Das Ende eines Missverständnisses – Demonstrativer Schulterschluss zwischen Teheran und Damaskus
Während UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in seinem Jahresrückblick die Weltgemeinschaft auffordert, das gewaltsame Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte gegen die Protestbewegung nicht länger tatenlos hinzunehmen, kommt aus Teheran eine Trotzreaktion: Den Verbündeten in der Not will man nicht allein lassen. Vergessen sind kritische Töne Ahmadinedjads und seines Außenministers Salehi gegenüber dem Regime in Damaskus.
Es gilt das gesprochene Wort des Führers Ayatollah Khamenei. Seine letzte Rede zu Syrien ist zwar vier Monate alt, aber sie bestimmt weiterhin die Haltung Teherans gegenüber dem bedrängten Baschar el Assad. Khameneis Worte damals waren unmissverständlich: Die Ereignisse in Syrien dürfe man nicht gleichsetzen mit den „islamischen und antiwestlichen Aufständen in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, und Bahrain“, denn „in Syrien haben die Feinde des Islam, allen voran die Zionisten und die USA, ihre schmutzigen Hände im Spiel.“
Als der Revolutionsführer im August diese krude Sichtweise verkündete, lag die Zahl der toten Demonstranten in Syrien bei „nur“ 700. Damals hatte die Türkei noch ein Freihandelsabkommen mit Damaskus, war das Assad-Regime noch Mitglied der arabischen Liga. Seitdem hat sich die Spirale der Gewalt in Syrien viel schneller gedreht, als die Verbündeten Assads in Teheran dachten. Inzwischen spricht die UNO von Mindestens 5.000 Toten, Syrien wurde aus der arabischen Liga ausgeschlossen, arabische Staaten verhängten genauso wie Europa und Amerika Sanktionen gegen das Assad-Regime. Doch Khamenei schwieg. Seine vier Monate alte Haltung ließ sich auf internationaler Bühne schwer verteidigen. Die Regierung geriet zunehmend in Erklärungsnot – vor allem gegenüber der ausländischen Presse.
Eine Wende, die keine war
Zuerst versuchte Außenminister Salehi sich vorsichtig von Khameneis Linie abzusetzen. In einem Interview mit der New York Times Ende August sagte er: „Die Regierung in Damaskus muss die legitimen Rechte der Bevölkerung akzeptieren.“ Präsident Ahmadinedjad wählte einen ausländischen Fernsehsender für seine Absetzbewegung. In einem CNN-Interview fand er am 22. Oktober noch deutlichere Worte als sein Außenminister: „Niemand hat das Recht zu morden, ich verurteile die Gewalt“, sagte er und forderte Baschar al-Assad unmissverständlich auf, die Niederschlagung der Proteste zu beenden und mit der Opposition zu verhandeln. Das Echo dieses Interviews war – wie erwartet – groß. Fast die gesamte westliche Presse berichtete von einer „Wende“ in der iranischen Außenpolitik. Mit dem Iran verliere Assad seinen letzten und wichtigsten Verbündeten, urteilten unisono „Zeit“, „Süddeutsche“ und „Welt“. Als ob Ahmadinedjad befugt und in der Lage wäre, eine solche dramatische Wende der iranischen Außenpolitik einzuleiten. Tatsächlich blieb es auch bei diesem einmaligen Auftritt. Von einer „Wende“ war nichts mehr zu hören.
Es gilt das Wort des Führers
Um zu wissen, was der Iran tatsächlich will, solle man Ahmadijedjads spektakuläre Äußerungen nicht so wichtig nehmen, sagt Sadegh Zibakalam, Politikprofessor in Teheran.Oft sei wichtiger, was zwischen den Zeilen zu lesen ist – und manchmal auch, was Personen in der zweiten Reihe sagen.
Wenn die „Wende“ nun keine war, wie steht die Islamische Republik heute zum syrischem Aufstand und zu Präsident Assad? Ahmadinedjad hin, Salehi her, es gilt weiterhin die Linie des Revolutionsführers. Sollte jemand daran zweifeln, musste er nur genau hinhören, was Ali Akbar Velayati am vergangenen Montag auf einer Konferenz über Syrien referierte. Velyati ist zwar einer aus der zweiten Reihe, aber da er seit 20 Jahren der außenpolitische Berater des geistlichen Oberhaupts Khamenei ist, dürfte seine Einschätzung der tatsächlichen Außenpolitik Irans wesentlich näher kommen als sporadische Äußerungen Ahmadinedjads oder Salehis. Oft spricht aus dem in den USA ausgebildeten Kinderarzt der Führer selbst: „Was Syrien angeht, bleibt es bei dem, was der geehrte Führer schon gesagt hat. Der Westen und manche Nachbarstaaten sollen ihre Einmischung in Syrien beenden. Wir gehen davon aus, dass Baschar al Assad an der Macht bleiben wird, er hat genug Anhänger im Volk und wir stehen an seiner Seite.“
Ankündigung über Ankündigung
Um zu demonstrieren, dass dieser Beistand ernst gemeint ist, beschloss das iranische Parlament einen Tag nach dieser Rede, am 13. Dezember, in einer Sondersitzung ein Freihandelsabkommen mit Syrien. Alladin Boroudjerdi, Vorsitzender des Sicherheitsausschusses des Parlaments, lieferte die Begründung: „Da die USA Milliarden investieren, um einen Regimewechsel in Syrien zu erzwingen, geben wir mit diesem Eilantrag eine entschiedene Antwort.“ Dieses Freihandelsabkommen ist zugleich ein Affront gegenüber der Türkei, die im vergangenen Monat ihr Freihandelsabkommen mit Syrien einseitig gekündigt hatte.
Parallel zur Sondersitzung des Parlaments in Teheran tagte die gemeinsame Wirtschaftskommission beider Länder in Damaskus, an der auch der iranische Städtebauminister Ali Nikzad teilnahm. Im nächsten Monat werde man mit dem Bau von 50.000 Wohnungen in den Armenvierteln von Damaskus beginnen, sagte der Minister. Zugleich kündigte er an, bald nehme man jenes 10-Milliarden-Projekt in Angriff, das vor zwei Monaten in Teheran beschlossen worden war. Damit meinte er eine Erklärung der Erdölminister aus Iran, Irak und Syrien, in der die drei Nachbarn den Bau einer Gaspipeline in Aussicht stellten: eine über 3.000 Kilometer lange Verbindung, die das iranische Erdgas über den Irak nach Syrien und schließlich über den syrischen Hafen Tartus nach Europa transportieren soll; ein Gegenprojekt zur Gaspipeline Nabucco, die durch die Türkei läuft.
All das sind allerdings nicht mehr als Ankündigungen von Großprojekten in einem Land, das sich am Rande des Bürgerkriegs befindet. Bislang beträgt das Handelsvolumen zwischen Iran und Syrien jährlich schätzungsweise 400 Millionen Dollar. Beide Länder wollen zwar den Handel deutlich ausbauen, doch es ist mehr als zweifelhaft, ob der Iran, dessen eigene Wirtschaft unter internationalen Sanktionen leidet, tatsächlich in der Lage sein wird, für Syrien jene Rolle zu spielen, die einst die Türkei und die arabischen Staaten hatten.
Ali Sadrzadeh