Die iranische Kinolandschaft unter Rouhani
Blieben in der Zeit von Ahmadinedschads Regierung immer mehr Menschen den Kinosälen fern, änderte sich dies unter Präsident Rouhani. Das iranische Kino floriert. Eine ungewöhnliche Entwicklung, denn gegen die Zensurpraxis der Hardliner konnte seine Regierung sich nicht durchsetzen. Warum zeigen die IranerInnen wieder mehr Interesse am Kino?
Vor etwa zehn Jahren begann die iranische Regierung unter Mahmud Ahmadinedschad, Filmemacher direkt und indirekt zur Produktion von Filmen zu zwingen, die den Wertvorstellungen des islamischen Regimes entsprachen. Gleichzeitig stiegen die Ticketpreise der Kinos. Das Ergebnis: Immer mehr ZuschauerInnen blieben den Kinosälen fern. Obwohl in der Amtszeit der Regierung Rouhani kein sonderlicher Kurswechsel zu verzeichnen ist, nimmt die Anzahl der KinogängerInnen seit 2015 spürbar zu.
Laut offiziellen Angaben kamen im iranischen Jahr 1394 (März 2015 bis März 2016) insgesamt 57 iranische Filme in die Kinos. Zehn davon erbrachten an den Kinokassen mehr als zwei Milliarden Toman (etwa 500.000 Euro), 25 Filme mehr als eine Milliarde Toman und 25 Filme mehr als 500 Millionen Toman. Ein Kinoticket kostete in diesem Zeitraum durchschnittlich 8.000 Toman (etwa zwei Euro).
Der Film „Muhammad: The Messenger of God“ brachte mehr als 2,4 Millionen ZuschauerInnen in die Kinos und stellte mit 14,5 Milliarden Toman Umsatz einen neuen Rekord auf – diese Summe beträgt allerdings weniger als ein Fünftel der Produktionskosten des teuersten iranischen Films aller Zeiten. „Sperm Whale“, „Iran Burger“, „Dar Modate Maloom“ und „The Nameless Alley“ waren die anderen Kassenschlager des Jahres, die anders als „Muhammad“ mehr als ihre Produktionskosten einspielten.
Von März bis Dezember 2016 fanden 50 iranische Filme ihren Weg in die Kinos. Sie spielten insgesamt etwa 130 Milliarden Toman (32,5 Millionen Euro) ein. Im Vergleich: Im iranischen Jahr 1392 hatten iranische Filme weniger als 38 Milliarden Toman eingebracht. Der Oscar-Gewinner „The Salesman“ wurde mit 15 Milliarden Toman Umsatz zum Bestseller der iranischen Kinogeschichte. Die fünf Bestseller des Jahres 2015 machten im Vergleich zu den Bestsellern von 2013 dreimal, im Vergleich zu den Bestsellern 2014 zweimal mehr Umsatz.
Komödien, soziale Dramen und Filme mit philosophischen Themen, aber auch das Thema Säureattacken und Vergewaltigung interessierten die meisten ZuschauerInnen.
Die Erfolgsstrategien
„Der wichtigste Grund für diesen Erfolg ist eine gesellschaftliche Bewegung, in der die Menschen versuchen, sich gegenüber den Machthabern mehr öffentlichen Spielraum zu verschaffen. Mit anderen Worten: Wenn den Menschen die Freiheit zur politischen Aktivität genommen wird, unterstützen sie durch ihre bewusste Wahl gewisse Medien, hier Filme, und versuchen damit mehr öffentlichen Einfluss zu gewinnen. Die Menschen oder generell Gruppen ohne offizielle Macht im Iran haben sich für langsame, aber ständige Veränderungen entschieden. Das ist die aktive Beteiligung an der Öffentlichkeit“, stellt eine Soziologin und Dozentin an der Teheraner Universität, die nicht genannt werden möchte, fest.
Durch Unterstützung bestimmter Filme testen ZuschauerInnen immer wieder neue Grenzen aus und versuchen ihr „öffentliches Territorium“ zu erweitern, so die Soziologin im Gespräch mit dem Iran Journal: „Der Kinosaal im Iran ist das Feld, auf dem die Interessen der ideologischen Instanzen und die der BürgerInnen aufeinander prallen. Dabei geht es nicht um abgesprochene Reaktionen, sondern darum, dass die Menschen unabhängig voneinander, jedoch mit einem gemeinsamen Ziel einer gewissen Aktivität nachgehen. Sie stehen dabei in keinerlei direkten Verbindung zueinander, sie kennen sich nicht einmal. Sie wissen nur, dass sie sich an einem gemeinsamen Ort befinden, den die Machthaber für ihre Ideologie einnehmen wollen“, so die Dozentin.
