Transgender im Gottesstaat

Ein Trauerspiel

David S., ein iranischer Transmann, lebt seit drei Jahren in Deutschland. Am liebsten würde er seine Geschichte als Theaterstück verarbeiten, damit alle Menschen wüssten, wie es Transmenschen im Iran gehe, sagt er im Gespräch mit dem Iran Journal. Offiziell könne man mit der gerichtlichen Genehmigung Unterstützung für die teure OP bei der staatlichen Wohlfahrtsstelle beantragen. Doch die Summe, die man dort vielleicht bekäme, sei so gering, dass sich der Behördengang im Grund nicht lohne, so S.
Was ihm und befreundeten Transmännern nicht erspart blieb, waren demütigende Gerichtsverfahren, fragwürdige psychologische „Heil“-Methoden und Schikanen durch das Pflegepersonal im Krankenhaus – vom Stress mit der Familie und am Arbeitsplatz ganz abgesehen.
Fünf Jahre lang habe er seine Familie gebeten, ihm bei der Prozedur der Geschlechtsangleichung beizustehen, berichtet S. Aber er sei nur auf Unverständnis gestoßen: „Ich bin allein zum Gericht gegangen und ich durfte mich dort nicht einmal auf einen Stuhl setzen. Der Richter hat darauf bestanden, dass ich mich vor ihm auf den Boden setze – wie ein Hund“, erinnert er sich.

Eine besondere Art der Erniedrigung

Nach seiner zweiten OP ging S. erneut vor Gericht, um die Namensänderung zu beantragen. Er wollte sich nach der Entfernung von Eierstöcken und Brüsten endlich ohne die im Iran für Frauen gesetzlich vorgeschriebene Kopfbedeckung als Mann in der Öffentlichkeit bewegen können. Die Wunden an seiner Brust waren zu diesem Zeitpunkt erst 13 Tage alt. „Doch der Richter befahl mir, die Hosen herunterzuziehen, damit alle sehen konnten, dass ich noch weibliche Genitalien habe. Dann kam ein Gerichtsdiener und schlug auf meine Brust, so dass die Operationsnähte aufplatzten. Danach wurde ich allein in ein Zimmer gebracht. Sie haben keinen Arzt gerufen. Bis jetzt habe ich Probleme mit meinen Brustwarzen.“

David S. vor der Geschlechtsumwandlung
David S. vor der Geschlechtsumwandlung

 
Von der Herausforderung, im Iran Trans zu sein

Liest man die Berichte, die OutRight Action International, eine renommierte globale LGBTIQ-Rechteorganisation, gesammelt hat, wird offenkundig, dass solche Erlebnisse kein Einzelfall sind. Transsexuelle Männer und Frauen werden in der Regel nicht als „geheilt“ angesehen: Sie werden stattdessen Opfer aller Arten von Diskriminierung. Vor allem Transfrauen berichten in dem Menschenrechtsreport „Transgender-Sein im Iran“ von Misshandlungen und gewalttätigen Übergriffen seitens ihrer Familienangehörigen.
Belästigungen und Schikanen in der Öffentlichkeit sind für Transmänner wie Transfrauen an der Tagesordnung. Ärzte berichten von Selbstmordversuchen, weil ihre Patienten nicht mit der gesellschaftlichen Ablehnung ihrer neuen Identität klarkommen. Andere neigten zu Depressionen, da sie sich gezwungen sähen, ihre Identität als Transperson zu verleugnen.
Die UN-Erklärung über die Beendigung von Gewaltakten und anderen Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität will der Stigmatisierung von Transmännern und Transfrauen entgegenwirken. Die Herausforderung besteht im Wesentlichen darin, den Menschen zu erklären, dass Transsexualität eine ebensolche Daseinsberechtigung hat wie die binäre heterosexuelle Norm.
Doch so lange Gesellschaft und Regierung im Iran Sexualität tabuisieren, werden Transgender und andere Queers es weiterhin enorm schwer haben, ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen zu können.♦

  YASMIN KHALIFA


* Am 23. März 2011 verlas Kolumbien vor dem UN-Menschenrechtsrat stellvertretend für 85 UN-Mitgliedsstaaten die „Gemeinsame Erklärung über die Beendigung von Gewaltakten und ähnlichen Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität“ (engl. Joint statement on ending acts of violence and related human rights violations based on sexual orientation and gender identity).
Daraufhin verfasste der UN-Menschenrechtsrat am 17. Juni 2011 mit der Resolution A/HRC/17/L.9/Rev.1 den Beschluss zur Beendigung der staatlichen Diskriminierung sexueller Minderheiten.

© Iran Journal

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