— Ende einer Männerfreundschaft
Schicksalswahl – dieses Wort benutzen alle, einerlei auf welcher Seite die Kontrahenten stehen, um die Bedeutung der bevorstehenden Präsidentschaftswahl im Iran zu unterstreichen. Doch für Ali Akbar Haschemi Rafsandjani, der als Architekt der Islamischen Republik gilt und zwei Jahrzehnte lang der mächtigste Mann des Landes war, ist über das Schicksal dieser Wahl längst entschieden worden. Revolutionsführer Khamenei wolle und werde seinen eigenen Kadidaten durchsetzen.
Einmal in der Woche treffe er den Revolutionsführer, „immer am Dienstagabend“, erzählte Ali Akbar Haschemi Rafsandjani bisher immer sehr gerne, „und wir reden dann ganz offen über alles.“ Ayatollah Ali Khamenei und er seien eben „wie Brüder: Wir kennen uns seit 50 Jahren.“ Wie einstudiert wiederholte Rafsandjani diesen Satz jahrelang immer wieder. Niemand sollte an seiner Treue gegenüber Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei zweifeln. Doch just an einem Dienstag, nämlich am 9. April, wurde das vorläufige Ende dieser Männerfreundschaft publik, die die Geschichte der islamischen Republik entscheidend geprägt hat.
Denn wenige Stunden bevor er zu seinem wöchentlichen Treffen mit dem Ayatollah aufbrechen will, gewährt der 79-jährige Rafsandjani an jenem Dienstag eine Audienz. Unter seinen Gästen sind Dutzende ehemalige Provinzgouverneure, die laut der Nachrichtenagentur Saham News selbst auf diesen Empfang gedrängt hatten. „Wir wollten ihn bitten, ja anflehen, für die Präsidentschaft zu kandidieren. Denn nur Rafsandjani kann uns aus diesem hoffnungslosen Schlamassel herausholen“, zitiert Saham News einen Teilnehmer der Audienz, einen Ex-Gouverneur, der anonym bleiben will.
Doch Rafsandjani, der Mann der Krisen, wie seine Anhänger ihn ehrfürchtig nennen, schlägt die Bitte aus. Er werde nicht kandidieren, der Revolutionsführer wolle das nicht, sagt Rafsandjani zu Beginn seiner Rede: „Er hat kein Vertrauen mehr zu mir.“ Mit diesem Satz gesteht der einst mächtige Präsident nicht nur seine eigene Machtlosigkeit ein. Er zerstört zugleich die Hoffnung seiner Anhänger. Denn die wissen: Rafsandjani wird nicht ohne Khamenei und erst recht nicht gegen ihn antreten.
Zwei Tage nach dem Treffen, als dessen Einzelheiten in in- und ausländischen Medien längst ausführlich diskutiert werden, lässt das Büro Rafsandjani ein lauwarmes Dementi verbreiten. Nicht das Treffen an sich wird darin in Frage gestellt, sondern „eine gewisse Wortwahl der Berichterstattung“, die „bedenklich“ sei.
Khamenei ist beratungsresistent
In welchem Tonfall sich Rafsandjani selbst auch geäußert haben mag: Seine pessimistische, ja beängstigende Analyse von Gegenwart und Zukunft des Gottesstaates ist jedenfalls alarmierend.
Khamenei streite ab, dass der Iran in einer tiefen innen- und außenpolitischen Krise stecke, er glaube nicht, dass das Land eine Regierung der nationalen Einheit brauche. Und was den zukünftigen Präsidenten betreffe, wolle der Revolutionsführer seinen eigenen Weg gehen, teilte Rafsandjani den Ex-Gouverneuren mit. Den eigenen Weg gehen bedeute: den eigenen Kandidaten durchzusetzen, interpretiert der Islamexperte Djawad Akbarein in Paris die Worte Rafsandjanis. Mit seiner Rede machte er die vorsichtig aufkeimende Hoffnung der Reformer zunichte, bei der bevorstehenden Präsidentenwahl mitmischen zu dürfen. Einige Teilnehmer der Audienz baten Rafsandjani , den Ex-Präsidenten Mohammad Khatami zur Kandidatur aufzufordern, wenn er selbst nicht kandidieren wolle. Doch auch das lehnte er ab. Seine knappe Antwort lautete: „Fragen Sie Herrn Khatami doch selbst.“
Revolutionsgarde will das ganze Land besitzen
Nach wohldosierten Klagen über Khameneis Vertrauensverlust, dessen Alleingänge und Beratungsresistenz nahm sich Rafsandjani dann die Revolutionsgarde vor, die das Land faktisch beherrscht und alles und jeden kontrolliert. Er begann mit einer vorsichtigen Selbstkritik, denn Rafsandjani weiß Bescheid über seinen Ruf als eigentlicher Wegbereiter der Revolutionsgarde in die iranische Staatswirtschaft. Was hätte man sonst machen können, entschuldigt er sich: Nach dem achtjährigen Krieg gegen den Irak habe man „die Jungs“ ja beschäftigen müssen – etwa beim Straßenbau und anderen Großprojekten, da sie ja über die nötigen technischen Geräte verfügten. Wohin das führen könne, habe man sich nicht vorstellen können, geschweige denn gewollt, so Rafsandjani. Was die Revolutionsgarde heute konkret ist, formuliert Rafsandjani, der als Architekt der islamischen Republik gilt und kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag steht, sehr deutlich: Sie kontrolliere derzeit die Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik, ihre Macht sei in jeder Hinsicht unbeschränkt: „Sie werden erst zufrieden sein, wenn sie das ganze Land besitzen.“