Online gegen häusliche Gewalt

Sie erleben Gewalt und verschiedene Arten von Misshandlungen durch ihre Ehemänner. Dennoch schweigen die meisten misshandelten iranischen Frauen. Nun bricht die Veröffentlichung eines Fotos das Schweigen. Denn das blau angeschwollene Auge auf dem Bild ist das von Azadeh Namdari, einer renommierten iranischen Fernsehmoderatorin.
Auf dem Foto auf Instagram ist nur ein blau angeschwollenes Auge zu sehen. Darunter schreibt die junge iranische TV-Moderatorin Azadeh Namdari, es sei ihr unangenehm, solch ein privates Foto zu veröffentlichen: „Aber diesen Beweis musste ich publizieren.“
Das blaue Auge gehört einer der beliebtesten TV-Moderatorinnen des Iran. Seit Jahren moderiert Namdari verschiedene Sendungen beim iranischen Staatsfernsehen. Ihr freundliches Gesicht und ihre bunten Kopftücher unter dem langen schwarzen Schleier entsprechen eigentlich nicht der strengen Norm, die von der Fernsehleitung vorgeschrieben wird. Denn gewünscht ist bei weiblichen Moderatorinnen eine ernste Miene und islamische Bekleidung in möglichst dunklen Farben: der so genannte Tschador, der den Körper verhüllt.

Azadeh Namdari
Seit Jahren moderiert Azadeh Namdari verschiedene Sendungen beim iranischen Staatsfernsehen.

Aber gerade wegen ihres eigenen Stils gelang es der jungen Moderatorin, das Herz von Millionen ZuschauerInnen zu erobern. Ihr Kollege Farzad Hassani ist nicht weniger beliebt und populär als sie. Auch er ist bekannt für seine offene Art, auch er wirkt durch seine gelgestylten Haaren auf die Zuschauer attraktiv und modern. 2014 hat das Dreamteam geheiratet. Hassani trug seiner Frau vor laufender Kamera Liebesgedichte vor, und die beiden wurden von vielen ZuschauerInnen als das prominente Traumpaar wahrgenommen.
Das Glück war aber nur von kurzer Dauer. Vor wenigen Monaten ließen die beiden sich scheiden. Nun folgt das Foto mit dem blau geschlagenen Auge, das mit dem Bild vom Traumpaar endgültig aufräumt.
Während Hassani die Vorwürfe seiner Exfrau vehement zurückweist, bestätigt deren Anwalt Hassan Aghakhani in einem Interview die Leidensgeschichte seiner Mandantin. Sie habe sich nach jeder Misshandlung von einem Gerichtsmediziner untersuchen lassen, alle Gutachten dazu lägen vor.
Namdari schreibt unter ihrem Foto, sie wolle damit allen, die einst aus ihrem Ehemann „einen Gott schufen“, die „bittere Realität“ vor Augen führen. Allerdings blieb ihre Offenbarung von kurzer Dauer. Nach wenigen Stunden entfernte Namdari das Bild aus Instagram.
Azadeh Namdari mit ihrem Ex-Mann Farzad Hassani in Teheran.
Azadeh Namdari mit ihrem Ex-Mann Farzad Hassani in Teheran.

Tabu gebrochen
Die Hintergründe sind noch unklar. Namdaris Motiv könne Rache sein: Sie wolle der beruflichen Karriere ihres Ex-Mannes schaden, meinen einige Internet-UserInnen. Fakt ist: Zum ersten Mal seit der iranischen Revolution vor 36 Jahren wagt eine öffentliche Person, Gewalt in ihrer Ehe in dieser Form nach außen zu tragen.
Zudem war das Entfernen des Fotos nicht schnell genug geschehen, um eine heftige Diskussion über das Tabu-Thema „Gewalt in der Familie“ in der iranischen Online-Community vermeiden zu können. Tausende UserInnen der sozialen Netzwerke verbreiteten das Foto mit dem blauen Auge und nahmen es zum Anlass, über das Thema zu schreiben. Namdari-Fans gründeten die Facebook-Seite „Wir sind alle Azadeh“, GegnerInnen wiederum nannten ihre Seite „Wir sind alle Farzad“. Dort wird die Moderatorin kritisiert dafür, dass sie ihre Leidensgeschichte ausgepackt hat. Schließlich sei das Privatangelegenheit, meinten viele. Andere ergänzen: „Und wer weiß, ob sie nicht an der Gewalt selbst schuld war?“
„Wo stehen wir?“
Auf Facebook wurde auch eine Seite mit Namen „Wo stehen wir?“ gegründet. Sie solle eine Plattform für alle sein, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sagt die Gründerin Soudeh Rad im Gespräch mit Iran Journal.
Auf die Idee kam die in Paris lebende Frauenrechtsaktivistin, als sie kurz nach der Veröffentlichung des Namdari-Fotos auf ihrer privaten Facebook-Seite eigene Erfahrungen zum Thema „Häusliche Gewalt“ veröffentlichte. Ihre Geschichte nannte sie „Wo stehen wir?“. Sie erhielt mehr als 700 Likes und wurde ebenso oft kommentiert. Rad wurde als mutig bezeichnet und von vielen LeserInnen für ihre offenen Worte gelobt. So entschloss sie sich zusammen mit drei weiteren Frauen, einer Rechtsanwältin, einer Psychologin und einer Web-Designerin, die alle aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben wollen, eine Facebook-Seite unter dem Namen zu gründen.
Die Facebook-Seite "Wo Stehen wir?"
Die Facebook-Seite „Wo Stehen wir?“

