Eine Regierung auf vermintem Gelände

Nach dem Misstrauensvotum gegen den bei Professoren und Studenten beliebten Wissenschaftsminister stehen weitere Kabinettsmitglieder auf der Abschussliste. Im Iran ist wieder einmal eine grundsätzliche Debatte über die Macht des Präsidenten ausgebrochen. „Was hältst Du von der Grünen Bewegung?“ – diese Frage scheint dabei immer noch der Orientierungsmaßstab zu sein.
Drastischer kann eine Lagebeurteilung kaum klingen: „Die Regierung bewegt sich auf vermintem Gelände“, sagt Ali Jounessi, der Präsidentenberater für nationale Minderheiten. Der einstige Revolutionsstaatsanwalt der ersten Stunde, verantwortlich für Hunderte Todesurteile, ist dabei ein bedächtiger Mann. Ein Volkstribun ist der 63-jährige Geistliche, der eine Dekade lang auch den iranischen Geheimdienst leitete, jedenfalls nicht: Er sucht nicht wie viele andere Mullahs unablässig Kanzel und Kameras. Jounessi gibt kaum Interviews, denn die Fragen, mit denen er sich momentan beschäftigt, nämlich die Probleme der nationalen Minderheiten, dürfen im multiethnischen und multikonfessionellen Iran nicht öffentlich behandelt werden. Der Präsidentenberater agiert darum wie einst als Geheimdienstminister im Hintergrund und äußert sich, wenn überhaupt, bedächtig und vorsichtig. Und genau deshalb verheißt seine jüngste Wortwahl nichts Gutes für die Zukunft der Regierung.
Vom „Think Tank“ in den „Operation Room“
Jounessis Äußerung fiel am vergangenen Sonntag, vier Tage nach dem Misstrauensvotum des Parlaments gegen den iranischen Wissenschaftsminister – zu einer Zeit also, als man die erste große politische Turbulenz der neuen Regierung vorbei glaubte. Dass weitere Gewitter zu erwarten seien, hatte zwei Wochen vorher Staatspräsident Hassan Rouhani selbst in einer Rede angedeutet: Seine Gegner seien vom „Think Tank“ in den „Operation Room“ umgezogen, zitierten ihn die dabei anwesenden Journalisten. Er glaube trotzdem nicht, dass seine Gegner im Parlament es schaffen würden, seinen Wissenschaftsminister zu Fall zu bringen, hatte Rouhani damals zu verstehen gegeben: Deshalb wolle der Präsident selbst im Parlament das Wort ergreifen und den Minister, seinen „Lieblingskollegen“, verteidigen, berichtete ein Journalist aus der Sitzung. Doch am Tag der Abstimmung verließ der Staatspräsident dann stattdessen die Hauptstadt und besuchte die Provinz Azerbaijan. Von dort aus erklärte er, er respektiere die Entscheidung des Parlaments. Eine Reise, über die sich jeder seinen eigenen Reim machen dürfe, schrieb die Zeitung Schargh. Den Ultraradikalen gelang schließlich ihr Coup. Obwohl ihre Fraktion nur 45 Abgeordnete zählt, stimmten am Ende 145 Parlamentarier gegen den bei Studenten und Professoren beliebten Minister.
Als ob die Grüne Bewegung lebendig und aktiv ist

Der Präsident (re.) hat dem religiösen Führer (li.) zu gehorchen
Der religiöse Führer Ali Khamenei (li.) und Präsidetn Rouhani bei ihrem Treffen am Dienstag

Der Wissenschaftsminister musste gehen, weil er einem Teil der von Rouhanis Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad entlassenen Professoren und Studenten erlaubte, wieder zu ihren Universitäten zurückzukehren. Zudem trieb er nach Meinung seiner Kritiker die Islamisierung der Geisteswissenschaften nicht energisch genug voran, wie Ayatollah Ali Khamenei es wiederholt gefordert hatte. Die Liste seiner „Sünden“ ist lang, und jedes Mal, wenn seine Gegner die „Missetaten“ des Ministers aufzählten, betonten sie, er habe damit der „Fitna“ Vorschub geleistet. Das Wort, das man mit Zwietracht oder Aufruhr übersetzen könnte, ist in der konservativen Presse Irans seit fünf Jahren das Synonym für die „Grüne Bewegung“, die nach der umstrittenen Wahl Ahmadinedschads vor fünf Jahren entstanden war. Das Wort „Fitna“, das im islamischen Vokabular zur Beschreibung innerislamischer Konflikte und Kriege dient, ist seit jener umstrittenen Wahl ein geläufiges Schlachtwort, das auch dieser Tage häufig zum Einsatz kommt.
Weiterer Minister im Visier
Hoch erfreut über die Absetzung des Wissenschaftsministers spekulieren nun die Radikalen landauf, landab ernsthaft, welcher Minister als nächstes vors Parlament zitiert werden und womöglich seinen Hut nehmen muss. Es kursieren dabei die Namen des Energie-, Erziehungs- und sogar des Außenministers. Doch das Ranking der Meistgefährdeten führen derzeit Ali Jannati, der Minister für Kultur und Islamische Führung, sowie der Erziehungsminister Asghar Fani an. Denn ihre Ministerien sind nach offizieller Lesart für Zwietracht besonders anfällig.
Der Feind suche sich stets den Kulturbereich, niste sich dort ein und brüte „Fitna“ aus, klagte Khamenei bei seiner letzten Audienz für ausgesuchte Dichter. Auf seiner Webseite sind Einzelheiten darüber zu lesen, wie diese Begegnung der „Hofdichter“ mit dem Mann an der Spitze des Staates ablief: „Zum Schluss überreichten die Dichter dem geliebten Führer ihre neuesten Werke“, heißt es da: „Dabei kam es auch zu persönlichen Begegnungen. Dem Kulturminister Jannati, der verspätet erschienen war, sagte der verehrte Führer, vieles laufe im Kulturbereich falsch: ‚Wir müssen miteinander reden‘.“ Deutlicher konnte das Warnsignal nicht sein: Der Misstrauensantrag gegen Jannati mit zunächst elf Unterschriften liegt seit Dienstag beim Parlamentspräsidenten. Jannati, zuständig für Verlags-, Film- und Theaterwesen wird darin unter anderem vorgeworfen, die Zensur gelockert, die Arbeitsverbote für einige Regisseure aufgehoben sowie bestimmte Theaterstücke zugelassen – und somit der „Fitna“ Vorschub geleistet zu haben.
Khamenei steckt den Rahmen genau ab
Auch das Parlament hat den Befehlen des religiösen Führers Folge zu leisten
Auch das Parlament hat den Befehlen des religiösen Führers Folge zu leisten

