„Der Ursprung des Atomprogramms ist politisch“

Die Atomgespräche zwischen dem Iran und den fünf UN-Vetomächten plus Deutschland gehen in Wien in die sechste Runde. Pokert die Islamische Republik weiter oder sucht sie wirklich nach einer Lösung des Konflikts? Ein Gespräch mit dem im Exil lebenden iranischen Atomphysiker Behrooz Bayat, der auch die Internationale Atomenergiebehörde berät.
TFI: Herr Bayat, viele Kommentatoren halten die sechste Runde der Atomgespräche in Wien für die entscheidende. Wie kann ein Kompromiss aussehen, der die Sicherheitsinteressen des Westens mit dem Selbstbestimmungsrecht des Irans in Einklang bringt?
Behrooz Bayat: Ausgangspunkt der Gespräche ist, dass der Iran technologisch in der Lage ist,  waffenfähiges Uran herzustellen. Gleichzeitig hat das iranische Regime die Nuklearfrage zu einer Frage des nationalen Stolz erhoben. Für den Iran ist der zentrale Anspruch bei diesen Verhandlungen also, möglichst viel von der im Land entwickelten Technologie zu retten, vor allem die Urananreicherung. Der Westen dagegen will das möglichst minimieren. Über diesem Konflikt schwebt ein Jahrzehnte währender politischer Disput, der dazu beigetragen hat, dass kein Vertrauen herrscht. Der Westen glaubt, dass der Iran versucht, eine einsatzfähige Atombombe zu bauen. Der Iran wiederum misstraut dem Westen, insbesondere den Amerikanern. Eine Lösung müsste also dem iranischen Regime erlauben, sein Gesicht zu wahren, und für den Westen die vermeintliche Gefahr einer Atombombe bannen.
Beeinflussen die aktuellen politischen Entwicklungen – etwa im Irak – die Verhandlungen?

Dr. Behrooz Bayat - Foto: sazmanejomhoorikhahaniran.com
Dr. Behrooz Bayat – Foto: sazmanejomhoorikhahaniran.com

Die Übereinstimmung der Interessen des Iran und der USA in Bezug auf den Irak sind eine historische Chance, einen neuen, kooperativen Weg zu gehen. Ich gehe davon aus, dass das zu einer Lösung des Atomstreits beitragen könnte. Bisher hat sich der Iran allerdings nicht konstruktiv verhalten. Im Israel-Palästina-Konflikt etwa sind viele Palästinenser für eine friedliche Zweistaatenlösung – ob Israel das will, sei dahin gestellt, aber es stand zur Debatte. Doch das iranische Regime arbeitet dagegen. Im Libanon unterstützt es eine bewaffnete Gruppe, die dazu beiträgt, dass sich das Land nicht zu einem normalen Staat entwickeln kann. In Syrien stützte das Regime Assad bereits zu einem Zeitpunkt, als eine friedliche Lösung noch denkbar war. Heute haben die Menschenrechtsverstöße der Assad-Regierung eine Gegnerschaft provoziert, die womöglich noch schlimmer zu bewerten ist. Es scheint keinen Ausweg mehr in Syrien zu geben und dafür ist der Iran mitverantwortlich. Auch in Afghanistan und dem Irak versucht das Regime, seine Finger im Spiel zu haben, und läuft damit meist den Interessen des Westens zuwider. Das wäre nachvollziehbar, wenn es im Interesse des Irans wäre, aber dem ist nicht so.
Inwiefern?
Der Iran hat sich von der politischen, ökonomischen, kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklung der Welt abgekoppelt. Diese Isolation ist nicht nur ideologisch begründet. Es gibt im Iran Gruppen, die davon profitieren: privilegierte Kreise etwa im Militär, die durch die Sanktionen Millionen, wenn nicht Milliarden verdienen. Volkswirtschaftlich gesehen wäre aber eine Reintegration positiv für die iranische Nation.
Es ist ja durchaus anzunehmen, dass der Iran nach Atomwaffen strebt – weniger, um diese tatsächlich einzusetzen, als um sich gegen militärische Interventionen abzusichern.
Ich bezweifele, dass es für den Iran sinnvoll wäre, sich atomar zu bewaffnen. Es ist aber verständlich, dass das Land so agierte, nachdem der Iran unter dem Applaus des Westens vom Irak Saddam Husseins überfallen worden war. Es war seither absehbar, dass das Land nach Verteidigungsmöglichkeiten sucht. Eine davon war die atomare Bewaffnung. Es ist kein Zufall, dass das Atomprogramm am Ende des Iran-Irak-Krieges reaktiviert wurde, also just zu der Zeit, als der Irak chemische Waffen einsetzte. Aber das hat mit Rationalität wenig zu tun. Das Atomprogramm hat das Land ruiniert.
Ist der Iran technisch imstande, Atomwaffen zu bauen?
Das Atomkraftwerk Buscher liegt in einer Region, in der mehrere tektonische Platten aufeinandertreffen
Das Atomkraftwerk Buscher liegt in einer Region, in der mehrere tektonische Platten aufeinandertreffen

