Droht der bewaffnete Kampf im Westen des Iran?
In letzter Zeit kam es in einigen kurdischen Städten im Westen des Iran zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Kämpfern und iranischen Streitkräften – mit mehreren Opfern auf beiden Seiten. Bereiten sich die KurdInnen im Iran auf einen bewaffneten Aufstand vor?
Kurz vor dem Atomdeal zwischen dem Iran und dem Westen reiste Mostafa Hejri, Generalsekretär der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran (DPK-I), nach Washington – um, wie er selbst sagt, die USA vor der Politik der Islamischen Republik Iran in der Region zu warnen. Hejri ist der Meinung, dass die Atomvereinbarung zu einer verstärkten Unterdrückung der Minderheiten im Iran führen wird. In einem Fernsehinterview sagte er: „Wir haben im Interesse der autonomen Region Kurdistan (im Nordirak – d. Red.) lange Zeit auf den bewaffneten Kampf gegen den Iran verzichtet. Aber dieser Verzicht kann nicht für immer gelten.“ Tatsächlich kam es in den letzten Monaten in der iranischen Provinz Kurdistan, vor allem in den Städten Mariwan, Javanrood und Kamyaran, zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Kämpfern und iranischen Streitkräften, die auf beiden Seiten Todesopfer forderten.
Ali Asghar Faridi hat für das in Holland ansässige persischsprachige Radio Zamaneh mit zwei hochrangigen Politikern der DPK-I, Hassan Sharafi und Omar Baleki, sowie dem Politologen und Kurdistan-Experten Abbas Vali Gespräche geführt, die Iran Journal im Folgenden in Auszügen dokumentiert.
Die DPK-I hat kürzlich einen Teil ihrer Kämpfer in der autonomen Region Kurdistan an der Grenze zum Iran stationiert. Auf die Frage, ob sie den bewaffneten Kampf gegen die Zentralregierung im Iran wieder aufnehmen will, sagt Hassan Sharafi, stellvertretender Generalsekretär und Sprecher der Partei: „Zurzeit haben wir nicht vor, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Die Ziele der Stationierung von Peschmerga in der Grenzregion sind bestimmte organisatorische Vorkehrungen und Kontakt mit den iranischen Kurden. Bewaffneter Kampf setzt ein Mindestmaß an militärischer Ausrüstung und eine gewisse Anzahl an Kämpfern voraus. Wir haben nicht vor, dieses Ziel zu verfolgen.“
Auf die Frage, ob die Kämpfer der DPK-I in Übereinstimmung mit der autonomen Regierung des irakischen Kurdistan dort stationiert worden seien und ob diese Stationierung zum Konflikt zwischen dieser Regierung und der Islamischen Republik Iran führen könne, antwortet Sharafi: „Vielleicht ist die autonome Regierung des irakischen Kurdistan nicht mit der Anwesenheit unserer Kräfte in der Region einverstanden. Aber wir versuchen, die Stationierung unserer Kräfte in der Grenzregion zu keinem Konflikt führen zu lassen. Dies bedeutet aber nicht, dass wir im Interesse von einem Teil Kurdistans auf unsere Rechte verzichten und den 70-jährigen Kampf für die Ziele der Kurden vergessen.“ Er betont außerdem, dass seine Partei „immer auf die Probleme und Interessen der autonomen Region Kurdistan Rücksicht genommen hat, so dass wir eigene organisatorische Interessen zurückgestellt haben. Dies kann aber nicht für immer gelten.“
Schwäche der Führung, Mangel an strategischem Denken
Warum debattieren die kurdischen Parteien des Iran ausgerechnet jetzt über bewaffneten Kampf, wo die autonome Region Kurdistan durch den Krieg mit der IS-Miliz und die Angriffe der Türkei auf Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK im nordirakischen Kandil in eine heikle Lage geraten ist?
