Wie steht es um das iranische Nuklearprogramm?
Das beste Mittel dazu war einerseits, das nukleare Drohpotenzial zu steigern, und anderseits mit aller Kraft Verhandlungen mit dem Westen zu suchen – die ökonomische Misere ist dabei nach wie vor ein Faktor. Eine Verhandlung auf offener Bühne mit Vertretern der Großmächte des UN-Sicherheitsrates wäre ein ideales Vehikel, die verlorene Legitimität im Ausland wiederherzustellen.
Kein Wunder, dass das Regime plötzlich bereit war, so ziemlich alle Forderungen, die es vor der Unterbrechung der Verhandlungen erhoben hatte, fallen zu lassen. Nach einigen sporadischen Kontaktaufnahmen mit dem EU-Beauftragten für Außenpolitik Borrell gelang es der IRI schließlich, erst in geheimen, später in offenen indirekten Gesprächen mit den USA in Oman ihr Etappenziel zu erreichen.
Durch den massiven Fortschritt des Nuklearprogramms wäre eine Einigung in Bezug auf den JCPOA, wenn überhaupt, dann nicht in greifbarer Nähe gewesen. Daher hat man sich auf den Austausch der faktisch als Geiseln genommenen westlichen Bürger*innen, meist mit doppelter Staatsangehörigkeit, gegen Legitimation, Geld und die eigenen in den westlichen Ländern verurteilten Terroristen oder Sanktionsbrecher geeinigt. Es war unter anderem der Aufbau einer nuklearen Drohkulisse seitens der IRI, der die westlichen Regierungen veranlasste, ungeachtet einer beispiellosen Solidarität der öffentlichen Meinung mit der Frau-Leben-Freiheit-Erhebung in ihren Ländern zu ihrer „bewährten“ Beschwichtigungspolitik gegenüber der IRI zurückzukehren und faktisch deren Politik der Geiselnahmen zu legalisieren.
- IRI-Maßnahmen in Missachtung der Verpflichtungen
Vier problematische Orte
Die IRI hat sich in den vergangenen fünf Jahren nicht bereit erklärt, Fragen zu vier Orten befriedigend zu beantworten, an denen Spuren anthropogener Uran-Partikel entdeckt wurden, die auf verdeckte nukleare Aktivitäten hinweisen. Das Problem wurde für zwei der Orte einstweilen gelöst, aber für die zwei Orte Torqouzabad und Waramin noch nicht.
An diesen nicht deklarieren Orten haben vor etwa 20 Jahren vermutlich nukleare Aktivitäten stattgefunden, jedoch sind inzwischen die Gebäude und sonstige eventuelle Spuren beseitigt worden. Es wird gemutmaßt, dass die IRI in diesen Einrichtungen Experimente zur Entwicklung einer Kernwaffe durchgeführt hat. Dieses in der Vergangenheit liegende Thema hat insoweit wieder an Aktualität gewonnen, als das Regime der IRI mit der Entfesselung der Anreicherung bis zur Schwelle des waffenfähigen Urans bei betreffenden Institutionen und Ländern Besorgnisse erregt. Sie möchten wissen, wie weit das iranische Nuklearprogramm über die Urananreicherung hinaus in Richtung des Bombenbaus gediehen war.

Verminderung der Transparenz
Die IRI hat nach der offiziellen Kündigung des Zusatzprotokolls im Februar 2021 sukzessiv auch ihre Verpflichtungen reduziert, die der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) eine Kontrolle seines Nuklearprogramms ermöglichen sollen. Sie wendet diese Regelungen aber in der Praxis stillschweigend an. Kurzum, es gibt in diesem Fall divergierende juristische Interpretationen zwischen der IAEA und der IRI.
Ein weiterer von der IRI unternommener Schritt gegen die Transparenz ist die Behinderung der Inspektoren. Diese gipfelte zuletzt in der Verweigerung von Visa für mehrere besonders kompetente Experten der IAEA, die aus westlichen Ländern stammen – ein Sachverhalt, der in dem Bericht von IAEA-Generalsekretär Rafael Grossi vom November 2023 mit ungewöhnlich scharfen Worten verurteilt wird. Grossi macht sich Sorgen, dass unter diesen Umständen die Transparenz der nuklearen Aktivitäten der IRI stark beeinträchtigt werden könnte. Möglicherweise ist es der Beweggrund für seine kürzlich ausgesprochene Warnung, die IRI könnte einen ähnlichen Weg beschreiten wie Nordkorea vor einigen Jahren. Diese Diktion seitens der IAEA ist völlig neu und reflektiert die besagte Sorge.
Ein weiterer Streitpunkt zwischen der IAEA und IRI ist die Diskrepanz über das nukleare Inventar im Werk UCF in der Stadt Isfahan.
- Gegenmaßnahmen im Zusammenhang mit dem JCPOA
Bereits kurz nach dem erwähnten Parlamentsbeschluss hat sich die IRI im Februar 2021 von folgenden Transparenz-Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Urananreicherung entbunden: Der JCPOA erfordert, dass der Uran235-Anreicherungsgrad nicht höher als 3,67% sein darf und die maximale, im Iran zu akkumulierende Menge 300 kg UF6 nicht überschreiten darf. Der Iran hat dieses Limit sukzessive auf 5%, 20% und 60% erhöht. Die Gesamtmenge des inzwischen angereichten Urans beläuft sich auf 4486,8 kg UF6, was nominell das 15-Fache der erlaubten Menge ist – das Institut ISIS von David Albright kolportiert fälschlicherweise den Faktor 22, der von Medien meist unkritisch reflektiert wird.
Was hier als besonders kritisch angesehen werden kann, ist die angehäufte Menge von Uran mit 60% Anreicherungsgrad (HEU Highly Enriched Uranium). Sie beträgt 128,3 kg UF6. Eine weitere Anreicherung bis 90% kann innerhalb weniger Wochen erfolgen, so dass das Regime in Besitz von genügend Material für zwei Atombomben gelangen könnte. An dieser Stelle ist erwähnenswert, dass die IRI noch einen langen Weg bis zur Bombe vor sich hat; genügend HEU macht noch keine Bombe.
Allerdings hat die IRI im Zuge der relativen Entspannung mit den USA und ihren arabischen Verbündeten am Persischen Golf eine gewisse Entschleunigung bei der Herstellung von HEU vorgenommen.
Herstellung vom metallischen Uran
Fortsetzung auf Seite 3