„Ich habe ihn getötet! Macht, was ihr wollt.“

Vor vier Jahren starb der kurdische Student Ibrahim Lotfollahi im Gefängnis. Offizielle Todesursache: Selbstmord. Laut Lotfollahis Schwester hat nun der stellvertretende Staatsanwalt am  Revolutionsgericht in Sanandaj gestanden, ihn eigenhändig getötet zu haben. Doch juristisch ist der Fall abgeschlossen, eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht möglich. Deshalb bittet die Familie Lotfollahi um die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.
Für Saleh Nikbakht, den Anwalt der Familie Lotfollahi, ist der Fall abgeschlossen: „Das Gericht hat die Aussage der Staatsanwaltschaft, dass es sich hier um Selbstmord und nicht um Mord gehandelt habe, bestätigt“, sagte Nikbakht dem Online-Magazin „Rooz“. Zwar habe er dem Urteil widersprochen und wegen Schlag- und Blutspuren an der Leiche, die im Gutachten der Gerichtsmedizin erwähnt werden, zu erneuten Ermittlungen und der Exhumierung des Toten aufgefordert. Doch ohne Erfolg: „Die Ablehnung erfolgte mit der Begründung, dass die Religion eine Exhumierung nicht erlaube“, so Nikbakht.
Ibrahim Lotfollahi studierte an der Payam-e Nour-Universität in der westiranischen Stadt Sanandaj. Am 5. Januar 2008 wurde er verhaftet und starb acht Tage später in der Untersuchungshaft. Er soll sich im Badezimmer des Gefängnisses mit seinem Unterhemd an der Dusche erhängt haben, so die offizielle Version der Todesursache. Zum vierten Jahrestag von Ibrahims Tod spricht Maryam Lotfollahi, die Schwester des Toten, in einem Interview mit „Rooz“ über ihren Bruder und die Bemühungen ihrer Familie um die Klärung des Todesfalles.
Frau Lotfollahi, was haben Sie nach dem offiziellen Abschluss des Verfahrens um den Tod Ihres Bruders weiter unternommen?

Nach Angaben seiner Schwester träumte Ibrahim davon, Rechtsanwalt zu werden.
Nach Angaben seiner Schwester träumte Ibrahim davon, Rechtsanwalt zu werden.

Wir haben uns an das Revolutionsgericht gewendet. Ghazi Amiri, stellvertretender Staatsanwalt am Revolutionsgericht in Sanandaj, sagte: „Ich habe ihn getötet. Macht, was ihr wollt! Ihr könnt nichts machen.“ Mein Vater fragte ihn, warum denn behauptet werde, dass Ibrahim Selbstmord begangen habe. Darauf erhielten wir keine Antwort und wurden rausgeschmissen. Wir geben aber nicht nach, gehen weiterhin dorthin und wollen eine Antwort. Wir haben einen Brief an den religiösen Führer Ayatollah Khamenei geschrieben. Auch an die Judikative und an wen immer wir konnten, haben wir geschrieben. Wir und andere Familienmitglieder werden bedroht, damit wir nicht weiter nachforschen.
Was war eigentlich der Grund für die Verhaftung Ihres Bruders?
Mein Bruder war Jurastudent. Er wurde vor der Uni verhaftet, als er zur Prüfung gehen wollte. Bei der Festnahme wurde er verprügelt. Uns wurde mitgeteilt, dass er im Sanandaj-Gefängnis sei. Ein Grund für seine Verhaftung wurde uns nicht genannt. Wir haben ihn dort besucht. Es ging ihm gut; er sagte uns, er sei unschuldig und werde bald freikommen.
Haben Sie ihn nicht gefragt, warum er verhaftet wurde?
Er sagte nur, dass er unschuldig sei und bald entlassen werde. Auch vor seiner Verhaftung hatte er nichts gesagt, was uns ahnen ließ, dass er ein Problem hat.
In den Nachrichten damals hieß es, dass angeblich einige Male Sicherheitsbeamte vor Ihrem Haus waren, um ihn zu verhaften.
Sie waren nicht wegen Ibrahim, sondern wegen meines älteren Bruders da, der ebenfalls ein Jahr im Gefängnis gesessen hat. Nicht Politisches. Es war wegen der Nutzung von Satellitenfernsehen (die im Iran verboten ist – die Red.).
Was passierte nach der Festnahme?
Acht Tage nach seiner Verhaftung wurden wir angerufen und informiert, dass er Selbstmord begangen habe. Man sagte uns, dass wir zur Beerdigung auf dem Mohammadi-Friedhof in Sanandaj gehen sollten. Als wir hingingen, mussten wir feststellen, dass man ihn bereits begraben und das Grab mit Beton versiegelt hatte. Wir haben seine Leiche nie gesehen und wissen nicht einmal, ob sein angebliches Grab überhaupt sein wirkliches Grab ist. Unser Antrag auf Exhumierung wurde nicht angenommen. Wir fragen: Wenn er Selbstmord begangen hat, warum wurde er dann heimlich begraben? Warum durften wir die Leiche nicht sehen? Warum wird eine Exhumierung nicht erlaubt? Warum ist das Grab mit Beton versiegelt worden?
Sie bestehen weiterhin auf Nachforschungen, obwohl Sie wissen, dass es keine Antworten geben wird?
Wir wollen eine Erklärung, wer meinen Bruder getötet hat und wie und warum. Letztes Jahr sind sogar Studenten, die am Grab meines Bruders waren, verhaftet worden. Können wir etwa schweigen? Ich habe meinen geliebten Bruder verloren und fordere daher die internationale Gemeinschaft, die Menschenrechtsorganisationen und jeden, der helfen kann, auf, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ich fordere Ahmad Shaheed (der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte im Iran – die Red.) auf, den Fall meines Bruders zu verfolgen. Wir wollen doch nichts weiter als ein faires Gerichtsverfahren. Wir wollen, dass vor Gericht klar wird, was meinem Bruder geschehen ist. Unsere Hoffnung liegt einzig und allein bei den Menschenrechtsorganisationen.
Interview: Fereshteh Ghazi
Quelle: Rooz-Online
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Rooz is published on the Internet every morning, Iranian time. The first issue appeared on May 10, 2005. This daily is published by independent and reformist journalist and advocates of human rights and freedom inside and outside Iran. Its policies aredetermined by an editorial board.