Grüne Bewegung: Nostalgie oder Glut unter der Asche?
Drei Jahre nach der sogenannten Grünen Bewegung im Iran beschäftigen sich iranische InternetaktivistInnen aus der ganzen Welt mit den Folgen und Aussichten der einst hoffnungsvollen Proteste.
Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen strömten im Juni 2009 hunderttausende Menschen im Iran auf die Straßen. Sie protestieren gegen den Wahlausgang, der von den Verantwortlichen zum „Erdrutschsieg“ für den Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad erklärt worden war. Der allgegenwärtige Slogan der Grünen Bewegung, deren AktivistInnen das nicht glauben konnten, lautete deshalb: „Wo ist meine Stimme?“
Das Jubiläum der Bewegung wurde nun, drei Jahre später, in weiten Kreisen des iranischen Cyberspace gefeiert, vor allem auf Facebook und in der persischen Blogosphäre. Auf Facebook teilten Unterstützer der „Grünen Bewegung“ Bilder der Demonstrationen von 2009 und derer, die damals bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften ums Leben kamen. Viele änderten ihre Profilfotos im Gedenken an die Ereignisse.
Blogger der Grünen Bewegung starteten einen Dialog-Kreis, in dem jeder Teilnehmer Beiträge über die Erinnerungen an die Bewegung veröffentlichte. Arman Amiri etwa erinnerte sich an die Höhepunkte des ersten Tages – 12. Juni -: „An diesem Tag vor drei Jahren wurden alle Handy-Verbindungen unterbrochen, das Versenden von SMS wurde blockiert … An diesem Tag vor drei Jahren trugen die Menschen ihre eigenen Stifte zu den Wahllokalen, weil ihnen gesagt worden war, dass die Tinte der bereitgestellten Stifte nach einigen Stunden leicht entfernt werden könnte . An diesem Tag vor drei Jahren griffen die Sicherheitskräfte das Wahlkampf-Hauptquartier eines der Kandidaten an, verprügelten die Mitarbeiter und verhafteten alle.“
Der in Kanada lebende Blogger Adam Golabi schreibt über seine Erinnerungen an die Wahlnacht: „Ich war die ganze Nacht wach. Alle fünf Minuten las ich die Nachrichten-Websites, als ob ich folgende Meldung der Nachrichtenagenturen erwartet hätte: ‚Haha …wir haben einen Fehler gemacht. Es [Ahmadinedschads Sieg] war nur ein Witz, und ein wirklich schlechter Witz dazu.’ Aber das war kein Scherz. Wenn mein Kind aufwächst, werde ich ihm sagen, dass das einzige, was mich am Leben gehalten hat [während dieser Zeit] sein Geruch war.“
Alooche Khanoom beschreibt den Monat Khordad (21. Mai bis 20. Juni) – die Zeit des Wahlkampfs und der Wahlen – als wichtigen Monat in der iranischen Geschichte: „Khordad beginnt wie die guten Tage der Flitterwochen: voller Hoffnungen, Träume, Flüstereien, Leben und Liebe. Am 22. [12. Juni] erreicht alles den Gipfel. Aber die letzten Tage sind so, als würde man von seinem Partner in der Öffentlichkeit angegriffen werden, mehr noch, sie sind wie ein Verrat. Wenn er [Khordad] endet, bist du geschrumpft. Khordad ist Honig-Gift. Wir sind immer gesprächig im Monat Khordad. Ich frage mich, ob Menschen aus anderen Ländern über ihre politischen Angelegenheiten so romantisch schreiben.“
„Vergeben aber nicht vergesse“
Einige Blogger, wie etwa Imayan, analysieren die Bewegung, ihre Folgen und ihre Zukunft: „Wir blicken nie zurück. Wir vergeben, aber vergessen nicht. Kurz nach dem Beginn der Bewegung schrieb ich, dass selbst wenn Moussawi [Ahmadinedschads Herausforderer bei den Wahlen, und der Kandidat, den die „Grüne Bewegung“ unterstützte und als Sieger betrachtete] seine Rechte aufgibt, ich gerne wissen würde, was ich machen soll, um meine Rechte zu erhalten. Die Grüne Bewegung ist lebendig, weil Moussawi und Karroubi [ein anderer Gegenkandidat, der gegen die Ergebnisse protestiert hat] unter Hausarrest stehen. Die Gefängnisse sind voll von Kritikern der Regierung und Mitgliedern der Opposition. Und die Erinnerungen an jene, die während der Demonstrationen getötet wurden, sind noch am Leben.“
Die Website Shafaq veröffentlicht auf ihrer Hauptseite die Namen aller Menschen, die nach der Wahl verhaftet wurden. Die Überschrift lautet: „Gefangene: Schreie eines stillen Volkes“.