Die Frage „Wo stehen wir?“ solle UserInnen anregen, darüber nachzudenken, wo sie beim Thema Gewalt stehen, sagt Rad. Jeder solle sich aus seiner Sicht, ob Opfer oder Täter, zu dem tabuisierten Thema äußern können. Dabei sei egal, ob es sich um Männer, Frauen, Kinder, Hetero- oder Homosexuelle handele: Häusliche Gewalt sei ein globales Problem, meint Rad, und will mit der  Veröffentlichung neuer Studien und Artikel zu dem Thema aufklären.
Außerdem sollen auch nicht direkt Betroffene angesprochen werden: „Dabei geht es eher um die Frage, wie ich als Außenstehender reagiere, wenn ich von Misshandlungen in meinem Freundeskreis oder meiner Familie erfahre“, so Rad. Schon am ersten Tag hatten ihr zehn Facebook-UserInnen ihre Geschichten geschickt. Nachdem jede Story gelesen wurde, wird sie in Absprache mit den AbsenderInnen unter dem richtigen oder einem Decknamen veröffentlicht.
Es soll aber nicht nur beim Teilen von Leidensgeschichten bleiben. EinsenderInnen sollen psychologisch und rechtlich beraten werden, fügt Rad hinzu. Hier kommen die Rechtsanwältin und die Psychologin in ihrem Team zum Einsatz, die den Betroffenen zur Seite stehen wollen. Nach nur einer Woche wurde die Seite über 1.200 Mal mit „Gefällt mir“ markiert.
Frauen: Opfer der „Ehre“
Iranerinnen, die den Weg zum Familiengericht fänden, stünden unter hohem Druck und hätten oft eine lange qualvolle Zeit hinter sich, sagt die im Iran lebende Familien-Rechtsanwältin Maryam Pakizeh im Gespräch mit Iran Journal. Denn häufig bräuchten diese Frauen lange, bis sie einen solchen Schritt wagten. Aber kaum haben sie diese Hürde überwunden, gerieten sie an das nächste Hindernis. Denn Gewalt in der Ehe ist im iranischen Gesetzbuch nicht verankert. Wird eine Frau von ihrem Ehemann verprügelt, kann sie nur nach Paragraf 619 des Strafgesetzes gegen ihn vorgehen. Dabei geht es aber um Belästigung von Frauen oder Kindern in der Öffentlichkeit. „Am besten sollte sie dafür noch Zeugen mitbringen, die die Misshandlungen durch ihren Ehemann beschwören“, sagt Pakizeh. Misshandelte Frauen finden also beim Gesetzgeber keinen Schutz: „Sie werden nicht einmal ins Frauenhaus geschickt. Im Gegenteil wirft der Richter ihnen oft noch ungehorsames Verhalten gegenüber ihrem Ehemann vor und redet auf sie ein, sich zu versöhnen, um nicht die Ehre ihrer Familie zu verletzen“, musste die Anwältin mehrfach von ihren Mandantinnen hören.
Ein Grund, warum Frauenrechtlerinnen seit Jahren neben dem Scheidungsrecht für Frauen im Iran auch professionelle Beratungsstellen und Hilfsangebote für von Gewalt betroffene Frauen fordern.
FOROUGH HOSSEIN POUR