700 Tage Sitzstreik gegen das iranische Regime

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Von Mahboobeh Bayat

„Es wird nicht mehr weitergehen“, erzählt mir meine Schwester Mahdieh Bayat, die gerade von einer Sitzung gekommen ist. Dabei ging es um die Weiterführung oder Beendigung des Sitzstreiks vor dem „Vienna International Center“ (VIC). Sie muss immer wieder weinen. Sie hat Tage und Nächte vor dem VIC gesessen, genauso wie viele weitere herzensgute und ambitionierte Aktivist:innen, die seit bald 700 Tage mindestens zu dritt vor Ort die Stellung gehalten haben.

Auch ich gehe immer wieder hin und unterstütze die „Nachtdienste“. Schlafen tun wir zu dritt auf drei hölzernen Sitzbänken. Seit sich die Aktivist:innen eingestanden haben, dass sie alle nicht mehr können und am Tag 700 (am 25. August) die Mahnwache, diese beispiellose Aktion, beenden werden, sind sie alle sehr traurig. Sie sagen mir, dass sie sich leer fühlen, als würde man einen Teil von ihnen wegnehmen, und brechen immer wieder in Tränen aus.

Wir haben Freundschaften geschlossen, einander durch die vielen kalten, windigen und teilweise sehr traurigen Tage getragen. Viele politische Kämpfer:innen oder Gefangene im Iran sind uns bekannt und mit manchen Verwandten von ihnen sind wir in Kontakt. Nachrichten über ihre Folter, Erpressungen oder Hinrichtungen trifft uns stark. Letztens haben wir die Nachricht erhalten, dass in nur einem Gefängnis an nur einem Tag 22 politische Gefangene vom Regime hingerichtet wurden.

Sitzstreik der Iraner:innen - Tag 675 / Foto: Mahboobeh Bayat
Sitzstreik der Iraner:innen – Tag 675 / Foto: Mahboobeh Bayat

Die Aktivist:innen vor dem VIC haben auch gemeinsam gefeiert: Geburtstage, iranisches Neujahr oder besondere Tage wie den 100., den 300. oder 500. Tag des Sitzstreiks. Die letzte unglaublich gute Nachricht war das Verbot des Vereins der „Blauen Moschee“ in Hamburg und des Islamischen Zentrums des iranischen Terrorregimes in Frankfurt. Ja, diese Einrichtungen und Vereine sind Spionagezentren und verlängerte Arme des islamischen Terrorregimes, die sich hier demokratischer Softpower bedienen und unsere Freiheit und westliche Demokratie vernichten wollen. In Wien-Floridsdorf existiert das Islam Zentrum Imam Ali immer noch, während in Deutschland die Politiker:innen ihre Iran-Politik überdenken.

Die Mahnwache „Frau-Leben-Freiheit“ vor dem VIC ist eine Art Rekord in der Geschichte der menschenrechtsaktivistischen Aktionen weltweit. Ihre Parolen waren unter anderem #StopexEcutionsInIran #MahsaAmini #FreePoliticalPrisoners #cuttherope.

Sie hatten international geehrte Besucher:innen gehabt – die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi etwa oder Abgeordnete verschiedener Parteien.

Die Aktivist:innen werden die Mahnwache also am 25. August beenden, aber sie werden nicht aufhören, weiterhin laut und die Stimme der Menschen im Iran zu sein. Solange im Iran täglich Unschuldige hingerichtet werden und solange die UN und westliche Regierungen ihre Iran-Diplomatie nicht ändern, werden die Diaspora-Aktivist:innen in Wien nicht aufhören. Das haben sie mir garantiert.

Ich unterstütze die „Frau-Leben-Freiheit-Bewegung“ im Iran, weil Frauenrechte Menschenrechte sind und Menschenrechte die Basis der westlichen Demokratien bilden. Das islamische Regime im Iran ist aus meiner Sicht auch eine ernste Gefahr für Freiheit und Sicherheit in Europa. Unabhängig von unseren Ideologien, Berufen und Funktionen sollten wir uns in Europa aus Selbstschutz für den globalen Frieden und die Demokratie einsetzen.♦

Mahboobeh Bayat, Informatikerin und politische Aktivistin, lebt in Österreich und unterstützt Demokratiebestrebungen im Iran.