Schweigemarsch weckt die Stimme des iranischen Widerstands
Mit dem Aufruf des Koordinationsrats der iranischen Reformer zu einem Schweigemarsch am 14. Februar war das Schweigen zumindest in der virtuellen Welt wieder gebrochen. In den Internetforen diskutierten Befürworter und Kritiker hitzig über die „Grüne Bewegung“. Auch die Social Networks wurden erneut zum Sprachrohr Tausender junger Iraner.
Sie waren wieder da, wenn auch nicht so auffällig und zahlreich, wie manche Oppositionelle erwartet hatten. Am 14. Februar erschienen die Anhänger der Grünen Bewegung, nicht nur auf den Straßen Teherans, sondern auch in anderen größeren Städten des Iran. Zu Fuß hätten sie Bürgersteige blockiert und mit Autos sollen sie für ungewöhnlichen Stau auf den Straßen gesorgt haben, berichten der Opposition nahe stehende Websites. Nach Augenzeugenberichten wurden bei den Demonstrationen mehrere Menschen verhaftet, genaue Angaben gibt es dazu nicht. Sie alle folgten dem Schweigemarsch-Aufruf von „Rahe Sabze Omid“, dem „Grünen Pfad der Hoffung“: der Koordinationsrat der Grünen Bewegung. Die Schweigemärsche sollten zeigen, dass die Bewegung noch lebt.
Das Nachrichtenportal Al Arabiya berichtet von einer starken Präsenz der Sicherheitskräfte auf Teheraner Straßen: „An verschiedenen Orten in Teheran kamen kleinere Menschenversammlungen zustande, die jedoch von Sicherheitsbeamten und paramilitärischen Gruppen aufgelöst wurden.“
Bürgerjournalisten und Live-Ticker
Nachdem infolge der Proteste gegen die umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 die meisten unabhängigen iranischen Journalisten inhaftiert und viele Zeitungen verboten wurden, etablierte sich der „Bürgerjournalismus“ im Iran. Wenn die „Grüne Bewegung“ wie an diesem 14. Februar zu Demonstrationen aufruft, halten zahlreiche Augenzeugen mit Handy-Kameras die Ereignisse fest, und stellen ihre Aufzeichnungen später auf YouTube. Auch die Social Networks wie Facebook und Twitter werden benutzt, um auf den Sonderseiten, die anlässlich des Schweigemarschs am 14. Februar gegründet wurden, die Cyberwelt zu informieren. Bei manchen von ihnen – wie etwa „25 Bahman“ auf Facebook – begannen die User bereits ab dem frühen Nachmittag beinahe im Fünfminutentakt in einer Art Newsticker ihre Beobachtungen über die Proteste zu notieren. Dort waren Kommentare zu lesen wie: „Gerade wurde in einem der westlichen Bezirken Teherans Tränengas eingesetzt, während Protestler ‚Nieder mit der Diktatur‘ schrien.“ Ein anderer User berichtet von einem „massiven Einsatz der Sicherheitskräfte“ an zentralen Plätzen Teherans.
Internet- und Mobilfunknetzstörungen
Aida aus Teheran glaubt, dass es nicht nur am starken Polizeieinsatz lag, dass in diesem Jahr weniger Menschen kamen, sondern auch an mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten: „Kein Wunder, bei dem ständigen Internet- und Handynetzausfall in den vergangenen Tagen konnte man es nicht besser organisieren“, schreibt Aida auf Facebook. An mehreren U-Bahn-Ausgängen seien Kameras installiert worden, um Menschen besser kontrollieren und so eine eventuelle Versammlung von Protestlern an den U-Bahnstationen vermeiden zu können, so Mehdi aus Teheran.
Die Facebook-Userin Mina aus der iranischen Hauptstadt bemerkt: “Mehrere Handynutzer wurden am Vormittag sogar von staatlichen Behörden per SMS vorgewarnt, nicht an den von ‚Anti-Revolutionären’ organisierten Protesten teilzunehmen. Ihnen wurde sogar gedroht, mit einer Übermittlung von Informationen über Ausschreitungen an persischsprachige Sender im Ausland würde man sich schwer strafbar machen.“ Gemeint sind Sender wie BBC Persian, Voice of America oder die Deutsche Welle, die von der iranischen Regierung als „Unruhestifter“ und Unterstützer der Opposition bezeichnet werden.
Mostafa kommentiert auf Facebook: „Solange es Widerstand im Iran gibt, wird es auch die Grüne Bewegung geben“.
Selbst einige syrische Aktivisten zeigten sich heute mit den iranischen Protestlern solidarisch und twitterten: “Der iranische Frühling ist unterwegs“ oder „Brüder, haltet durch, der Sieg ist nah“.
Opposition im Koma?
Das Für und Wider eines Schweigemarsches hatte die iranische Bloggerszene bereits einige Tage zuvor stark beschäftigt. Der Blogger „Andisheh“ schrieb: „Es sieht so aus, als ob der Aufruf für den 14. Februar eine der letzten Chancen für die iranische Bevölkerung wäre, sich zu behaupten.“ Denn die „immer stärker werdenden Hardliner“ sind nach seiner Meinung auf dem besten Weg, aus dem islamischen Staat eine „vollkommene Diktatur“ zu machen. Andisheh sieht den Iran durch einen Krieg gegen Israel oder die USA bedroht. Deshalb fordert er seine Landsleute auf, „zu handeln“.
Der Blogger „Moghawemat“ hingegen findet den Aufruf des Koordinationsrats widersprüchlich und deshalb zum Scheitern verurteilt. Er wirft dem Rat „übertriebene Vorsicht“ vor: „Wie wollen sie etwas bewegen, ohne bereit zu sein, große Opfer zu bringen?“ Hätte der Koordinationsrat seine Ziele schärfer formuliert, dann hätten es auch „die Unzufriedenen“ gewagt, auf die Straße zu gehen und das vielleicht mit ihrem Leben zu zahlen. Moghawemat fragt: „Wieso muss die iranische Opposition, während die arabische Welt aufsteht, ins Koma fallen?“
Der Blogger „Dalghak Irani“ betet für die Gesundheit der beiden Oppositionsführer Mir Hossein Moussawi und Mehdi Karroubi: “Lieber Gott, bewahre uns die beiden inhaftierten Oppositionsführer für einen freien Iran.“ Und der Blogger „Andarmiyan“ fasst sich kurz, indem er ein Foto von der Großdemonstration im Sommer 2009 auf seine Seite stellt. Der Text dazu lautet knapp: „Wir können es auch heute noch.“