Extremisten-Offensive im Irak beschäftigt iranische Medien
Angesichts der Bedrohung durch die vorrückenden ISIS-Truppen im Nachbarland Irak hat die iranische Führung ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Erzfeind USA bekundet. Die Presse im Iran reagiert skeptisch.
In kürzester Zeit haben sunnitische Extremisten weite Teile des befreundeten Nachbarstaates unter ihre Kontrolle gebracht. Nun sollen die Kämpfer der Terrororganisation „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (ISIS) knapp 100 Kilometer vor Bagdad stehen. Die irakische Hauptstadt sowie die heiligen schiitischen Städte Karbala und Nadschaf könnten eingenommen werden, fürchten viele in Teheran und Bagdad.
Irans Staatspräsident Hassan Rouhani hat auf einer Pressekonferenz Bagdad seine Solidarität ausgesprochen. Die Islamische Republik sei bereit, dem Nachbarn im Rahmen des internationalen Rechts beizustehen. Ein militärischer Einsatz stünde jedoch nicht zur Debatte. Rouhani dementierte Meldungen, wonach sein Land Truppen in den Irak entsandt hätte: „Wir haben keine Truppen im Irak und es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir jemals Truppen in den Irak schicken werden“, wird der Präsident in der Sonntagsausgabe der konservativen Zeitung Kayhan zitiert. Um ISIS aufzuhalten, sei aber sogar eine Kooperation mit den USA nicht ausgeschlossen, so Rouhani. „Wir könnten darüber nachdenken, wenn die USA die Bereitschaft zeigen sollte, gegen Terroristengruppen im Irak und anderswo vorzugehen.“
Lagerübergreifende Skepsis
„Die Welt bereitet sich auf eine Konfrontation mit ISIS vor – Antiterrorkampf von Teheran bis New York“, so lautete eine Schlagzeile der regierungsnahen Zeitung Iran am Samstag. Doch besonders in den konservativen Medien möchte man nichts von einem gemeinsamen Kampf der USA und des Iran gegen ISIS wissen. ISIS sei eine Terrororganisation, die ihre Befehle vom Westen und israelischen Think Tanks erhalte und mit „den Petrodollars einiger arabischer Staaten“ finanziert werde, so der Kommandeur der paramilitärischen Basidsch-Einheiten, Mohammad Reza Naqdi, gegenüber der den konservativen Revolutionsgarden nahestehenden Nachrichtenagentur Fars News. „Doch wir und unsere Verbündeten werden auch aus dieser Verschwörung gestärkt hervorgehen.“
Der stellvertretende Oberkommandierende der iranischen Bodentruppen, Kioumars Heidari, äußert sich ähnlich: „Wir sind militärisch jederzeit bereit, unsere Pflicht zu erfüllen, wenn Ayatollah Khamenei es uns befiehlt. Aber wir müssen aufpassen, dass wir im Irak nicht in die Falle der Zionisten und der USA tappen“, zitiert ihn die Zeitung Entekhab. Selbst in der reformorientierten Zeitung Etemaad, die dem unter Hausarrest stehenden Oppositionspolitiker Mehdi Karroubi nahesteht, wird einer Kooperation mit den USA mit Skepsis begegnet: Eine „versteckte Zusammenarbeit“ habe es bereits nach dem Einmarsch der USA 2001 in Afghanistan gegeben, schreibt Ali Bigdeli, Kolumnist und Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Teheran. „Im Irak haben aber diese beiden Länder ganz unterschiedliche Interessen. Während der Iran besorgt ist, dass sein wichtigster regionaler Verbündeter verloren gehen könnte, bangen die USA lediglich um ihren Zugang zu den irakischen Ölquellen.“ Diese unterschiedlichen Interessen erschwerten eine Kooperation zwischen den beiden Staaten, so Bigdeli.
Dialog statt Konfrontation
In zahlreichen iranischen Zeitungen werden indes die Mobilmachung der irakischen Bevölkerung und die ersten Erfolge der irakischen Armee gegen ISIS gefeiert. „Feuerregen des irakischen Volkes auf die Köpfe der ISIS-Extremisten“, titelte Kayhan am Sonntag. 1,2 Millionen Freiwillige hätten sich nach Angaben des Blattes nach einem Aufruf des schiitischen Ministerpräsidenten des Irak, Nuri Al-Maliki, zum Kampf gemeldet, von denen Zehntausende bereits an die Front geschickt wurden.
Doch für Qasem Tavakoli, einen Kolumnisten der regierungsnahen, englischsprachigen Zeitung Iran Daily ist dieser und jeder andere bewaffnete Kampf gegen den Terror zwecklos. Die Regierungen des Nahen Ostens müssten sich zusammensetzen und endlich eine Lösung für ihre Probleme finden, so Tavakoli. „Es ist ein Irrglaube, dass man durch Krieg gegen ISIS und andere Extremistengruppen den Terrorismus besiegen kann. Die Entstehung dieser Gruppen ist das Resultat tief verwurzelter religiöser Differenzen.“ Die Regierungen und Religionsgruppen müssten sich auf eine „Kultur des Dialogs und des gegenseitigen Respekts“ besinnen, um so dem Terrorismus religiöser Fundamentalisten die Grundlage zu entziehen, schreibt Tavakoli am Sonntag.
JASHAR ERFANIAN