Warum passiert das?
Die Repressionen im politischen und sozialen Bereich haben sich seit der Entstehung der Islamischen Republik durch die Revolution von 1979 kaum geändert. Was ist die Ursache des neuen Verhaltens der Bevölkerung?
Jede Bewegung und jede Veränderung der Gesellschaft brauche entsprechende Gelegenheiten, so die Soziologin. Die Flügelkämpfe innerhalb des islamischen Systems hätten zu einer Legitimitätskrise des iranischen Regimes geführt. Außerdem kämen durch das Internet und soziale Netzwerke immer mehr Gleichgesinnte zusammen.
Der Sozialforscher und Universitätsdozent Hamidreza Schesch-Dschawani vertritt eine ähnliche Meinung: „Unter der Regierung Ahmadinedschad wurden kaum Filme zugelassen, die die Filmemacher zu Konkurrenz anregten oder das Interesse der Zuschauer erweckten. Die Menschen haben also auf eine Gelegenheit gewartet. Und nachdem Rouhani mit seinen Versprechen zur Veränderung der Kulturpolitik an die Macht kam, war die Gelegenheit da“, schreibt Schesch-Dschawani für die Nachrichtenagentur ILNA. Er weist noch auf einen anderen Faktor hin: Zeitgleich mit dem Beginn der Rouhani-Ära seien mehrere neue und moderne Kinosäle in gut besuchten Einkaufszentren in Betrieb genommen worden. Diese Entwicklung war neu, denn in den Jahren zuvor war ständig vom Niedergang des Kinos im Iran berichtet worden. „Dass motivierte Menschen, ins Kino zu gehen“, so Schesch-Dschawani: „Auch neue Werbemaßnahmen, nämlich Spots auf den im Ausland betriebenen Satellitensendern, kommen der iranischen Kinolandschaft zugute.“
Nach Meinung der Teheraner Soziologin entsprechen die meisten Filme der vergangenen zwei Jahre nicht den Wertvorstellungen der islamischen Hardliner. Sie behandelten Themen wie die Mann-Frau-Beziehung oder politisch sowie wirtschaftlich motivierte Zwangsauswanderung. Solche Filme sprächen das junge Publikum an, meint die Universitätsdozentin. Die gute Verkaufsquote solcher Filme stellten die Filmemacher zufrieden und regten zugleich die mächtigen extremistischen Gruppierungen auf.
Tatsächlich beschweren sich immer wieder Medien, die den islamischen Hardlinern nahe stehen, über die Filme, die in den letzten drei Jahren produziert wurden. „Es gab Zeiten, in denen die ideologischen, religiösen und gesellschaftlichen Phänomene mehr oder weniger, jedenfalls mehr als heute in Filmen Beachtung fanden. Aber heute werden in manchen Filmen nicht nur solche Werte und Phänomene ignoriert, sondern es werden manche religiöse und nationale Symbole ganz offensichtlich und direkt respektlos behandelt, ohne dass sich jemand darüber beschwert“, schrieb die Tageszeitung Javan, die der Revolutionsgarde nahesteht, am 16. März.
Perspektiven der iranischen Kinolandschaft
Es war immer schwierig, in Bezug auf kulturelle und politische Ereignisse in der Islamischen Republik Prognosen abzugeben. Dennoch meinen viele Experten, falls sich die Wirtschaftslage nicht verbessere, die Ticketpreise weiter anstiegen und der Druck der Ultrakonservativen auf die Regierung stärker werden würde, werde das iranische Kino pleite gehen. Es gibt aber auch gegenteilige Meinungen. Schesch-Dschawani etwa ist der Ansicht, die Errungenschaften der „machtlosen“ Gruppierungen, die durch das „langsame Vorrücken“ und „langsame, aber ständige Veränderung“ erfolgen, würden nicht verlorengehen. Er sagt mit Verweis auf den US-amerikanischen Ökonomen Gerry Becker: „Kino ist ein Kulturgut, dass seine Konsumenten mental abhängig macht. Im Gegensatz zu anderen Gütern, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Konsums mit der Zeit abnimmt, steigt die Abhängigkeit an dem Kulturgut mit der Wiederholung des Konsums. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die iranischen Zuschauer den Kinobesuch abgewöhnen, sehr gering. Dies ist den Investoren klar. Deswegen gehen die Investitionen in Produktion oder Distribution der Filme nicht zurück. Diese Investitionen ziehen immer wieder neue Booms nach sich.“
Aus dem Persischen von IMAN ASLANI
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