Iran-USA: Ein Jahr nach der “heroischen Übung”

Die Politiker der Islamischen Republik Iran und der USA haben im vergangenen Jahr einen Versuch zur Annäherung unternommen. Dadurch stehen die Zeichen für die Fortführung der Atomverhandlungen gut. Doch wie realistisch ist eine friedliche Lösung des Atomkonflikts? Eine Bestandsaufnahme von Mehran Barati.
Das wichtigste außenpolitische Ereignis des Jahres 2014 für den Iran war die Aufnahme von direkten politischen Gesprächen mit dem einstigen “großen Satan” USA. Im Zusammenhang mit den von dem neuen Präsidenten Hassan Rouhani begonnenen Atomverhandlungen prägte der religiöse Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, das “Wort des Jahres”: Er nannte die neue Gesprächsrunde eine der “heroischen Übungen” der politischen Führung des Landes. Damit meinte er vor allem die bis dahin verweigerten und jetzt alternativlos gewordenen Direktgespräche mit den USA.
Den Weg zur “heroischen Übung” hatte US-Präsident Barack Obama bereits im September 2013 geebnet, indem er, für alle Welt überraschend, den iranischen Präsidenten am Ende von dessen UN-Besuch auf dem Weg zum Flughafen anrief und ein 15-minütiges Gespräch mit ihm führte. Weniger als drei Monate später erklärte Obama am 8. Dezember 2013 vor der den Demokraten nahestehenden Washingtoner Brookings Institution, die Forderung nach einer Null-Urananreicherung auf iranischem Boden sei unrealistisch und ein Hindernis für das Erreichen einer tragbaren Übereinkunft bei den Atomgesprächen. Damit machte Obama nach zwölf erfolglos gebliebenen Verhandlungsjahren den Weg frei für einen ergebnisorientierten Deal mit der Islamischen Republik. Die Iraner nennen das Win-Win-Ziel, obwohl sie wissen, dass es hier für sie nichts zu gewinnen gibt, sondern nur noch Verluste zu minimieren sind.
Was bisher erreicht wurde

Schwerwasserreaktor in Arak - Jahre lang ein Streitpunkt zwischen dem Iran und dem Westen - soll durch einen Leichtwasserreaktor ersetzt werden
Schwerwasserreaktor in Arak – Jahre lang ein Streitpunkt zwischen dem Iran und dem Westen – soll durch einen Leichtwasserreaktor ersetzt werden

2014 haben die Amerikaner zusammen mit anderen Mitgliedern der Gruppe 5+1 (aus den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und Deutschland) in New York, Genf, Maskat und Wien in Marathonsitzungen sehr harte Verhandlungen geführt. Diese Gespräche hatten einen wirklichen Verhandlungscharakter, weil hier den Iranern bewusst Raum für Forderungen gelassen wurde. Das Ergebnis: Sie können alle ihre der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) gemeldeten Atomanlagen behalten, produzieren dürfen sie darauf aber nur sehr beschränkt. Von den 9.800 aktiven Zentrifugen zur Urananreicherung darf der Iran wahrscheinlich weniger als die Hälfte behalten. Der Schwerwasserreaktor in der Stadt Arak wird heruntergefahren, er darf nicht mehr als ein Kilo Plutonium pro Jahr produzieren und soll sogar durch einen Leichtwasserreaktor ersetzt werden. 20-prozentiges Uran wird nicht mehr produziert und mehr als die Hälfte des bis jetzt angereicherten fünfprozentigen Urans soll ausgeführt und dann als Brennstäbe für den Kernreaktor in Bushehr wieder eingeführt werden. Die Forschungs- und Produktionsanlage in Fordu darf nicht über die Zentrifugen der zweiten Generation hinaus weiterentwickelt werden. Das Zusatzprotokoll zum Atomsperrvertrag soll vom iranischen Parlament ratifiziert und der internationalen Atomagentur alle Kontrolltüren geöffnet werden. Alles in allem wird den Iranern für absehbare Zeit die Möglichkeit genommen, an den Bau einer Atombombe zu denken. Am 15. Januar 2015 will der iranische Außenminister mit bilateralen Gesprächen beginnen. Am 18. Januar soll dann sein Stellvertreter die Verhandlungen weiterführen. Ab jetzt geht es nur noch um den Grad und die Menge der Urananreicherung, nicht mehr um den Besitz von Anlagen dazu. Präsident Rouhani und sein Außenminister Javad Zarif werden trotz allen Widerständen ihrer Widersacher zuhause die empfindlichen Zugeständnisse annehmbar machen, sollten die den Iran lähmenden Embargos wegfallen. Hier wird Obama sein ganzes politisches Geschick brauchen, um den von den Iranern gewünschten Win-Win-Zustand herbeizuführen.
Warum Obama jetzt den Verhandlungserfolg braucht
Präsident Obama wird es selbst nach einem guten Verhandlungsergebnis sehr schwer haben, den amerikanischen Senat und den Kongress zu einer Aufhebung der gegen den Iran gerichteten Embargos zu bewegen. Seit den Novemberwahlen 2014 haben die Republikaner in Senat und Kongress die Mehrheit. Damit wollen sie die Iraner in die Knie zwingen und die Auflösung aller iranischen Atomanlagen durch noch härtere Embargos durchsetzen, so wie es die Israelis wünschen. Für Obama gibt es mehrere Gründe, die Atomakte des Iran endgültig zu schließen.Erstens: Mit einem möglichen Scheitern der Verhandlungen endet auch der begonnene Dialog zwischen den beiden Ländern. Die Iraner würden dann erstrecht mit dem Ausbau ihres Atomprogramms beginnen, eine militärische Auseinandersetzung wird dann mehr denn je wahrscheinlich. Ein Krieg gegen den Iran ist angesichts der Turbulenzen im Nahen Osten das letzte, was die Obama-Regierung brauchen könnte. Zweitens: Die politisch-militärische Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und dem Iran mit der Türkei als Nutznießerin hat wesentlich zur Entstehung des Bürgerkriegs in Syrien beigetragen. In dem dann entstandenen barbarischen Gewaltmilieu haben nun die Jihadisten und Terroristen der Gruppe „Islamischer Staat“ die Oberhand gewonnen.
Irans Staatsoberhaupt Khamenei der Sieg der ISIS-Truppen im Irak (Foto) sei ein Machwerk der USA und ihrer westlichen Verbündeten
Die USA haben im syrischen Bürgerkrieg mit ihrer Bündnispolitik versagt!