Ob der Iran tatsächlich eine Atombombe bauen könnte, hängt vor allem davon ab, ob er waffenfähiges Uranium anreichern kann. Das Atomprogramm steht unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Sollte versucht werden, Uranium abzweigen, um dieses weiter anzureichern und so waffenfähig zu machen, würde das nicht verborgen bleiben. Das wäre nur durchführbar, wenn die Inspektoren der IAEA nicht mehr im Land wären. Der Iran müsste zunächst den Atomwaffensperrvertrag (NPT) kündigen und die Inspektoren aus dem Land werfen. Das wäre eine Kriegserklärung. Das Regime würde sich hüten, so etwas zu tun. Und auch mit der Urananreicherung allein wäre das Regime noch nicht imstande, eine Atombombe zu bauen. Man muss außerdem metallisches Uranium herstellen und formen können. Es gibt keine Hinweise, dass das Regime solche Schritte unternommen hat. Zudem braucht man entsprechende Raketen. Auch hier gibt es keine Hinweise, dass das Regime im Besitz solcher Raketen ist.
Wie steht es um die Möglichkeit des Kaufs einer Atombombe?
Es gibt Hinweise, dass das iranische Regime – ebenfalls gegen Ende des Iran-Irak-Krieges – versucht hat, in Pakistan eine Bombe zu kaufen. Der Versuch war nicht erfolgreich, wohl weil die höchsten Militärs Pakistans dies unterbunden haben. Abgesehen von Pakistan fällt mir keine Option ein, wo der Iran die Bombe kaufen könnte. Russland hat sicher kein Interesse an einer weiteren Atommacht in der südlichen Nachbarschaft. Ich halte die Proliferation einer fertigen Atombombe für völlig ausgeschlossen.
Ist im Atomstreit mit Präsident Hassan Rouhani ein substanzieller Kurswechsel zu verzeichnen oder hat sich nur der Ton geändert?
Die neue Regierung hat offensichtlich eingesehen, dass es nicht so wie bisher weiter geht. Der ökonomische Druck ist so stark, dass das Regime ihm auf Dauer nicht standhalten kann, ohne sich selber zu gefährden. Die Gespräche werden nun ernsthafter geführt, aber weiterhin mit einer Bedingung: Technologische Zugeständnisse dürfen nicht mit politischen einhergehen. Khamenei hat deutlich gemacht, dass die Delegation nur über Nuklearfragen diskutieren darf. Auch im Westen gab es ein Umdenken. Angesichts der gegenwärtigen Zustände im Irak und in Syrien stellt sich der Iran als eine stabile Entität dar. Entgegen der historischen Erfahrungen sehe ich heute keinen krassen Gegensatz zwischen den Interessen des Irans und des Westens.
Welche Handlungsspielräume hat Rouhani angesichts Khameneis Haltung?
Handlungsspielräume können erkämpft werden. Eine Möglichkeit Rouhanis wäre, tatsächlich die Interessen der iranischen Bevölkerung zu verfolgen. Bisher versucht er nur, sich auf den oberen Etagen zu verständigen. Aber das Interesse der Bevölkerung ist ein starkes Druckmittel gegen die Herrschenden.
Der Iran liegt in einer aktiven Erdbebenzone. Wie hoch sind die Risiken bei der zivilen Nutzung von Atomenergie?
Atomverhandlungen in Wien: Die Gespräche werden ernsthafter geführt!
Atomverhandlungen in Wien: Die Gespräche werden ernsthafter geführt!

Die zivile Nutzung hat zwei unterschiedliche Aspekte: zum einen die Energiegewinnung, zum zweiten die Anwendung in Bereichen wie der Medizin, der Industrie, der Landwirtschaft und so fort. Umstritten ist die Energiegewinnung. Aber das Regime vermischt die Felder bewusst und redet davon, dass der Westen dem Iran die gesamte Nukleartechnologie vorenthalten wolle. Spätestens nach der Katastrophe von Fukushima ist klar geworden, wie gefährlich diese Technologie ist – selbst in einem hochentwickelten Land wie Japan, dessen Qualitätskultur als einzigartig gilt oder zumindest galt. Das iranische Atomkraftwerk Buscher liegt in einer Region, in der mehrere tektonische Platten aufeinandertreffen. Das darin enthaltene Risiko wird ohne Not in Kauf genommen. Japan, das keine Energieressourcen besitzt, hat auf Atomkraft gesetzt, als diese noch als zukunftsträchtig galt. Der Iran hat riesige Energieressourcen, die größten Gasreserven der Welt. Selbst nach alten Kalkulationen hätte das Land Gas für die nächsten 200 Jahre.Zudem hat der Iran 300 Sonnentage im Jahr und riesige Brachflächen, die für die solare Energiegewinnung verwendet werden können. Es gibt Regionen mit viel Wind. Das Land verfügt also über ausgezeichnete Ressourcen auch für die alternative Energieversorgung und kann auf Atomkraft verzichten.
Wie verkauft das Regime angesichts der immensen ökonomischen und politischen Kosten sowie der Risiken das Atomprogramm der Bevölkerung?
Khamenei sagt, die Entwicklung der Nukleartechnologie sei für den Iran wichtiger als die Entdeckung des Erdöls. Ahmadinedschad wiederholte stets, die Atomtechnologie werde das Land 50 Jahre vorwärts katapultieren. Das ist pure Propaganda. Der Ursprung des Atomprogramms ist politisch. Die Nutzung von Atomkraft zur Energiegewinnung wird im Iran niemals wirtschaftlich rentabel sein. Das Festhalten an diesem unökonomischen Projekt ist allein der Propaganda geschuldet.
Interview: PIERRE ASISI