Aufschrei gegen den schmerzhaften Druck

Die Festnahme der Fotografin Noushin Jafari wühlt die iranische Web-Community auf. Die einen verlangen wegen „Blasphemie“ die Höchststrafe. Die anderen betonen ihre Unschuld und fordern ihre Freilassung. Der Fall entwickelt sich zum Symbolbild des enormen Drucks, dem iranische Aktivist*inn in letzter Zeit ausgesetzt sind. „Sie werden härter bestraft als Korrupte und Mörder“, monieren die Web-Nutzer*innen.
Der Filmemacher Jafar Panahi veröffentlichte am 6. September ein Bild auf seiner Instagram-Seite. Es zeigt seinen Solidaritätsbesuch bei der Familie Jafari, deren Tochter Noushin in Untersuchungshaft sitzt. Der Besuch markiert den zweiten Monat der Inhaftierung der Fotografin und Film- und Theaterkritikerin Noushin Jafari.
2015 wurde Panahi, der im Iran zu sechs Jahren Haft und zwanzig Jahren Berufs-, Ausreise- und Interviewverbot verurteilt ist, für seinen „illegal“ gedrehten Film „Taxi“ mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet. Auf dem Bild sind neben ihm noch die Filmemacherin Rakhshan Bani-Etemad und ihre Tochter, die Schauspielerin Baran Kowsari, zu sehen. Einige andere Künstler, die mit der inhaftierten Fotografin zusammengearbeitet haben, sind ebenso neben den Eltern von Noushin Jafari abgelichtet.
Letzte Woche hatte Bani-Etemad auf ihrem Twitter-Account einen offenen Brief veröffentlicht, den mehr als 200 Künstler*innen aus Solidarität mit ihrer Kollegin Noushin Jafari unterschrieben haben.

Noushin Jafari
Noushin Jafari

Laut der iranischen Justiz soll die Fotografin die „religiösen Heiligkeiten“ und den dritten Imam der Schiiten, Al-Hussein Ibn Ali, beleidigt und außerdem Propaganda gegen den iranischen Staat verbreitet haben, unter anderem über den anonymen Twitter-Account „YaarDabestaani“. Sie soll eine der Betreiber*innen des Accounts sein, wie ein Anhänger des iranischen Regimes behauptet. Auf dem Twitter-Account wurde dies bereits bestritten.
Den Anhängern des Regimes reicht dieses Dementi allerdings nicht. Ein Nutzer will sogar eine Verbindung zwischen der Fotografin und der von der Islamischen Republik gehassten religiösen Minderheit  der Bahai entdeckt haben. Ein anderer Nutzer fordert in den Kommentaren der Webseite mashreghnews gleich die Hinrichtung der Fotografin, sollte sich herausstellen, dass die Fotografin den besagten Twitter-Account betreibt.
Die „erfundenen Beschuldigungen“
Ein anderer Teil der iranischen Web-Community hält die Anschuldigungen jedoch für erfunden. Wut und Enttäuschung über die unverhältnismäßig hohen Strafen und die Einschränkungen für die Iranerinnen halten an. Die Gerichtsurteile werden als willkürliche Entscheidungen bestimmter politischer Flügel innerhalb der Islamischen Republik interpretiert.
„Die Befreiung von Noushin [Jafari] ist die Befreiung des Irans von denjenigen, die die Hoffnung des Volkes ihrer Gewinnsucht opfern“, schreibt der Reformer und frühere politische Gefangene Emad Bahavar auf Twitter.
Auf dem Spruchband der protestierenden Arbeiter in der Stadt iranischen Shoush steht: Der Dieb läuft frei herum, der Arbeiter sitzt in Haft
Auf dem Spruchband der protestierenden Arbeiter in der Stadt iranischen Shoush steht: Der Dieb läuft frei herum, der Arbeiter sitzt in Haft

„Noushin Jafari ist eine professionelle Theater-Fotografin. Ihre ganze Zeit verbrachte sie mit ihrer Arbeit. Jeder, der sich eine Stunde mit ihr unterhalten hat, weiß, dass dieses Mädchen nicht politisch gesinnt ist. Die Rhetorik des Accounts, den ihr Noushin zum Verhängnis machen wollt, ist nicht Noushins Art des Redens. Ihr treibt ein echt schmutziges Spiel“, reagiert Asieh Bakeri auf ihrer Twitter-Seite. Bakeri ist die Tochter eines bekannten und hoch angesehenen Gefallenen des Irak-Iran-Kriegs.
Eine andere Twitter-Nutzerin will in diesem „schmutzigen Spiel“ eine „alte Masche der iranischen Geheimdienste“ beobachtet haben. „Das ist ein abgenutztes Szenario. Sie inhaftieren jemanden. Über einen anonymen Account verbreiten sie die Nachricht auf eine groteske Art und Weise. Dann zitiert ein bekannter Account die Meldung des anonymen Accounts und verbreitet die Nachricht weiter. Die Cyber-Armee schaltet sich ein und spinnt weiter, bis dem Beschuldigten irgendwann sogar ein bewaffneter Kampf [gegen das Regime] vorgeworfen wird. Noushin [Jafari] ist nur eine Fotografin und ihr wollt scheinbar einen anderen Maziar Ebrahimi erschaffen“, twittert die Nutzerin Maryam Abdi.
Eine weinende Stimme aus dem Gefängnis
Eine Audiodatei bestätige den Verdacht, dass die Inhaftierung der Fotografin Jafari Teil eines Szenarios sei, glaubt die Frauenaktivistin und ehemalige politische Gefangene Shiva Nazarahari. Am 25. August hatte die seit neun Monaten im Ausland lebende Menschenrechtsaktivistin per Twitter bekannt gemacht, dass Noushin Jafari gezwungen worden sei, sie per Voice-Message nach den Log-in-Daten des Twitter-Accounts „YaarDabestaani“ zu fragen. Nazarahari veröffentlichte die Audiodatei der Voice-Message, in der die Fotografin Noushin Jafari sie weinend anfleht.
Nazarahari sieht sich auch selbst als Opfer dieses „geheimdienstlichen Szenarios“. In einem Beitrag unter dem Titel „Als ich für immer Migrantin wurde“ schrieb sie am 5. September, dass sie jetzt weiß, dass sie nicht mehr in den Iran zurückkehren darf.
Ein beispielloser Druck
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