Die USA haben in diesem Krieg mit ihrer Bündnispolitik völlig versagt. Bei einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen und dem Abbau von Spannungen zwischen den USA und dem Iran könnte die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern helfen, die Krise zu managen, ja zu lösen. 2014 gab es zwischen den USA und dem Iran in Syrien und dem Irak bereits eine nicht offen deklarierte Zusammenarbeit. Mit dem Scheitern der Atomverhandlungen würden die Krisen im gesamten Nahen Osten unkontrollierbar verschärft. Drittens: Die moderaten und reformistisch-islamischen Kräfte Irans haben die Präsidentschaftswahlen von Juni 2013 hauptsächlich mit der Parole gewonnen, das Atom- und Embargoproblem des Landes zu lösen. Außer Rouhani wird kaum jemand in der Lage sein, beide Seiten, also die USA und den Iran, in ihren Zielen und Absichten einander näher zu bringen. Rouhani kennt die Sicherheitsbedürfnisse der Islamischen Republik sehr genau, er genießt im Gegensatz zum Ex-Präsidenten und Reformisten Mohammad Khatami auch das Vertrauen des Revolutionsführers Ayatollah Khamanei. Rouhani war 16 Jahre lang Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates und direkt mit dem Atomkonflikt beschäftigt. Dem Sicherheitsrat gehörte er im Auftrag des Revolutionsführers sogar 23 Jahre lang an. Er leitete für acht Jahre den Auswärtigen Ausschuss des iranischen Parlaments. Mit dieser Vergangenheit ist er dazu prädestiniert, neben dem Feilschen mit der Gruppe 5+1 den Revolutionsführer und die Elite des iranischen Sicherheits- und Militärapparates für ein mögliches Ergebnis zu gewinnen. Es ist höchst fraglich, ob die USA je wieder einen solchen Verhandlungspartner bekommen werden, sollten die Verhandlungen jetzt scheitern.
Fallende Erdölpreise und das Glück Obamas
Dieses Foto kursiert seit Sonntag, den 24. November, in der persischsprachigen Internetgemeinde. Es zeigt den iranischen Außenminister M. Javad Sarif (li.) und seinen US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry beim Händeschütteln nach der "historischen Einigung" zwischen dem Iran und dem Westen zur Lösung des Atomkonflikts -. Foto: Fararu.com
Handschlag nach 34 Jahren Feindschaft: Irans Außenminister M. Javad Zarif (li.) und sein US-amerikanischer Amtskollege John Kerry am 24. November 2014 – Foto: Fararu.com

Für den sonst außenpolitisch glücklosen Obama wird die Lösung des Atomproblems mit dem Iran am Ende seiner Präsidentschaft wohl der einzige außenpolitische Erfolg bleiben. Er könnte dann zu Recht behaupten, eine militärische Konfrontation zwischen Israel und Iran verhindert und die Welt ein Stück sicherer gemacht zu haben. Nun haben die Saudis in ihrem Kampf gegen den regionalen Einfluss des Iran dafür gesorgt, dass die Erdölpreise Woche für Woche fallen und den Iranern das bereits knappe Geld ganz ausgeht. 2011 hatte der Iran ein Erdöleinkommen von mehr als 95 Milliarden US-Dollar. 2012 traten die neuen Sanktionen der USA und der EU gegen das iranische Öl und die Zentralbank des Landes in Kraft. Dadurch und verstärkt durch die sinkenden Ölpreise wird die Islamische Republik in diesem Jahr mit weniger als 20 Milliarden auskommen müssen. Präsident Rouhani und seinem Außenminister Zarif ist bewusst, dass mit einem Scheitern der Verhandlungen noch härtere Embargos auf das Land zukommen werden. Das könnte zum Rücktritt Zarifs und am Ende zum Sturz der Regierung führen. Hingegen würde der Verhandlungserfolg die moderaten Kräfte stärken und ihre Chancen bei den kommenden Parlamentswahlen erhöhen. Ein Restrisiko bleibt, denn es ist nicht hundertprozentig sicher, ob Rouhani den Revolutionsführer von der Annahme seines Verhandlungsergebnisses wird überzeugen können. Vielleicht hilft hier wieder Präsident Obama. In einem am 11. Dezember 2014 mit dem Nationalen Radioprogramm NPR geführten Interview prophezeite der Präsident, mit der Annahme einer umfassenden längerfristigen atomaren Vereinbarung könnte der Iran zu einer sehr erfolgreichen Regionalmacht werden – das könnte Ayatollah Khamanei gefallen.
MEHRAN BARATI *
* Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist unabhängiger Analyst von BBC Persian und VOA Persian und gilt    als Experte für internationale Beziehungen.