Kulturschaffende auf Wartebank geschoben

Die Lage der Kulturschaffenden im Iran bleibt auch unter der neuen Regierung schwierig. Schriftsteller und Künstler sehen sich immer noch mit langwierigen Genehmigungsverfahren für ihre Werke konfrontiert. Dennoch erkennen manche bereits Anzeichen von Veränderung. Andere warten noch ab.
Die Bilanz, die der neue iranische Präsident Hassan Rouhani in einem Fernsehinterview zur kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lage der Nation zieht, ist positiv. Schon in den ersten 100 Tagen seiner Regierung hätten viele Bücher, die verboten waren, wieder Drucklizenzen erhalten und würden nun veröffentlicht, sagte Rouhani in der vergangenen Woche zur Situation der Schriftsteller und Verlage im Land. Viele Autoren, die bislang nicht veröffentlichten durften, könnten jetzt „ihre Aktivitäten im Rahmen der Vorschriften ausüben“, so der seit August amtierende Politiker im staatlichen Fernsehen.
Die Reaktionen der iranischen Kulturschaffenden auf Rouhanis Ausführungen sind zwiespältig. Nicht unbegründet, wie sich kurz nach der Präsidentenrede zeigte: Am Dienstag wurde in Teheran ein Musiker verhaftet, der für die Veröffentlichung seiner Werke bislang keine Genehmigungen bekam. Und der für die Verhaftung des Rappers Amir Hossein Maghsoudlou alias „Amir Tatloo“ zuständige Teheraner Polizeichef für moralische Sicherheit, Masoud Zahedi, kündigte dabei an, künftig härter gegen so genannte Untergrundbands vorgehen zu wollen.
Warten auf Veränderungen

Der Rapper Amir Tatloo
Der Rapper Amir Tatloo

Kein Wunder also, dass Literaten und Künstler mit ihrer Bewertung der Kulturpolitik Rouhanis zurückhaltend sind. Der Schriftstellerverband hat am 1. Dezember in einer Erklärung die Fortdauer der Zensur kritisiert. Die von den Behörden nicht zugelassene Organisation schreibt, „noch warten viele AutorInnen auf eine Genehmigung für die Veröffentlichung ihrer längst eingereichten Bücher“, noch warte man auf positive Veränderungen in der Kulturpolitik der neuen Regierung.
„In den vergangenen acht Jahren haben wir im kulturellen Bereich sehr negative Entwicklungen erlebt. Die neue Regierung muss deshalb jetzt viel aufholen. Wir warten zunächst ab, ob ernsthafte Veränderungen zum Besseren eintreten“, schreibt der Schriftsteller Hossein Sanapour in einem Beitrag für die reformorientierte Tageszeitung Shargh. „Ich hatte angenommen, dass viele dem Ministerium für Kultur in den vergangenen Jahren vorgelegte Bücher nun Drucklizenzen bekommen, Beschwerden der Verleger wieder berücksichtigt und geschlossene Verlage ihre Arbeit wiederaufnehmen würden. Aber das ist nicht geschehen. Noch warten wir auf Zeichen der Veränderung“, so Sanapour.
Viele kritische Schriftsteller, Übersetzer, Künstler und Musiker waren in der achtjährigen Regierungszeit von Rouhanis Vorgänger Mahmoud Ahmadinedschad mit massiven Problemen bei der Veröffentlichung ihrer Werke konfrontiert. Sie mussten oft monatelang auf Druck- oder Veröffentlichungslizenzen des Ministeriums für Kultur und islamische Führung warten – ein Prozedere, das aus Sicht von Kritikern die Kulturarbeit behindert, weil die Urheber sich erst mit der Veröffentlichung Verdienste erwerben können.
Doch aus der Sicht vieler Kulturschaffender hat sich auch unter der jetzigen Regierung nicht viel geändert. Für viele geht Rouhanis Stellungnahme an der Realität vorbei. „Wenn der Präsident sich nur einen Tag lang um die Erteilung einer Veröffentlichungslizenz für Musikwerke bemüht hätte, hätte er feststellen können, wie schwierig das bürokratische Prozedere ist. Dann hätte er nicht so positiv über die Lage der Kultur im Lande gesprochen“, sagte der Musiker und Dirigent Loris Houyan der Nachrichtenagentur ISNA.
Pressefreiheit als Voraussetzung
Eine Karikatur von seemorgh.com: Viele iranische Websites kritisieren ohne Hemmung die Zensur
Eine Karikatur von seemorgh.com: Viele iranische Websites kritisieren ohne Hemmung die Zensur

Nach wie vor ist das Büro des iranischen Journalistenverbandes in Teheran versiegelt, das nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 von der Staatsanwaltschaft geschlossen worden war. Hintergrund der Schließung war laut Verbandsleitung eine Klage des Geheimdienstministeriums der Regierung Ahmadinedschad. Und auch unter Rouhani habe sich die Lage der Presse bislang nicht verbessert, kritisiert der Teheraner Kommunikationswissenschaftler Mohammad Mehdi Forghani gegenüber der Nachrichtenagentur ISNA: „In den ersten 100 Tagen der neuen Regierung wurde die Zeitung Bahar verboten, zwei weitere dürfen vorläufig nicht mehr veröffentlicht werden.“ Dabei sei mehr Freiheit für Journalisten dringend erforderlich, so Forghani. Die Wiedereröffnung des Journalistenverbandes und die Stärkung der Rechte von Journalisten müssten deshalb „die nächsten Schritte der Regierung im Bereich Presse sein“, fordert er.
Viele der 18 Millionen Wählerinnen und Wähler der jetzigen Regierung forderten die Pressefreiheit, sagt laut der Nachrichtenagentur Mehr auch der Politikwissenschaftler Sadegh Ziba Kalam von der Universität Teheran. Noch sei aber unklar, wie die Zuständigen künftig mit Zensur umgehen würden.
Wiederkehrende Kurswechsel
Unterstützer der jetzigen Regierung gehen dennoch nach wie vor davon aus, dass Rouhani sein Versprechen, die staatliche Überwachung im kulturellen Bereich Schritt für Schritt abzubauen, einlösen wird. Regierungswechsel waren im Iran in den vergangenen drei Jahrzehnten oft mit Schwankungen für Kunst- und Kulturschaffende verbunden. Moderate oder reformorientierte Regierungen versprachen mehr Freiräume, konservative griffen mit einschränkenden Maßnahmen in die Kulturpolitik ein. „Unter der neuen Regierung sehen wir Anzeichen für einen richtigen Auftakt im Bereich der Kulturpolitik“, sagt der Regisseur und Schauspieler Hadi Marzban im Gespräch mit ISNA. Und erwähnt als Beispiel dafür etwa, dass Präsident Rouhani selbst auf die „Atmosphäre der Überwachung“ von Kulturschaffenden hinweise. Aber, sagt auch Marzban, erst langfristig werde sich herausstellen, „inwieweit sich die Situation tatsächlich gebessert hat“.

    Farhad Salmanian