Heftige Kritik aus der heiligen Stadt
Der 35. Jahrestag der iranischen Revolution war ein willkommener Anlass für die Reformer, ihren Unmut gegen die herrschenden Verhältnisse zu zeigen. Am schärfsten kritisierte der einflussreiche Ayatollah Moussavi Tabrizi den Gottesstaat. Der einstige Vertraute des Republikgründers Ayatollah Ruhollah Khomeini ließ kein gutes Haar am islamischen System und dessen von den Hardlinern dominierten Institutionen.
Der Februar steht im Iran ganz im Zeichen der Revolution: Demonstrationen zur Unterstützung des islamischen Systems, staatlich organisierte Feiern in den Städten und auf dem Land, Film-, Theater- und Musikfestivals und jede Menge Reden und Vorträge routinierter Prediger, die den Feind beschwören und den Sieg der islamischen Revolution über die „Ungläubigen“ im Westen und dem Rest der Welt prophezeien. Was die diesjährigen Feierlichkeiten aber von früheren unterschied, war die starke Präsenz der Reformer, die ihrem Unmut gegen die herrschenden Verhältnisse freien Lauf ließen. Es gab vereinzelt sogar Zusammenstöße mit Hardlinern und Sicherheitsbeamten auf den Straßen, bei denen einige Menschen verhaftet wurden.
Politische, nicht religiöse Freiheit
Am schärfsten klagte Ayatollah Hossein Moussavi Tabrizi, einer der einflussreichsten Geistlichen des nachrevolutionären Iran, die Politik der Islamischen Republik an. In einer Rede vor Geistlichen in der heiligen Stadt Ghom rief er den Machthabern unmissverständlich in Erinnerung, wofür die Massen vor 35 Jahren gegen die Monarchie aufgestanden waren: „Wir haben nicht für die Freiheit der Ausübung unserer Religion Revolution gemacht, denn diese Freiheit hatten wir schon. Wir wollten politische Freiheit, Meinungs- und Redefreiheit. Wir wollten, dass die wahren Vertreter des Volkes ins Parlament ziehen, nicht Marionetten des Pahlavi-Regimes. Wir wollten unser Schicksal selbst bestimmen.“
Nur Diktatoren hätten vor der Wahrheit und der freien Meinungsäußerung Angst, so der einstige Vertraute von Revolutionsführer Khomeini: „Wenn den Menschen die Freiheit genommen wird, sich in Wort und Schrift frei zu äußern, Kritik zu üben und Wahrheiten auszusprechen, dann wird ihnen das Menschsein genommen.“ Die Einschränkung solcher Freiheiten bedrohe die Republik selbst, so Moussavi Tabrizi, denn „Freiheit und Republik gehen Hand in Hand“. Dass trotz allem iranische Oppositionelle sowohl im Iran wie auch im Exil stets zur politischen Partizipation aufriefen, sei „ein Zeugnis der großen Weisheit des iranischen Volkes“: „Unsere politischen Eliten sollten unseren Oppositionellen dafür danken, statt sie einzukerkern“, sagte der ehemalige Generalstaatsanwalt der Revolutionsgerichte bei seiner Rede in Ghom.
Das heutige Staatssystem des Iran basiert sowohl auf republikanischen Institutionen, die durch regelmäßige Wahlen bestimmt werden und dem Volk verfassungsgemäß Rechte und Freiheiten garantieren sollen, wie auch auf der Herrschaft eines geistlichen Führers, der laut Konstitution als Stellvertreter Gottes auf Erden die höchste Autorität im Lande darstellt. „Es ist sicher nicht im Interesse Gottes, dass ein bestimmter Führer auf alle Zeiten Führer bleibt“, so Moussavi Tabrizi. Eine Gesellschaft dürfe nicht in ihren Strukturen verharren, sondern müsse neue Wege gehen, „denn das ist der wahre Wille Gottes“, so der Gelehrte.
Khomeini und die USA
Kritisch äußerte sich Moussavi Tabrizi gegenüber den Gegnern der derzeitigen Regierung des moderaten Geistlichen Hassan Rouhani. Es gebe Elemente innerhalb des Systms, die die „weise und moderate“ Außenpolitik Rouhanis und damit auch die Annäherung des Iran an die USA mit Argwohn und Feindseligkeit betrachteten, „weil sie den wirtschaftlichen Nutznießern der internationalen Sanktionen gegen den Iran das Geschäft ruiniert.“
Die Handelsbeschränkungen des Westens zwangen iranische Unternehmen dazu, mit illegalen Mitteln Geschäfte mit dem Ausland zu führen. An vielen dieser Geschäfte waren und sind die iranischen Revolutionsgarden und die von ihnen kontrollierten Unternehmen beteiligt.
Den Vorwurf der Konservativen, dass Republikgründer Khomeini niemals Beziehungen zu den USA gutgeheißen hätte, wies Moussavi Tabrizi zurück: „Imam Khomeini war der Ansicht, dass wir mit allen Mächten einen auf Logik basierten Dialog führen müssen, es sei denn, diese würden bewusst die Interessen des Iran verletzen. Und selbst in diesem Fall hat er eine dauerhafte Feindschaft nicht für notwendig erachtet.“ Der Iran müsse alles daran setzen, von den Verhandlungen mit den USA zu profitieren – auch wenn die USA Moussavi Tabrizi zufolge selbst nur die eigenen Interessen im Sinn haben.
JE / FP