„Sehnsucht nach der Vergangenheit“
Es gibt jedoch auch iranische Internetnutzer, für die die Grüne Bewegung gestorben ist und keiner feierlichen Erinnerung mehr würdig ist. Sonja etwa schreibt: „Es ist interessant zu sehen, dass manche Menschen immer noch an die Grüne Bewegung glauben.“ Ramin erklärt, dass es zurzeit wichtigere Dinge im Iran gebe als die Grüne Bewegung: „Der Dollar kostet jetzt 18.000 Rial [iranische Währung] und die Preise sind gestiegen. Das soll nicht wichtig sein? Nur was vor drei Jahren passiert ist, soll zählen – als sie [die Regierung] uns fertig gemacht haben?“ Fani verspottet die Iraner: „Sie haben immer Sehnsucht nach der Vergangenheit.“
Andere Kommentatoren wie Maryam Ghasemzadeh kritisieren die Reaktion der Iraner auf das Jubiläum und ihre Loyalität gegenüber den „Märtyrern“ der Grünen Bewegung: „In diesem Jahr wollten die Menschen zum Gedenken an die 88 Märtyrer der Wahlen [auf den Straßen] protestieren, aber sie taten es nur auf Facebook.“
„Remember Iran“
Auf Twitter kreierten iranische Nutzer den Topic # RememberIran. Hossein twitterte zu den Ereignissen vor drei Jahren: „Khordad 1388 (das iranische Jahr) ist der Wendepunkt der Geschichte des Irans, der Ausgangspunkt für unbestimmte [politische] Auseinandersetzungen.“
Der Nachrichtensender Al Jazeera widmete dem Hashtag # RememberIran einen Eintrag auf Storify, und Vattandoost lud iranische Twitter-Nutzer dazu ein, im Gedenken an die Grüne Bewegung zu twittern: „Für den dritten Jahrestag des Khordad-Aufstandes setzen wir ein Denkmal für die Märtyrer und [politischen] Gefangenen. Lasst uns einen Twitter-Sturm lostreten, so dass die Welt Irans Stimme hören kann.“
Instagram-Nutzer Vahid Online veröffentlicht einen Screenshot von seinem Google+Profil, auf dem seine Blogeinträge nach den Wahlen 2009 zu lesen sind: „Teheran, in der Vorbereitung eines gefährlichen Plans / / 22 Khordad 88, Zeuge des gefährlichen Plans.“
Reaktionen von Regimeanhängern
Auch Anhänger des Regimes reagierten auf das Jubiläum. Die meisten von ihnen kritisierten es als „Jahrestag der Volksverhetzung“. Gomnam veröffentlichte auf seinem Blog Chamraniha eine Karikatur der Anführer der Grünen Bewegung hinter Gittern und bezeichnete sie als „Die Daltons“: „Wer ist der Chef der Daltons? Der Hauptverantwortliche des Aufruhrs ist …!“ Auf dem Bild wird der frühere iranische Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani, der Kontakte zur reformorientierten Opposition pflegte, als das Gehirn hinter den Unruhen dargestellt.
Mohammad Reza Shahbazi macht sich ebenfalls über die Grüne Bewegung und Mir Hossein Moussawi lustig. Shahbazi glaubt, dass Moussawi unter Halluzinationen leide, weil er annahm, die Wahlen gewonnen zu haben: „Unzählige sind sehr, sehr viele. Sie [Moussawi und die Anhänger der Grünen Bewegung] denken, Unzählige sind mehr als eine Million oder mehr als 500.000 oder mehr als 5.000! … Sie zählen 0, 1, 2, 3, …, 99, Unzählige, und eins, Unzählige und zwei ….“
FP