Und damit dem gesamten Kabinett klar ist, wie es sich zu benehmen hat, zitierte Khamenei am vergangenen Dienstag Rouhani und seine Minister zu sich und sprach Klartext. Nicht wie üblich hochtrabend und gespickt mit Zitaten und Koranversen – sondern in einer ungewöhnlich einfachen Umgangssprache zählte er fünfzehn „Musts“ auf, an die sich die Minister zu halten haben. Dazu gehörten folgende: „Ihr müsst begreifen, dass ‚Fitna‘ unsere rote Linie ist.“ „Ihr müsst bedenken, dass trotz Verhandlungen und Diplomatie gegen Amerika verbal nicht abgerüstet werden darf.“ „Ihr müsst begreifen, dass übertriebene Kritik an der Vorgängerregierung schädlich ist.“ Und viele mehr. Über den Auftritt des Ayatollah meinte später ein Kommentator der BBC, man habe den Eindruck gehabt, als ob ein Hausbesitzer seinen Hausmeistern Anweisungen erteile.
Präsident mit einem einzigen Auftrag
Parallelen zum Reformpräsidenten Khatami sieht Mojtaba Wahedi, der Berater von Mehdi Karrubi , dem einstigen Präsidentschaftskandidat, der seit vier Jahren unter Hausarrest steht. „Nach einem Jahr im Amt muss nun auch Rouhani begreifen, dass Präsidenten in der Islamischen Republik genau so viel Macht besitzen, wie Khatami vor 19 Jahren beschrieben hat: nämlich manchmal weniger als die eines Teemeisters in einem Ministerium“, sagt er. Wie immer, wenn in der Islamischen Republik der beschränkte Spielraum des Präsidenten für jeden sichtbar wird, beginnt in den reformorientierten Zeitungen eine alte Debatte über den Paragrafen 113 der iranischen Verfassung. Es geht dabei um die Befugnisse des Präsidenten als zweiter Mann im Staat und Chef der Exekutive und darum, ob er die Einhaltung und Durchsetzung der Verfassung beaufsichtigen darf. Die Reaktion der Rouhani-Gegner darauf ließ nicht lange auf sich warten. Der Präsident sei zwar Verfassungskoordinator, wie die Verfassung es vorschreibe, doch nicht in Bezug auf die Körperschaften, die dem religiösen Staatsoberhaupt Khamenei unterstehen, schrieb am Donnerstag etwa die Zeitung Ressalat, die den Hardlinern nahe steht. Die Liste der Institutionen, die laut Verfassung Khamenei unterstehen und bei denen der Präsident damit nichts zu sagen hat, ist lang: Es sind zum Beispiel die Streitkräfte, die Geheimdienste, die Justiz und die mächtigen religiösen Stiftungen – um nur einige zu nennen. Und wenn es drauf ankommt, hat Khamenei auch dort das letzte Wort, wo gesetzlich eigentlich die Regierung zuständig ist.
Wie eng der Spielraum Rouhanis damit ist, zeigt ein bemerkenswertes Interview mit Mir Mohammad Moussawi, dem ehemaligen Staatssekretär des iranischen Außenministeriums. Der Diplomat mit mehrjähriger Erfahrung als Botschafter in verschiedenen Länder sagte am Donnerstag der Iran Diplomacy, wichtige Dossiers der Außenpolitik würden im Außenministerium seit Jahren nicht bearbeitet und welche Schritte man etwa im Irak, in Syrien, im Libanon oder sogar bei den Atomgespräche unternehmen solle, würde keineswegs dort entschieden. In der Tat gibt es im Hause Khameneis mit seinem annähernd 30.000 Mitarbeiter für alles und jeden einen Experten.
Rouhani sei im Grunde genommen ein Staatschef mit einem begrenzten oder besser gesagt einem einzigen Auftrag, sagt Jamschid Barzegar, Iran-Experte der BBC: Er dürfe die Atomverhandlungen mit dem Westen gemäß der genauen Anweisungen Khameneis zu Ende bringen – nicht mehr und nicht weniger. Und das mache er nicht schlecht.
  ALI SADRZADEH