“Religiöse Minderheiten sind im Iran kein Thema”

Alle vier Jahre stützen sich die Vereinten Nationen auf Stimmen aus der Zivilgesellschaft, um die Lage der Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten zu bewerten. Bei der Prüfung der Menschenrechtssituation im Iran wurden auch Einsendungen von iranischen zivilgesellschaftlichen Organisationen berücksichtigt. Deren Berichte lassen allerdings vermuten, dass dort der Staat mit am Werk war.
Die “Universal Periodic Review” (“Universelle Periodische Überprüfung”, UPR) soll das zur Sache der Weltgemeinschaft machen, was einige Staaten gerne zu ihrer internen Angelegenheit erklären: die Lage der Menschenrechte. Das UPR ist ein 2006 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (United Nations, UN) geschaffener Prüfmechanismus, der alle vier Jahre die Menschenrechtssituation aller UN-Mitgliedsstaaten untersucht. Die Situation in jedem Land wird in einem “peer-review”-Prozess beurteilt, bei dem andere Staaten und zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Einschätzung vorbringen dürfen. Jeder Staat ist verpflichtet, sich diesem Verfahren zu stellen, und jeder Staat kann gegenüber jedem anderen Staat Empfehlungen zur Verbesserung von dessen Menschenrechtslage aussprechen. Die Staaten müssen sich mit den Empfehlungen auseinandersetzen und können eine bestimmte Empfehlung akzeptieren oder ablehnen. Bei der nächsten Überprüfung wird dann kontrolliert, wie ein Staat die akzeptierten Empfehlungen realisiert hat.
Akzeptiert und nicht realisiert
Während der ersten Überprüfung des Iran im Februar 2010 akzeptierte die Islamische Republik 126 der insgesamt 188 formulierten Empfehlungen, darunter etwa Besuchsrechte für den UN-Menschenrechtsbeauftragten und andere Sonderberichterstatter, freien und uneingeschränkten Zugang zum Internet oder die Einrichtung von effektiven Beschwerdemechanismen für die Opfer von Folter.
Der Kampagnen-Website upriran.org zufolge sind jedoch bisher von den 126 angenommenen Empfehlungen nur fünf vollständig umgesetzt, 30 nur teilweise und 81 gar nicht realisiert worden. Für zehn Punkte fehlen öffentlich zugängliche Informationen, um den Stand der Entwicklung zu beurteilen. Ein mehr als dürftiges Ergebnis also.
“Tiefe Besorgnis über die andauernden und sich wiederholenden Menschenrechtsverletzungen” im Iran äußerte deshalb das dritte Komitee der UN-Generalversammlung in seiner Resolution, die es nach der im November durchgeführten zweiten Überprüfung des Iran verabschiedete.
Staatliche “NGOs”
Ein wesentlicher Bestandteil des UPR-Prozesses sind schriftliche Beiträge von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Non-Governmental Organizations (Nicht-Regierungs-Organisationen, NGOs). Sie setzen die Mühlen der administrativen Maschinerie in Gang, indem sie den Mitgliedsstaaten eine unparteiische Einschätzung der Menschenrechtslage des zu prüfenden Landes vorlegen. Auf diese unabhängigen Expertenmeinungen stützen sich die UN-Mitgliedsstaaten, wenn sie ihre Bewertungen und Empfehlungen aussprechen. Auf der Liste der Einsender zum Iran fanden sich jedoch nicht nur etablierte zivilgesellschaftliche Organisationen, die dem Land ihr Zeugnis austellten. Neben Akteuren mit Wiedererkennungswert wie Amnesty International und Human Rights Watch fanden auch Beiträge von eher unbekannten Organisationen ihren Weg in die Mühlen von Irans UPR. Fragwürdige Vereinigungen wie The House of Eternal Culture, Lovers of Successful Families Association oder das Armageddon Cultural Institute mit Sitz in Teheranlieferten ebenfalls ihre Sicht auf die Menschenrechtssituation im Iran – Bewertungen, die aufgrund des UPR-Verfahrens auch berücksichtigt werden mussten. Ob ihre Beiträge den eigentlichen Sinn der Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Stimmen in das Verfahren allerdings tatsächlich erfüllen, ist mehr als fraglich.

