„Habt keine Angst, wir stehen alle zusammen“
Ich folgte einer Vorladung zu diesem Büro, die ich bei meiner Ankunft am Teheraner Flughafen erhalten hatte. Ich kenne das Büro sehr gut, da ich im Laufe der Jahre unzählige Male dorthin zum Verhör bestellt worden war. Auch den Büroleiter, ein freundlicher Kriegsveteran, kenne ich gut. Er begrüßte mich. „Frau Forouhar, ich werde bald in Rente gehen“, sagte er, „Sie aber kommen immer noch.“ Ich bat ihn, bei seinem Nachfolger ein gutes Wort für mich einlegen. Er lächelte mich an.
Auch das Verhörzimmer ist mir bekannt. Die Beamten, die das Verhör führen, werden aber immer wieder ausgetauscht. Auch ihre amtliche Bezeichnung hat sich verändert: Seit einigen Jahren werden sie „Sachkundige“ genannt. Sie tauchen als Zweierteam auf und kommen immer nach mir ins Zimmer. Mal wollen sie mich in eine Diskussion verwickeln, mal mir Angst machen. Mal sind sie geheimnisvoll, mal unverschämt. Mal wollen sie mich zuerst mit ihrem politischen Wissen beeindrucken, bevor sie zur Einschüchterung kommen, mal kommen sie gleich zur Sache.
Solche Termine beginnen immer mit einer Ansprache der Beamten, die viele Standardsätze beinhaltet. Es geht dabei stets um irgendwelche „Feinde und Verräter“, die gegen „den heiligen Staat intrigieren“. Es geht um den Ruf der Islamischen Republik und um irgendeine „Ehre“, die verteidigt werden müsse, um die „rote Linie“, die ich überschritten hätte, die „brüderlichen Ratschläge“, die ich ignoriert, und „die Geduld des Systems“, die ich strapaziert hätte. Meine Einwände werden prinzipiell abgewürgt.
Diesmal waren die „Sachkundigen“ aggressiver als sonst. Als sie sich in ihre Drohungen hochschaukelten, verwies ich auf die Charta der Bürgerrechte, die der Präsident kürzlich mit viel Tamtam verkündet hatte. Daraufhin sprachen sie mir jegliche Bürgerrechte ab. Nur sie würden bestimmen, wer welche Rechte besäße und wer nicht, sagten die Geheimdienstler. Die Rückgabe meines Reisepasses, der am Flughafen beschlagnahmt worden war, verschoben sie auf einen späteren Zeitpunkt.
Danach schrieb ich einen offenen Brief an die Parlamentarier, die sich für mich eingesetzt hatten. Ich kritisierte darin diese Vorgänge, die hinter verschlossenen Türen passiert waren, und bat um Überprüfung der Zuständigkeit und des Verhaltenskodexes der Geheimdienstbeamten.
Dritter Ort: Der Gerichtssaal der Abteilung 26 des Revolutionsgerichts
Es war am Vormittag des 25. November. Schon Monate vor diesem Termin – an dem ich vor Gericht stehen sollte – hatte ich immer wieder an den mir zugewiesenen Richter gedacht. Die Begegnung mit ihm würde mir fast schwerer fallen als die Begegnung mit dem Gericht selbst. Denn der Richter, seit Jahrzehnten treuer Diener des Systems, ist wohlbekannt. Ich habe Freunde und Bekannte, die ihm in den 80er Jahren während einer brutalen Repressionsphase gegen Andersdenkende begegnet waren. Da führte er im Gefängnis Verhöre durch und gebrauchte dabei auch Folter. Er hat sie ausgepeitscht, gepeinigt, beschimpft … Nun war er mein Richter.
Der Gerichtssaal sah wie ein Durchschnittsbüro in irgendeiner Teheraner Behörde aus. Der Richter saß auf einer Erhöhung hinter einem wuchtigen Holztisch. Zu seiner Linken saß einer seiner Büroleiter, fast unscheinbar, hinter einen niedrigeren Tisch. Ein großes Buch lag aufgeschlagen vor ihm.
