, was draußen vor sich geht und wenn sie zurückkommen, informieren sie die anderen.
Sie haben einmal gesagt, der Trakt 350 des Evin-Gefängnisses sei der am meisten freie Ort im Iran. Warum?
Dort fühlt man sich frei, weil Menschen mit unterschiedlichen Gesinnungen friedlich miteinander leben. Wenn die Tür geschlossen wurde, haben wir selber das Leben dort bestimmt. Wir haben gekocht, abgewaschen, geputzt – alle gemeinsam. Die Säkularen , die Linken, die Liberalen und die Religiösen essen miteinander, reden und diskutieren, kritisieren die Herrschenden und kennen dabei keine Tabus. Niemand fühlt sich beleidigt oder benachteiligt. Alle sind frei.
Gibt es für Sie Tabus bei Ihren Kritiken?
In dem islamischen System und in der islamischen Verfassung ist Kritik erlaubt. Wir dürfen aber niemanden beleidigen oder diffamieren. Da muss man sehr vorsichtig sein.
Sie haben einmal gesagt, dass die Justiz die Öffentlichkeit irreführt, um die Gefangenen weiterhin im Gefängnis zu behalten. Wie tut sie das?
Sie behalten viele Beschuldigte im Gefängnis, obwohl man für ihre vorläufige Freilassung Kautionen kassiert. Der Vorwand der „Verschwörung gegen das System“,  unter dem sie die meisten politischen Gefangenen verhaftet haben, ist nicht definiert. Wenn ein junger Mensch an einer Demonstration teilnimmt, ist das dann Verschwörung gegen das System? Nach Paragraph 27 der iranischen Verfassung haben die Menschen das Recht zu demonstrieren. Solche Vorwürfe sind kurios und werden zu bestimmten Zwecken ausgenutzt. Die meisten Urteile der Justizbehörde sind nicht rechtens und haben nichts mit dem zu tun, wofür die Gefangene verhaftet worden sind.
Sie sind der Sohn eines Ayatollah. Gibt es ähnliche Kritiken, oder Menschen wie Sie in ihrer Umgebung oder in den Familien der Geistlichen?
Ja, das gibt es. Leider ist die heutige Situation so, dass die Meisten Angst haben, sich zu äußern. Viele Kleriker sind besorgt über die Zukunft ihrer Kinder.
Man sagt, dass Ihr Vater Sie verstoßen hat. Wie ist Ihre Beziehung zueinander?
Er hat sich von meinen Stellungnahmen distanziert. Aber ich bin sofort nach meiner Freilassung zu  ihm gegangen und habe seine Hand geküsst. Ich respektiere meine Eltern. Mein Vater teilt meine Ansichten nicht, aber in Bezug auf Ahmadynedschad hat er nach vielen Jahren endlich meine Meinung über ihn eingesehen. Er unterstützt ihn nicht mehr. Ich hoffe, dass mein Vater in Zukunft auch seine Meinung in Bezug auf die Anderen ändert und akzeptiert, dass auch sie Fehler begehen können.
Interview: Mahindokht Mesbah
Aus dem Persischen von: Farhad Payar
**********
Zur Person:
Der Augenarzt Mehdi Khazali wurde 1965 in Ghom ( Iran) geboren. Er ist der Sohn von Ayatollah Abolghasem Khazali, Mitglied des mächtigen Expertenrates, und enger Vertrauter des Staatsoberhauptes Ayatollah Khamenei.
Mehdi Khazali ist Geschäftsführer des Verlages „Hayyan“.