Frauen, die sich nicht an den Dresscode der Regierung halten, sind der staatlichen Gewalt ausgesetzt
Frauen, die sich nicht an den Dresscode der Regierung halten, sind der staatlichen Gewalt ausgesetzt

Die Beiträge aus Teheran lassen sich eher als Versuch interpretieren, Sand in die Mühlen des UPR zu streuen: lesen sich doch die meisten – teilweise in abenteuerlichem Englisch verfasst und alle demselben Aufbau folgend – als stammten sie direkt aus der Feder derjenigen Elite, die sie eigentlich unabhängig und kritisch zur Rechenschaft ziehen sollen.
Obwohl sich die Verstrickungen dieser zivilgesellschaftlichen Organisationen mit offiziellen politischen Interessengruppen und Institutionen des Iran nur schwer offenlegen lassen, ist es für Beobachter aus der Menschenrechtscommunity außerhalb des Iran relativ eindeutig, dass eine ganze Reihe der teilnehmenden NGOs nichts anderes als Scheinorganisationen staatlicher Institutionen sein können. Dieses Phänomen ist mancherorts bereits eine so gängige Strategie, dass die englischsprachige Welt die paradoxe Terminologie “Governmental Non-Governmental Organizations”, kurz GONGOs, zur Beschreibung solcher Akteure kreiert hat. Diese Imitate staatlich unabhängiger Organisationen fungieren als Deckmantel und Stellvertreter staatlicher Interessen und hoffen, dabei von der Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit tatsächlicher NGOs zu profitieren.
Im Falle von Irans UPR scheint die Teilnahme derartiger Organisationen keinen anderen Zweck als die Verwässerung und Unterminierung des Prüfverfahrens zu haben: Zu realitätsfern sind ihre Einschätzungen, als dass sie als unabhängig vom Staat gelten könnten. So stützen sich ihre Beurteilungen nicht auf Befragungen etwa von Vertretern ethnischer oder religiöser Minderheiten oder auf die systematische Dokumentation und Auswertung von Einzelfällen von Menschenrechtsverletzungen wie die Einsendungen etablierter Organisationen wie Amnesty International, Reporter ohne Grenzen oder des UN-Sonderbeauftragten Ahmed Shaheed, die teilweise Hunderte Interviews und Einzelfälle ausgewertet haben.
Religionsfreiheit
Sieben religiöse Führerinnen und Führer der Bahai sitzen seit 2008 in Haft
Sieben religiöse Führerinnen und Führer der Bahai sitzen seit 2008 in Haft

So ist etwa dem Bericht der Organisation Armageddon Cultural Institute zu entnehmen, dass ihre Einschätzung auf “persönlichen Rechercheergebnissen, politischen und legislativen Beobachtungen sowie der Berichterstattung zu den jeweiligen Themen” basiert. Gleich im ersten Abschnitt des Dokuments wird der Leser darauf eingestimmt, was von dem Beitrag zu erwarten ist: “Durch seine Recherchen kam dieses Institut zu dem Ergebnis, dass das Thema religiöse Minderheiten im Iran kein Thema ist (…).”
Dass die Glaubensgemeinschaft der Baha’i breiter staatlicher Diskriminierung ausgesetzt ist, aktive Mitglieder in Haft sitzen, scheint genausowenig von den Recherchen erfasst worden zu sein wie die staatlichen Repressionen gegen die Sufigemeinde der Gondabadi-Derwische.
Der Bericht räumt allerdings ein, dass “nur offiziell anerkannte Religionen wie das Judentum, der Zoroastrismus und das Christentum gewisse Minderheitenrechte im Iran genießen”.