Ein junger Mann, der sich als Vertreter der Teheraner Staatsanwaltschaft vorstellte, stand auf und verlas die Anklage gegen mich. Der Richter befragte mich zu den Vorwürfen. Meine Anwältin und ich antworteten nacheinander auf seine Fragen. Der Büroleiter protokollierte in das große Buch. Während des Prozesses herrschte eine bürokratische Stimmung.
Vierter Ort: Eine Abteilung der Teheraner Staatsanwaltschaft im Evin-Gefängnis
Eigentlich dachte ich, dass der Besuch dieser Behörde mir diesmal erspart bleiben würde. Bei meiner vorherigen Reise musste ich mehrmals zur Anhörung bei dieser Behörde vorstellig werden, um mich zu der Klage des Informationsministeriums gegen mich zu äußern. Damals hatte der Staatsanwalt, ein junger Mullah, sehr selbstbewusst und wenig gebildet, die Klage überprüft und später auch das Verfahren gegen mich eingeleitet.
Diesmal hatte mich die Suche nach meinem Reisepass zu dieser Behörde geführt. Meiner Akte lag ein Antrag des Informationsministeriums an die Staatsanwaltschaft bei, der den Einzug meines Reisepasses und die Durchsuchung meines Gepäcks bewirkt hatte.
Die Begründung, die das Informationsministerium in diesem Antrag anführt, ist der Abklatsch eines billigen surrealistischen Szenarios. Es wird darin behauptet, ich würde die Besitztümer meiner Eltern aus ihrem Haus entwenden, um sie anschließend als gestohlen zu melden. Ich würde einen Einbruch fingieren, um diesen dann als Vorwand zur Propaganda gegen das Regime zu verwenden!
Tatsächlich wurde im Jahr 2015 zweimal in mein Elternhaus eingebrochen. Die Einbrecher verwüsteten die Räume und stahlen viele Erinnerungsstücke. Viele Indizien weisen auf eine Mittäterschaft der Sicherheitskräfte hin. Trotz aller Bemühungen von unserer Seite wurden die Fälle nicht aufgeklärt. Über diese Vorfälle und ihre verdächtigen Umstände hatte ich einige Berichte veröffentlicht.
Es war am 10. Dezember, als ich in Begleitung meiner Anwältin die Staatsanwaltschaft im Evin-Gefängnis aufsuchte. Lange mussten wir in einem Warteraum sitzen, wo ein Fernseher an der Wand vor uns befestigt war. Natürlich war er angeschaltet. Ununterbrochen lief ein staatlicher Sender: Nachrichten, danach eine Kochsendung, dann eine Predigt und so fort. Neben dem Fernseher hing ein überdimensioniertes Propaganda-Plakat. Darauf war in einer mit Pathos aufgeladenen Sprache der Lebenslauf eines Richters zu lesen, der vor ein paar Jahren einem Attentat zum Opfer fiel. Daneben hing, umrahmt von blumigen Ornamenten, sein Porträt. Solche Ornamente werden als Standardkitsch in diversen Kontexten in Teheran angebracht: auf Tischdecken, Safran-Dosen, Geldscheinen und bei der Umrahmung von Terroropfern.
Einige Stunden später wurde uns mitgeteilt, dass der stellvertretende Leiter der Behörde nur mich ohne meine Anwältin empfangen würde. Kaum stand ich in seinem Büro, erhob er sich hinter seinem Schreibtisch und brüllte mich an: „Wieso kommst du her?“ Und weiter: „Wieso kommst Du in den Iran?“
Es war klar, dass er mich nur empfangen hatte, um mich anzuschreien, mir Angst zu machen oder mich zu einem Wutausbruch zu provozieren. Meine Reaktion sollte ihm Gründe liefern, mich vor Ort zu verhaften. Ein paar Tage später rief mich der Kriegsveteran aus dem seltsamen Büro an, um mir mitzuteilen, dass ich meinen Reisepass abholen könne. Kurz darauf reiste ich ab.
Nicht nur eine „Landkarte des Unheils“
Fortsetzung auf Seite 4