Abbas Vali, Professor für Politologie an der Bogazici-Universität Istanbul und einer der führenden Kurdistan-Experten, ist der Meinung, dass dies auf die „falsche Einschätzung der gegenwärtigen politischen Lage durch die kurdischen Parteien im Iran“ zurückzuführen sei. Die Politik dieser Parteien habe bis 2005 auf der Annahme beruht, dass die Bush-Administration dieselbe Politik im Iran verfolgen würde wie im Irak auch, so der Politologe: „Das hat jedoch nicht stattgefunden. Danach war immer die Rede von einer politischen Explosion im Iran, die sich ebenso wenig bewahrheitet hat.“
Professor Vali meint, dass die kurdischen Parteien im Iran nach der Atomvereinbarung zwischen dem Iran und der Gruppe 5+1 ihre Fehler erkannt hätten. Als Konsequenz hätten sie jedoch „mit unüberlegten militärischen Aktionen begonnen, die wiederum auf ihrer Fehleinschätzung der politischen Lage basierten und nicht lange Zeit weitergeführt werden konnten.“ Der Kurdistan-Kenner ist fest davon überzeugt, dass die kurdischen Parteien im Iran keine Strategie zum Aufbau einer Bürgerbewegung im iranischen Teil Kurdistans hätten: „Offensichtlich glauben manche, dass die Türkei durch bewaffneten Kampf gezwungen worden sei, sich mit den Kurden an den Verhandlungstisch zu setzen. Aber in Wahrheit war der Erfolg der PKK ein viel wichtigerer Faktor als der bewaffnete Kampf.“ Dieser Partei sei es gelungen, durch langjährige politische Arbeit in der Bevölkerung eine politisch-militärische zu einer breiten sozialen und kulturellen Bewegung zu machen, die nicht mehr ignoriert werden konnte, so Abbas Vali: „Genau dieser Faktor fehlt in den Programmen und Praktiken der kurdischen Parteien im Iran. Die Führer dieser Parteien haben bis heute nicht verstanden, dass eine militärische Bewegung ohne eine aktive Politik nicht erfolgreich sein kann.“
Erfolg der KurdInnen im Irak
Der Dozent weist darauf hin, dass der bewaffnete Kampf der KurdInnen in Irak nur wegen der militärischen Intervention der USA im Jahre 2003 erfolgreich war: „Außerdem mag zwar der Beginn eines bewaffneten Kampfes einfach sein. Aber ihn fortzusetzen ist schwierig und mit optimalen logistischen Möglichkeiten verbunden. Die iranisch-kurdischen Parteien haben solche Möglichkeiten nicht“, so Vali.
Er ist der Meinung, das Exilleben sei das Hauptproblem der kurdischen Parteien im Iran: „Die Führer dieser Parteien leben seit langer Zeit im irakischen Kurdistan und haben keinen direkten Kontakt zu den Kurden im Iran. Vielleicht sind manche ältere Leute immer noch von ihren Ideen begeistert, aber die junge Generation teilt diese Begeisterung nicht.“
Spontane militärische Aktionen in Iranisch-Kurdistan
Omar Baleki, Mitglied des Politbüros der DPK-I, streitet ab, dass die kurdischen Parteien einen Krieg anstrebten: „Sie werden dazu gezwungen, weil die Islamische Republik die Anerkennung der essentiellen Rechte der KurdInnen und anderer Völker des Iran ablehnt.“
Er fügt hinzu, dass die kurdischen Parteien im Iran nach dem Zusammenbruch der Monarchie im Jahr 1979 den bewaffneten Kampf ergriffen hätten, nur um Freiheit und Rechte der KurdInnen zu verteidigen. Dieser Kampf gehe jedoch weiter: „In den vergangenen Jahren haben wir sieben unsere Kommandanten und erfahrenen Peschmerga im Kampf gegen das iranische Regime verloren. Dies bedeutet, dass wir unsere militärischen Aktionen weitergeführt haben. Diese sind selbstverständlich viel schwächer als die Aktionen in den 1970er und 1980er Jahren gewesen, aber wir waren immer politisch und organisatorisch aktiv“, so Baleki.
Baleki weist darauf hin, dass neben der Beschneidung von demokratischen Rechten der KurdInnen durch die Islamische Republik die von Kurden bewohnten Gebiete im Westen des Iran auch wirtschaftlich benachteiligt seien: „Diese Gebiete sind wesentlich rückständiger als die zentralen Provinzen des Iran, so dass selbst gut ausgebildete junge KurdInnen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, zum Schmuggeln von Waren im Grenzgebiet gezwungen sind. Diese Situation führt zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung und zum Teil zu spontanen bewaffneten Auseinandersetzungen, die selbstverständlich von den kurdischen Parteien unterstützt werden.“
Omar Baleki gibt zu, dass die Aktionen der kurdischen Parteien im Iran zu mehr Druck auf die autonome Region Kurdistan im Nordirak seitens der Islamischen Republik führen könnten. Aber: „Wie lange sollen wir noch den Interessen der autonomen Region Kurdistan Tribut zollen? Irak und Syrien sind im Krieg. Die Islamische Republik mischt sich sowieso in alle Konflikte der Region ein, auch wenn wir nichts tun.“
Aus dem Persischen übertragen und überarbeitet von Lotfali Semino