Frauen
Die Einsendung der Lovers of Successful Families Association, die sich eigenen Angaben nach für die Belange von Frauen und Familien einsetzt, sieht als wesentliche “Herausforderungen und Schwierigkeiten” der Frauen in der Islamischen Republik die Vereinbarkeit einer möglichst frühen Familiengründung mit Bildungs- und Karrierewünschen. Dass Frauen von bestimmten Studiengängen ausgeschlossen werden, weibliche Aussagen vor Gericht nur halbsoviel Gewicht haben wie die von Männern oder die tägliche Repression auf den iranischen Straßen zur Durchsetzung der Kleidervorschriften scheint der Organisation mit dem Anliegen Frauenrechte entgangen zu sein.
Hinrichtungen
Eine andere Organisation aus Teheran, das Dadandishan of Pasargad Institute, stellt im Hinblick auf Irans Fortschritte bei der Umsetzung von Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation folgende Behauptung auf: “Abgesehen von einigen Herausforderungen und Hürden sehen wir gegenwärtig Verbesserungen in der Exekutive und Legislative und bei NGOs, die sich nach dem Aufheben der Sanktionen in Zukunft noch steigern werden.” Ohne ein einziges Wort über Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu verlieren, etwa über die katastrophalen Bedingungen in iranischen Gefängnissen oder die hohe Zahl der Hinrichtungen im Iran wird lediglich der Mangel von Bildungsangeboten über Menschenrechtsthemen an iranischen Universitäten als Herausforderung angeführt.
Zensur
Im kulturellen Bereich etwa wird ein rapider Rückgang von Buchveröffentlichungen festgestellt, ohne die rigorose Zensurpolitik des verantwortlichen Kulturministeriums zu erwähnen. Die iranische Verlegerin Shahla Lahiji sagte vor kurzem ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse ab, “weil mein Stand ja fast leer wäre”: womit sie auf etliche von der Zensur nicht genehmigte Buchmanuskripte hinwies.
Diese selektive Blindheit für die tatsächlichen sozialen und politischen Verhältnisse zieht sich durch die Einsendungen aller Organisationen mit Sitz im Iran, die allesamt nahezu deckungsgleich sind mit den offiziellen Regierungspositionen. So zeigt sich am Beispiel des UPR ein bekanntes Muster im grundsätzlichen Umgang des Iran mit den Foren und Mechanismen der Vereinten Nationen, das in einer Publikation der in London ansässigen Denkfabrik The Foreign Policy Centre in zahlreichen Expertenbeiträgen analysiert wurde. Im Umgang mit den UN picke sich der Iran “die Rosinen aus dem Kuchen”, heißt es im einleitenden Beitrag: Er partizipiere “dort, wo er meint, die Debatten im Sinne der eigenen außenpolitischen Ziele beeinflussen zu können, etwa durch das Produzieren von Schlagzeilen während der Generalversammlungen oder durch die Beeinflussung der Debatten [in Foren wie der] UNESCO-Weltkonferenz gegen Rassismus, wo er die eigene Opposition gegen Israel ausweitet, während er Verfahren ablehnt, die zur verstärkten Überprüfung der eigenen Handlungen führen würden.”
Andere iranische Organisationen, die durch Einsendungen an Irans UPR teilgenommen haben, sind (für eine vollständige Liste aller teilnehmenden Organisationen und ihrer Beiträge siehe hier):
The Association of Citizen Civil Rights Protection / The Charitable Institute for Protecting Social Victims / Global Convent For Respect Ali-e-Asghar honour / The House of Eternal Culture / International Association of Justice Watch / International Diabetes Prevention and Control Foundation / Iran-Poland Friendship Association / Institute for Women’s Studies and Research / Prevention Association of Social Harms / Rahbord Peymayesh Institute / Rebirth Society / Supporters of Clean Nature Institute / Society of Iranian Women Advocating Sustainable Development / Society for the Protection and Assistance of the Socially Disadvantaged Individuals / The Society for the Protection of Handicapped Children and Youth / Women International Union of The Follower of the Monotheistic.
RESA MOHABBAT-KAR